Wie der Sprecher der St. Pöltner Anklagebehörde, Thomas Korntheuer, am Sonntagabend der APA mitteilte, ging das Gericht bei dem 20-Jährigen nicht von dringendem Tatverdacht aus. Der ältere Bruder des 17-Jährigen konnte damit die Justizanstalt St. Pölten verlassen, in die die drei Burschen eingeliefert worden waren, nachdem man sie Samstagmittag festgenommen hatte.
Die Staatsanwaltschaft St. Pölten ermittelt gegen die mutmaßlichen Islamisten derzeit wegen terroristischer Vereinigung (§278b StGB) und krimineller Organisation (§278a StGB). Die Zuständigkeit der St. Pöltner Anklagebehörde begründet sich im Wohnsitz der Brüder, die in St. Pölten gemeldet sind. Der 14-Jährige lebt in Wien.
Nach Angaben des Leiters der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Haijawi-Pirchner, war die Festnahme der drei Verdächtigen am Samstag um 12 Uhr erfolgt - und damit eine Stunde, bevor sich der Paradezug in Bewegung setzte. Auf die Frage, ob eine Absage der Veranstaltung im Raum stand, meinte Haijawi-Pirchner gegenüber der APA, das sei im Vorfeld "natürlich diskutiert" worden. Man habe sich dagegen entschieden, weil aufgrund fundierter und gesicherter Ermittlungserkenntnisse ausgeschlossen werden konnte, dass die drei Burschen Komplizen hatten. Es habe zu Beginn der Veranstaltung "keine konkrete Gefährdungslage" mehr bestanden.
Nun müsse das umfangreiche Beweismaterial, darunter Handys, Wurfsterne, Gasdruckwaffen sowie ein Säbel und die sichergestellten Datenträger, ausgewertet werden. Die Hausdurchsuchungen hätten in Wien und St. Pölten stattgefunden. Laut "Kurier" soll der 14-jährige Bursche unter seinem Bett eine Axt gehortet haben. Die Staatsanwalt St. Pölten hat die Festnahme der drei angeordnet, sie wurden in die dortige Justizanstalt eingeliefert.
Die Verdächtigen waren in den Fokus des Staatsschutzes geraten, weil sie laut Haijawi-Pirchner der radikalislamistischen Szene angehören und sich im Internet einschlägig in diese Richtung betätigt haben sollen. Dabei waren sie Beamten der DSN aufgefallen. Gegen einen von ihnen wurde in der Vergangenheit bereits wegen terroristischer Vereinigung (§ 278b StGB) ermittelt, dieses Verfahren wurde von der zuständigen Staatsanwaltschaft eingestellt.
Bekanntlich dürfte sich der Wien-Attentäter, der am 2. November 2020 in der Bundeshauptstadt einen Terror-Anschlag verübte und dabei vier Unbeteiligte erschoss, unter anderem in der Wohnung eines radikal-islamistischen Predigers in St. Pölten radikalisiert haben. Nach derzeitigem Ermittlungsstand kannten die nunmehr festgenommenen Verdächtigen weder den Attentäter noch den salafistischen Prediger Argjend G., dessen Wohnung in St. Pölten der spätere Wien-Attentäter mehrmals aufgesucht hatte, persönlich, wie Haijawi-Pichner auf APA-Anfrage erläuterte. Allerdings dürften sie in Chatgruppen im Internet mit Personen aus diesem Umfeld zusammengetroffen sein. "Die Gruppe der Islamisten wird immer größer. Und jünger", betonte der DSN-Direktor.
Verdächtige waren "unter ständiger Kontrolle"
Für die Teilnehmer an der Parade habe "zu keiner Zeit eine dezidierte Gefahr bestanden", hatte Haijawi-Pirchner zuvor schon auf der Pressekonferenz versichert. Der DSN habe im Vorfeld Kenntnis über die mutmaßlichen Pläne der online radikalisierten und mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisierenden Verdächtigen erhalten, sie "unter ständiger Kontrolle" gehalten und nach Hausdurchsuchungen am Samstag, die diverses Beweismaterial, darunter Waffen, zutage förderten, auf Anordnung der Staatsanwaltschaft St. Pölten festgenommen.
Die drei jungen Männer, österreichische Staatsbürger bosnischer bzw. tschetschenischer Herkunft, hätten einen Anschlag "mit Messer oder Kfz" durchzuführen geplant, hieß es. Sie hätten einen "Anschlag in Wien" geplant gehabt, mit der Regenbogenparade als "mögliches Ziel". Der 14-Jährige ist tschetschenischer Herkunft, die beiden anderen stammten ursprünglich aus Bosnien, wie der DSN-Chef ausführte.
