Herr Rosandić, waren Sie schon einmal auf Kuba?
PETAR ROSANDIĆ: Nein, auf Kuba war ich noch nie. Ich habe aber den Wunsch, einmal dorthin zu reisen.
Woher ziehen Sie dann den Vergleich, im Flüchtlingscamp Lipa, in Bosnien-Herzegowina, herrschen dieselben Zustände wie im Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba?
Guantánamo hat eine eindeutige Konnotation im Zusammenhang mit den Debatten entlang der EU-Außengrenze. Der österreichische Migrationsforscher und Merkel-Berater Gerald Knaus hat 2020 schon die elendigen Zustände im Flüchtlingslager Moria mit Guantánamo verglichen. Dieser Begriff steht für einen rechtsfreien Raum, für ein illegales Gefängnis, wo fernab von rechtsstaatlichen Prinzipien gehandelt wird. Deswegen „Guantánamo“.
Genau wegen „Guantánamo“ stehen Sie am Dienstag vor Gericht. Die Organisation ICMPD von Ex-ÖVP-Chef Michael Spindelegger, die zwölf Haftzellen in Lipa gebaut hat, klagt Sie wegen Kreditschädigung, weil Sie das Camp als „Guantánamo in Europa“ bezeichnet hatten. Der Streitwert liegt bei 34.000 Euro. Bereuen Sie das jetzt im Nachhinein?
Nein, wozu auch? Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass es Parallelen gibt. Völlig egal, welchen Begriff man benutzt. Es bleibt ein Gefängnis ohne Rechtsgrundlage, das gebaut wurde in einem wehrlosen Land und neben einem Minenfeld. Die Klage ist nur ein Einschüchterungsversuch.
Ist das Ihre erste Klage?
Im Zusammenhang mit dem Verein SOS-Balkanroute ja. Aber als Kid Pex wurde ich auch schon wegen meiner Musik geklagt. Um den Rapper Massiv zu zitieren: „Das ist kein Fluch, das ist Schicksal. Wir Kanaken landen immer im Gerichtssaal.“
Glauben Sie das wirklich?
Im Laufe meines Lebens habe ich sehr oft Rassismus erfahren. Ich bin mit acht Jahren mit meiner Familie aus Kroatien nach Wien gekommen, habe später das Amerlinggymnasium im sechsten Bezirk besucht, das wollte man mir zuerst verbieten, und war immer nur der Jugo. In den 1990er-Jahren war der anti-slawische Rassismus gang und gäbe. Aber das Unrecht, das Geflüchtete jetzt erfahren müssen, ist nicht vergleichbar mit damals.
Woran liegt das?
Ich glaube, dass die Verrohung, die ständige Manipulation und Dämonisierung aus rechten Ecken dazu geführt haben, dass wir Menschen nicht mehr als Menschen betrachten. Es wird ständig mit Zahlen hantiert und dieselben Zahlen werden im Sinne des Rechtspopulismus missinterpretiert und kapitalisiert. Das führt dazu, dass gerade eine völlige Dehumanisierung unserer Gesellschaft stattfindet.
Welche Folgen kann Diskriminierung haben?
Ich glaube, das ist vergleichbar mit Traumata. Wer Rassismus, Ausgrenzung, Diskriminierung erfährt, trägt das für immer in sich. Andererseits bin ich froh, in Österreich, in Wien zu leben, weil sich vieles getan hat. Die Jungen besitzen ein migrantisches Selbstbewusstsein. Sie hinterfragen, sie finden sich nicht ab, sie sind nicht still und leise wie unsere Eltern-Generation, die sich lange Zeit mit salonfähig gemachtem Rassismus abfinden musste. Migration war schon immer ein Teil Österreichs und Wien schon immer eine Melange – die Menschen kommen von überall her. Seien das Gastarbeiter oder Kriegsflüchtlinge. Wir können über diese Lebensrealitäten nicht hinwegsehen, denn wir gehören zusammen.
Noch einmal zurück zum Camp. Als die Nachricht kam, dass das Anhaltezentrum nicht in Betrieb gehen wird, sagten Sie in einem gemeinsamen Telefonat: „Ja, es ist ein Erfolg, aber gleichzeitig nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Ja, so ist es. Einerseits ist es eine Watsche für die neokoloniale Politik am Westbalkan, wo wehrlose Staaten von Supermächten missbraucht werden, und andererseits macht Bosnien-Herzegowina nur einen kleinen Abschnitt der EU-Außengrenze aus.
Das heißt, Sie sind glücklich-wütend? Es tut mir leid, im Deutschen fällt mir nicht wirklich ein Begriff dafür ein.
(Lacht). Im Grunde bin ich sehr glücklich, weil wir gezeigt haben, dass es möglich ist, sich nicht alles gefallen zu lassen. In Bosnien haben wir viele politische Verbündete gefunden, ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre. Gerade in diesem Land, wo Politik zu etwas Passivem geworden ist und die Menschen nur ans Auswandern denken, ist es ein Riesenerfolg. Es ist schön, zu sehen, wie viel möglich ist, wenn wir kämpfen.
Das heißt, Sie machen weiter?
Natürlich. Momentan sind wir gerade dabei, einen Friedhof in der Stadt Zvornik, im Nordosten Bosniens, zu renovieren. Dort wurden Migranten begraben, die bei ihrer Flucht in der Drina ertrunken und ums Leben gekommen sind. Es ist eins von vielen wichtigen Projekten.
Fürchten Sie eine Verurteilung?
Ich fürchte mich nur vor Gott, meinen Eltern und meiner Freundin.
Daniela Breščaković