Nirgendwo auf der Welt, heißt es, schmeckt es so gut wie an dem Ort, den wir Zuhause nennen. Warum?
HAYA MOLCHO: Da geht es immer ums Wohlfühlen. Ich glaube aber, dass man sich dieses Gefühl egal wo und egal in welchem Land schaffen kann.

Auch in einem, das in Folge zum unfreundlichsten Land weltweit gewählt wurde?
Ja, auch da. Klar hat es seine Gründe, warum Österreich erneut diesen Titel unfreiwillig anerkennen muss. Gleichzeitig ist es für mich ein Land, das viel Charme besitzt. Ich habe lieber einen grantigen Kellner, als einen, der unglaublich freundlich ist, aber vergisst, mir mein Essen zu servieren.

Klingt so, als hätten Sie sich damit abgefunden – mit dem Grant.
Nein, ich bin nur älter geworden. Vor dreißig Jahren hätte ich wahrscheinlich noch etwas anderes gesagt. Als ich nach Österreich gekommen bin, war das so was von nicht meine Kultur. Jedes Mal als wir bei Freunden oder Bekannten eingeladen waren, sind wir davor noch etwas essen gegangen, weil auf den Tellern, die wir serviert bekommen hatten, gefühlt nur vier Scheiben Salami oben waren. In Israel oder im Orient, eigentlich im gesamten Mittelmeerraum, ist das nicht so. Alles wird auf den Tisch gestellt, man isst gemeinsam aus Schüsseln, von Tellern. ‘Balagan’ nennen wir das, ein sympathisches Chaos. Da muss nichts perfekt sein. Perfektion bremst die Geselligkeit. Bei Österreicherinnen und Österreichern habe ich häufig das Gefühl, dass es so ist. Sie haben Hemmungen, für mehr Menschen zu kochen. Die Mentalität ist eine völlig andere.

Aber bildet sich nach einiger Zeit in einem neuen Land nicht auch eine neue Mentalität heraus?
Natürlich. Irgendwann fängt man an, sich zu verändern. Wenn ich früher ein Abendessen gekocht hatte, waren mindestens 30 Leute eingeladen. Ich war überall, aber nie bei den Menschen, wo ich sein wollte. Wenn ich heute koche, dann für weniger Gäste. Aber das Beisammensein ist mir immer noch wichtig. Jetzt habe ich mehr Zeit für Gespräche, fürs Wahrnehmen und Kennenlernen. Das hat sich geändert.

Die Küche als Ort kultureller Aneignung sozusagen?
Die Küche war schon immer ein Ort der Integration. Ich bin in Israel geboren, meine Eltern in Europa, die Familie kam von überall her. Das heißt, wir haben adaptiert, Rezepte neu gedacht, neu probiert. Für mich war es immer authentisch, mit japanischen oder italienischen Zutaten zu arbeiten. Weil sowohl Japaner als auch Italiener nach Israel gekommen sind, genauso wie Osteuropäer und Österreicher. Kochen sollte keine Grenzen kennen und erst recht keinen Nationalstolz.

Da dürfte Ihnen die niederösterreichische Landesregierung mit ihrer ‘Wirtshausprämie’ widersprechen.
Das erinnert mich an die 1930er-Jahre in Europa. Was ist das denn? Eine ‘Wirtshausprämie’? Das ist für mich eine Gefahr. Meine Haare stehen zu Berge, wenn ich so etwas höre. Wir leben in Österreich, ich bin in Wien zu Hause. Dieses Land und diese Stadt waren schon immer ein Ort, wo Gastarbeiter, Saisonarbeiter, Menschen mit Migrationshintergrund eine Geschichte hatten. Diese Menschen hat Österreich nie anerkannt. Das ist ein Versäumnis. Fremde bringen neue Anregungen in ein Land. Aber in diesem Land verschließt man sich davor, statt sich die Frage zu stellen, was bringen diese Menschen uns, was können sie uns geben? Ständig geht es nur um die Angst, Geflüchtete könnten uns etwas wegnehmen. Andere Kulturen sind immer eine Bereicherung. Wir sollten lieber darüber nachdenken, wie es sein kann, dass die politische Balance in Österreich aus dem Gleichgewicht gekommen ist. Was haben unsere Politiker falsch gemacht, dass Rechts immer mehr an Gewicht zunehmen konnte? In Österreich hätten wir die Möglichkeit, Geflüchteten eine Perspektive zu bieten. Die Gastronomie leidet unter einem akuten Arbeitskräftemangel, aber den Gastronomen ist es verboten Geflüchtete zu beschäftigen. Das will die Politik nicht. Gleichzeitig will in Österreich niemand mehr als Koch oder Kellner arbeiten. Es ist endlich an der Zeit, die Einstellung gegenüber diesen Menschen zu ändern.

In Ihrem neuen Buch geht es auch um das Fremde, genauer gesagt die ‘fremde Küche’.
Ganz genau, und nicht um Nationalstolz. Es geht darum, die Vielfalt verschiedener Länder in ein Gericht zu integrieren und dadurch neue Kulturen kennenzulernen. Ich habe dieses Buch im Jahr 2009 – mehr oder weniger parallel zur Eröffnung von meinem Lokal ‘Neni’ am Naschmarkt in Wien geschrieben und jetzt neu auflegen lassen. Die Zutaten haben sich an die Zeit angepasst, der Zugang, wie gekocht wird, ist derselbe geblieben. Offen für Neues sein, ist ganz großgeschrieben.

Vermissen Sie das in der österreichischen Küche?
Die österreichische Küche ist geprägt durch Bequemlichkeit. Heißt, nur das, was ich kenne, esse ich gerne. Das war schon immer so. Viele Österreicherinnen und Österreicher verreisen ständig an denselben Ort, schlafen im selben Hotel und essen im selben Restaurant. Bei allem, was fremd ist, allem, was neu ist, wird sofort ein Fragezeichen hinten angestellt. Neugier hat mit Angst zu tun. Ich würde sagen, es herrscht generell eine große Angst vor Veränderungen. Bei ‘Neni’ machen wir das nicht so. Wir Menschen bestehen aus Veränderungen, egal wo ich bin, ich hole mir Anregungen für neue Gerichte oder neue Rezepte. Ich habe keine Angst vor neuen, jungen Köchinnen und Köchen. Ich lerne von ihnen und umgekehrt.

Aber kann sich überhaupt etwas ändern, wenn es keinen Wunsch nach Veränderung gibt?
Das muss es. Es muss sich die Einstellung vieler Österreicherinnen und Österreicher ändern. Die überkommenen Denkweisen und Ansichten gegenüber Zuwanderern müssen sich ändern. Anders wird es nicht gehen. Ein gutes Beispiel dafür ist die türkische Küche. Sie stand lange Zeit für die Gastarbeiter, die nach Österreich gekommen waren. Diese Generation hat man weder gefordert sich zu integrieren, noch hat man sie dabei gefördert. Sie waren ungebetene Gäste, die man nicht als Einwanderer haben, noch ihre Speisen essen wollte. Aber diese Ära ist zu Ende und die osmanische Küche gehört mittlerweile zu den besten der Welt. Das hätte man viel früher erkennen und den unglaublichen Wert dieser Menschen schätzen können.