Nach den nicht rechtskräftigen Urteilen im Prozess gegen mutmaßliche Unterstützer des Attentäters von Wien, der am 2. November 2020 in der Innenstadt vier Personen getötet hat, tun sich Fragen nach allfälligen weiteren Beitragstätern auf, die zwar nicht am Anschlag selbst beteiligt waren, aber dem Attentäter im Vorfeld die Tatausführung mitermöglicht haben könnten. Das bezieht sich vor allem auf einen unlängst in Wien verurteilten Islamisten und einen Waffenhändler.
Der 24-Jährige Islamist war im vergangenen Oktober vom Wiener Landesgericht wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation schuldig erkannt worden, weil er radikalen Gesinnungsgenossen - darunter auch dem Wien-Attentäter - die Ideologie der Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) nahe gebracht und dem Attentäter somit das geistige Rüstzeug für sein terroristisches Handeln geliefert hatte. "Sie sind ein IS-Mann. Davon sind wir überzeugt", hieß es damals in der Urteilsbegründung.
Der 24-Jährige war am 3. November 2020 wenige Stunden nach dem Terror-Anschlag festgenommen worden. Er hatte in einer eigens angemieteten Wohnung in St. Pölten Treffen für IS-Befürworter und -Sympathisanten veranstaltet und Predigten mit IS-Inhalten gehalten. Auch der spätere Attentäter fand sich mehrfach in der Wohnung ein, mit dem der in St. Pölten geborene und dort aufgewachsene Mann seit 2017 befreundet war.
Kein Nachweis möglich
Während er für die Vorgänge in der St. Pöltner Wohnung mittlerweile rechtskräftig zu 27 Monaten Haft verurteilt wurde, konnte dem 24-Jährigen eine direkte Beteiligung am Anschlag oder konkrete Mithilfe bei Vorbereitungshandlungen bzw. Mitwissen bisher nicht nachgewiesen werden. Ein diesbezügliches Ermittlungsverfahren ist noch offen. Der 24-Jährige stritt vor Gericht seine Kontakte zum Attentäter nicht ab, betonte aber, strafrechtlich sei ihm das nicht vorzuwerfen. Zuletzt habe er mit diesem am 31. Oktober oder 1. November 2020 - also unmittelbar vor dem Attentat - zu tun gehabt, jedoch in einer ganz anderen Angelegenheit.
Der 24-Jährige behauptete konkret, der Attentäter habe seine Wohnung nicht mehr bezahlen können, er sei deswegen in der Nacht von St. Pölten zur Wohnung des Attentäters gefahren. Dieser habe aber auf sein Klopfen nicht reagiert und ihm nicht aufgemacht. Er habe diesen fragen wollen, ob er Geld brauche.
Lebenslänglich für Waffenhändler
Abgesondert verfolgt wird von der Staatsanwaltschaft Wien auch ein slowenischer Waffenhändler namens Marsel O. Ein 32-Jähriger Mann tschetschenischer Abstammung wurde in der Nacht auf Donnerstag im Prozess um die Helfer des Attentäters zu lebenslanger Haft verurteilt worden, weil die Geschworenen einstimmig zur Ansicht gelangten, dass dieser unter anderem Marsel O. aufgefordert hatte, ein Sturmgewehr samt passender Munition zu beschaffen. Marsel O. lieferte beides nach Wien, der gebürtige Tschetschene übergab die Ware dann dem Attentäter, der diese für seine Anschlagspläne benötigte.
Im nach Mitternacht zu Ende gegangenen Prozess um die Helfer des Attentäters wurde der Tschetschene als Einziger der sechs Angeklagten nicht dem IS zugerechnet. Obwohl er somit vom Vorwurf, sich terroristisch betätigt zu haben freigesprochen wurde, setzte es für seine Beteiligung an der Waffenbeschaffung eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Geschworenen werten das als Beitrag zu vierfachem Mord und mehrfachen Mordversuch - allerdings nur mit 5:3 Stimmen. Hätte ein einziger weiterer Geschworener das anders gesehen, wäre der 32-Jährige lediglich nach dem Kriegsmaterial- und dem Waffengesetz schuldig erkannt und vermutlich zu einer Haftstrafe verurteilt worden, die unter Anrechnung der U-Haft - der Mann befindet sich seit 21. Dezember 2020 im Gefängnis - als verbüßt anzusehen gewesen wäre. Bei einem Simmen-Quorum von 4:4 wäre der Beitrag zum Mord somit vom Tisch gewesen und der 32-Jährige möglicherweise nach der Verhandlung enthaftet worden. Stattdessen kassierte er lebenslang - seine Verteidigerin Astrid Wagner meldete dagegen allerdings Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an.
