Zeliha Çiçek möchte unsichtbar sein. Doch als kopftuchtragende Frau kann sie das nicht. "Es ist so, als wäre ich ein politisches Symbol für eine Politik, die ich nicht vertrete", sagte sie, als sie beschließt, ihr Kopftuch für immer abzulegen. Der Wunsch, ein unsichtbares Leben zu führen, erfüllt sich dadurch aber nicht. In den Augen ihrer alten Gemeinschaft wird sie zur Verräterin, wird kontrolliert und beobachtet.
Zuerst war es nur für ein paar Stunden, irgendwann trug sie den ganzen Tag über keinen Schleier, ging ohne Kopftuch zur Arbeit. Zu dieser Zeit unterrichtete die heute 46-Jährige als Religionslehrerin an einer Wiener Schule. In Österreich bestimmen die jeweiligen Glaubensgemeinschaften, wer im Fach Religion unterrichten darf. Das Bildungsministerium ist für die Besetzung der Lehrkräfte nicht zuständig. Als Çiçek ohne Kopftuch in die Klasse kommt, wird sie ermahnt.
Privataufnahmen auf Lehrerkonferenz
Die IGGÖ, islamische Glaubensgemeinschaft, nennt das Tragen eines Kopftuches offiziell als kein Einstellungskriterium, um als Religionslehrerin arbeiten zu dürfen. Laut Sprecherin Valerie Mussa gäbe es eine Vielzahl an Studentinnen, die aktuell islamische Religionspädagogik oder Theologie studieren und kein Kopftuch tragen. Eine genaue Erhebung gibt es nicht. Laut Bildungsministerium unterrichten derzeit 568 islamische Lehrpersonen an österreichischen Schulen.
Çiçek war eine von ihnen. Als bei einer Islam-Lehrerinnen-Versammlung private Fotos von der Wienerin gezeigt werden, kommt es zum Streit. Auf den Bildern war Çiçek ohne Kopftuch zu sehen. Daraufhin habe die IGGÖ der Lehrerin gedroht, ihre Stammschule wegzunehmen, sie nach Niederösterreich zu versetzen, mit einer Lehrverpflichtung an drei Standorten. Ende 2020 hat Çiçek genug. Sie fängt einen neuen Job als Integrationslehrerin an und beschließt, die IGGÖ auf Diskriminierung und Verdienstentgang – rund 60.000 Euro – zu klagen.
Das Verfahren läuft aktuell vor dem Arbeits- und Sozialgericht. Der vierte Verhandlungstag ist für April anberaumt. Auf Nachfrage der Kleinen Zeitung will die IGGÖ keine weitere Stellungnahme zu den Vorwürfen abgeben.
Islamkonferenz fordert "mehr Offenheit"
Der Religionsunterricht soll demnächst auch Thema der am Montag präsentierten Österreichischen Islamkonferenz werden, die erstmals am 24. Juni stattfinden soll. Das kündigte der österreichische Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide an, der das Vorgehen der IGGÖ kritisiert und sich "mehr Offenheit" gegenüber Frauen wie Çiçek wünscht.
Diese Hoffnung hat auch die 46-Jährige. Mit ihrer Geschichte will sie anderen Frauen Mut machen: "Ich war mein Leben lang fremdbestimmt und musste mich an irgendwelche scheinheiligen Regeln halten, weil Allah das von mir will. Das ist aber nicht der Wille Gottes, das ist der politische Islam." Mit 14 Jahren wurde Çiçek verlobt, mit 16 heiratete sie ihren Cousin und wurde mit 18 zum ersten Mal Mutter. Nach 19 Jahren Ehe, Gewalt und drei gemeinsamen Kindern ließ sie sich scheiden und ging mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. Bis gestern spielte Çiçek im Stück "What did you do when Lady Di died?" von Katharina Kummer im Werk X in Wien mit und präsentierte dort einen Teil ihres vergangenen Lebens.
Ihr ältester Sohn hat seit einigen Wochen den Kontakt zu ihr abgebrochen. Der 28-Jährige ist Imam und akzeptiert die Entscheidung seiner Mutter nicht, ein Leben ohne Kopftuch zu führen. "In einem unserer letzten Gespräche sagte er zu mir, du hast mir als Mutter noch gefallen, als du beim Reden auf den Boden geschaut hast", sagt Çiçek.
Die 46-Jährige wolle sich den kontrollierenden Blicken anderer nicht mehr unterwerfen. Vielmehr wolle sie jungen Muslimas erklären, dass Religion nichts mit politischem Islam zu tun habe. Denn, "wer eine Gesellschaft verändern will, fängt bei den Frauen an".
Daniela Breščaković