Eine neue Studie von Caritas und Sozialforschungsinstitut Sora stellt Armutsbetroffene in den Mittelpunkt und zeigt, dass sich deren Situation durch die Teuerung verschlechterte. "Kurz waren auch wir sprachlos", so der Caritasdirektor der Erzdiözese Wien Klaus Schwertner, der Reformen forderte.
Für die Studie mit dem Titel "Unterm Radar" wurden 407 Klientinnen und Klienten der Caritas – unter ihnen etwa Mindestpensionisten und Alleinerzieherinnen – in Wien und Niederösterreich befragt. Stellvertretend würden sie für 201.000 Menschen in Österreich stehen, die als stark armutsbetroffen gelten – 40.000 Menschen mehr als noch vor einem Jahr. 1,5 Millionen Menschen und damit 17,5 Prozent der Bevölkerung in Österreich sind außerdem armuts- und ausgrenzungsgefährdet. Die letzten Monate seien "beispiellos" gewesen, sagte auch Doris Anzengruber, Leiterin der Caritas-Sozialberatungsstelle in Wien, bei einer Pressekonferenz. Der Druck auf die Menschen habe zugenommen, der Bedarf an Hilfe übersteige die Möglichkeiten der Caritas. Mit der Studie wolle man armutsbetroffenen Menschen "eine Stimme und ein Gesicht geben", so Schwertner.
Unerwartete Ausgaben für viele nicht machbar
Unabhängig von Erwerbsstatus und Ausbildung geben über 70 Prozent an, unter erheblicher materieller und sozialer Deprivation zu leiden. In Zahlen bedeutet das etwa, dass sich 98 Prozent der befragten Klienten unerwartete Ausgaben in Höhe von 1300 Euro nicht mehr leisten können (im Vergleich zu 29 Prozent der österreichischen Bevölkerung). 94 Prozent können sich regelmäßige Freizeitaktivitäten nicht leisten (Bevölkerung: 25 Prozent), 76 Prozent ein Hauptgericht nur an jedem zweiten Tag (Bevölkerung: 9 Prozent), 73 Prozent das Warmhalten der Wohnung (Bevölkerung: 11 Prozent) und 70 Prozent das Ersetzen abgetragener Kleidung (Bevölkerung: 7 Prozent).
92 Prozent stimmten sehr oder ziemlich zu, dass sie ihren Verbrauch bei Strom, Heizen und Treibstoff seit dem Sommer deutlich verringern mussten, 85 Prozent gaben an, sich wegen des Kostenanstiegs verschulden zu müssen oder auf finanzielle Hilfe angewiesen zu sein, 83 Prozent wussten nicht, wie sie diese Zeit ohne die Unterstützung von Hilfsorganisationen überbrücken sollten. Durch die gestiegenen Preise habe sich sowohl die finanzielle Situation als auch die Lebenszufriedenheit sowie die psychische wie körperliche Gesundheit der Klientinnen und Klienten verschlechtert, berichtete Ogris. Auch die Beziehungen zu Familie und Freunden litten. Menschen würden gerne helfen, aber überfordert sein, wenn sie mit dieser Hilfe dauerhaft nicht erfolgreich seien. Dann würden sie sich zurückziehen, so der Sozialforscher.
Unterstützungsbedarf hätten die Befragten bei "zutiefst menschlichen Bedürfnissen", so Ogris – Finanzielles, leistbares Wohnen, körperliche und psychische Gesundheit rangieren dabei auf den ersten Plätzen. Die Menschen würden "mehr Caritas, und mehr als Caritas" brauchen, plädierte der Sozialforscher für "Existenzsicherung statt Einmalzahlungen". Notwendig sei eine Politik, die die Menschen aus der Hilfsbedürftigkeit herausheben, sagt Ogris. Auch Schwertner und Anzengruber sprachen sich für dauerhafte Hilfen aus. Zu Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern der Politik würde man laut Schwertner allerdings schwer durchdringen.
86 Prozent gaben an, ein Zuschuss zu Wohn- und Energiekosten würde ihre Situation sehr oder ziemlich verbessern. Das Gleiche gaben 79 Prozent bei einer möglichen Anhebung von Sozialleistungen, 78 Prozent bei einer Anhebung von zu niedrigen Arbeitseinkommen, um von diesen leben zu können, an. Die Meinungen zu politischen Maßnahmen unterschieden sich zwischen den Klienten und der Allgemeinbevölkerung nur geringfügig. So unterstützten 94 Prozent der Klienten und 89 Prozent der Bevölkerung etwa die Aussage, dass Unterstützungen gegen die Teuerung zuerst armutsgefährdeten Haushalten zugutekommen müssen, 94 Prozent der Klienten und 83 Prozent der Bevölkerung sprachen sich für die dauerhafte Erhöhung der Sozialleistungen statt Einmalzahlungen aus, 90 Prozent der Klienten und 84 Prozent der Bevölkerung sahen den sozialen Zusammenhalt in Österreich geschwächt, wenn die Politik die Folgen der Teuerung nicht wirksam bekämpft. "Die Ergebnisse machen die Solidarität in Österreich deutlich", kommentierte Schwertner. Nur 22 Prozent der Klienten und 23 Prozent der Bevölkerung sahen Menschen, wie sich selbst im Zuge der Teuerung konkret unterstützt.