Wie Haijawi-Pirchner ausführte, habe zu keiner Zeit eine "dezidierte Gefahr" bestanden. Die mutmaßlichen Täter seien "engmaschig" überwacht worden. Diese hätten online Inhalte des IS geteilt. Auch Hinweise auf Waffenkäufe im Ausland habe man erhalten. Das Trio wurde noch vor dem Beginn der Parade von Kräften des Einsatzkommandos Cobra festgenommen.
Einer der Verdächtigen habe über ein Fahrzeug verfügt. Dazu seien aber weitere Ermittlungen notwendig, ob er dieses auch einsetzen habe wollen. Auch müsse erst untersucht werden, ob die Gasdruckwaffen eventuell umgebaut oder adaptiert worden seien.
Wollte Panikreaktion der Teilnehmer vermeiden
Der Veranstalter der Regenbogenparade sei erst am Sonntag über die Geschehnisse informiert worden. Man habe keine Panikreaktionen unter den Teilnehmern erzeugen wollen, zumal der Polizeizugriff ja schon erfolgt gewesen sei. Laut Haijawi-Pirchner sollen die drei bereits entsprechende Vorbereitungshandlungen durchgeführt haben: "Es gab ein entsprechendes Gefahrenmoment im Vorfeld, dass aber ganz abgefangen werden konnte."
Inwieweit sich das Gefahrenmoment konkretisiert hatte, wollte Haijawi-Pirchner mit dem Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht sagen. Die Gefährdung der LGBTIQ-Community habe zuletzt jedenfalls zugenommen - "nicht nur von islamistischer, sondern auch von rechtsextremer Seite", wie der DSN-Direktor gegenüber der APA bemerkte. Es sei Aufgabe des Staates und seiner Behörden, diese Gruppe vor Angriffen zu schützen.
Für die an der Regenbogenparade teilnehmenden Politiker seien die entsprechenden Sicherungs- und Schutzkonzepte gestern umgesetzt worden. Wie diese genau ausgesehen haben, wollte der DSN-Leiter nicht verraten, um diese in Zukunft nicht zu gefährden. Auf Nachfrage der APA, erklärte Haijawi-Pirchner, gegen Künstler, die im Rahmen bzw. bei der Abschlusskundgebung der Regenbogenparade am Rathausplatz auftraten, habe es kein Bedrohungsszenario gegeben. An der Parade hatte unter anderem Conchita Wurst teilgenommen, die immer wieder Anfeindungen ausgesetzt ist, am Rathausplatz legte der offen bisexuelle deutsche DJ Felix Jaehn auf.
LGBTIQ-Community für viele ein "intensives Feindbild"
Die Wiener Polizei habe "alle erdenklichen Maßnahmen und Vorkehrungen" getroffen, um die Veranstaltung zu sichern, betonte Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl. Insgesamt standen 700 Beamte im Einsatz, darunter wegen der Warnung durch den Staatsschutz auch Spezialkräfte. Die größte Gefährdung gehe von radikalisierten Einzeltätern aus, die aus eigenem Antrieb oder über Auftrag bzw. in Absprache mit terroristischen Organisationen handelten, so Pürstl: "Einzelattacken müssen wir immer im Fokus haben." Gerade die LGBTIQ-Community stelle für viele ein "intensives Feindbild" dar.
Wie DSN-Direktor Haijawi-Pirchner mitteilte, waren auch etliche Polizistinnen und Polizisten aus den Bundesländern beigezogen worden, um die Sicherheit der Veranstaltung gewährleisten zu können. Haijawi-Pircher schätzte, dass - alle Einsatzkräfte zusammengenommen - insgesamt rund 3.000 Beamtinnen und Beamte im Zusammenhang mit der Parade Dienst versehen haben dürften.
Katharina Kacerovsky-Strobl, Organisatorin der Veranstaltungsreihe Vienna Pride mit der Regenbogenparade am Wiener Ring als Höhepunkt, sagte in einer ersten Stellungnahme auf APA-Anfrage, was die Bedrohung für die Durchführung des Groß-Events bedeuten könnte: "Wir hoffen, uns für die Zukunft gemeinsam mit der Stadt Wien noch besser im Hinblick auf solche Gefahren aufstellen zu können."