Die Zwangsheirat ist seit 2016 in Österreich ein eigener Straftatbestand, bedroht mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Auch Dritte können gegen die "Nötigung zur Ehe vorgehen", ohne die Zustimmung der Ehepartner selbst. Die genauen Zahlen, wie viele Zwangsehen es in Österreich überhaupt gibt, lagen bislang aber im Dunkeln, es gab lediglich Schätzungen. Nun hat sich das Institut für Konfliktforschung (IKF) in Wien im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) genauere Details dazu erhoben. Dazu wurden Anfang 2022 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe (KJH) in ganz Österreich online befragt.
Im Jahr 2021 gab es in Österreich demnach 54 Verdachtsfälle von Zwangsheirat. Die Dunkelziffer dürfte aber höher sein. Zum einen, da die Zwangsehen nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar sind und zum anderen, da nicht jede dieser gemeldet wird. Das IKF geht aus diesem Grund von einer höheren Dunkelziffer aus.
"Die Kinder- und Jugendhilfe unterstützt grundsätzlich Personen bis zum Alter von 18 Jahren. Viele Opfer von Zwangsheirat sind jedoch älter und werden in diesem Zusammenhang nicht erfasst. Als Ergebnis der Befragung kann von einer Größenordnung von insgesamt rund 200 Fällen von Zwangsheirat in Österreich pro Jahr ausgegangen werden, diese diesbezüglichen Schätzungen wurden somit validiert", sagte Studienautorin Birgitt Haller vom IKF.
Drei Gruppen von Betroffenen
Drei Gruppen haben sich in der Studie kristallisiert: Das eine seien Mädchen der zweiten oder dritten Zuwanderergeneration mit österreichischer Staatsbürgerschaft, erklärte Haller gegenüber Ö 1. Eine zweite Gruppe seien Mädchen und junge Frauen, die gezielt aus dem Ausland geholt werden, um in Österreich verheiratet zu werden. "Und die dritte Gruppe sind junge Frauen und Mädchen, die nach Österreich geflüchtet sind", so Haller.
Zwangsehen sind demnach meist in Traditionen oder kulturell begründet. "Häufig werden Zwangsehen aufgrund von althergebrachten Geschlechtervorstellungen oder dem Ehrkonzept vollzogen, um beispielsweise die Sexualität von Mädchen zu kontrollieren, oder die 'Ehre' etwa nach einer Vergewaltigung wiederherzustellen. Die finanzielle Absicherung der Eltern oder der Betroffenen selbst, etwa wenn es sich um Mädchen mit Lernschwierigkeiten oder einer körperlichen Behinderung handelt, spielt auch häufig eine Rolle", sagte Haller.
Nicht nur Religion als Ursache
Anzunehmen, nur Religion sei die Ursache für die Schließung einer Zwangsehe, ist den Studienergebnissen zufolge zu kurz gegriffen. Zwangsehen, so Haller, könne man in allen religiösen Gruppen finden. Aber, die Religion würde oft als Vehikel benutzt, um die in Österreich rechtlichen Vorschriften zu umgehen. Vor allem dann, wenn sehr junge Jugendliche verheiratet würden. Hier sei die religiöse Heirat ein Ausweg, der dann erst später, wenn die Jugendlichen alt genug sind, durch eine nachträgliche zivile Hochzeit legitimiert werde.
Nicht die Betroffenen selbst melden die Zwangsehe, meist sind es Personen aus deren Umfeld – etwa Lehrerinnen oder Lehrer. Um Zwangsehen einzudämmen, brauche es mehr Aufklärungsarbeit, so Haller gegenüber dem Morgenjournal.