Mehr Glück für zwei Angeklagte
Mehr Glück hatten zwei Angeklagte, die mit jeweils 6:2 Stimmen vom Vorwurf der Beteiligung am Mord als terroristischer Straftat freigesprochen wurden. Einem 23-Jährigen nahmen die Laienrichter mehrheitlich ab, dass er den Attentäter zwar in die Slowakei chauffiert und in ein Waffengeschäft begleitet hatte, wo dieser Munition für sein Sturmgewehr kaufen wollte, dabei aber keine Kenntnis von dessen terroristischen Plänen hatte. Der 23-Jährige wurde wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und Verbreitens von IS-Propaganda zu 24 Monaten Haft verurteilt, davon acht Monate unbedingt. Den unbedingten Strafteil hat der Mann in der U-Haft verbüßt, aus der er schon vor längerer Zeit entlassen worden war.
Ein 22-Jähriger saß demgegenüber seit 6. November 2020 in U-Haft, weil ihm vorgeworfen wurde, dem Attentäter am Tag des Anschlags bei der Vorbereitung geholfen und bestärkt zu haben, den Anschlag durchzuziehen. Davon wurde er mit 6:2 Stimmen freigesprochen. Für Mitgliedschaft beim IS und Verbreitens von IS-Propaganda erhielt der 22-Jährige ebenfalls 24 Monate, davon acht Monate unbedingt.
Nichtigkeit und Berufung
Wie sein Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger am Donnerstag berichtete, wurde der 22-Jährige unmittelbar nach der Verhandlung nach 27-monatiger U-Haft gegen 1.30 Uhr aus der Justizanstalt Josefstadt entlassen. "Er ist überglücklich, jetzt bei seinen Eltern zu sein", meinte Arbacher-Stöger im Gespräch mit der APA. Sein Mandant wolle sich "so schnell wie möglich eine Arbeit suchen" und "ein neues Leben beginnen. Er möchte das alte komplett hinter sich lassen". Zur Entscheidung der Geschworenen bemerkte Arbacher-Stöger: "Der Rechtsstaat hat hundertprozentig funktioniert. Die Geschworenen haben den Sachverhalt richtig erkannt und meinen Mandanten vom Vorwurf der Beteiligung am Mord freigesprochen."
Anders sahen das neben Verteidigerin Wagner auch die Rechtsvertreter des Dritt-, Viert- und Sechstangeklagten, die gegen die Urteile bereits Nichtigkeitsbeschwerden und Strafberufungen eingelegt haben. Ein 24-Jähriger, der den Attentäter bereits 2019 zum IS nach Syrien begleiten wollte, fasste 20 Jahre aus. Sechs von zwei Geschworenen waren überzeugt, dass er an Vorbereitungen am Anschlag und an der geplanten Flucht des Attentäters beteiligt war sowie diesen i Richtung Tatbegehung bestärkt und damit einen Beitrag zum Mord gesetzt hatte.
Zufrieden mit Ergebnis
Ein 28-Jähriger erhielt lebenslang, weil er nach Ansicht von sieben Geschworenen den Attentäter ab Mitte Juli in dessen terroristischen Plänen bestärkt sowie die Tatwaffen samt Munition vorbereitet hatte. Einstimmig im Sinne einer Beteiligung am Mord fiel der Wahrspruch der Geschworenen bei einem 23-Jährigen aus, auf dessen Spur die Strafverfolgungsbehörden erst relativ spät gekommen waren. Der Mann wurde erst am 12. April 2021 in U-Haft genommen. Weil er nach Dafürhalten der Geschworenen den Terror-Anschlag förderte, indem er sich ab April 2020 dafür einsetzte, dass der Attentäter an Schusswaffen kam und diesem im Juni 2020 den Kontakt zum 32-jährigen Tschetschenen vermittelt hatte, fasste er 19 Jahre Haft aus.
Sämtliche Urteile sind nicht rechtskräftig, da die Staatsanwältin zu allen sechs Angeklagten bzw. Verurteilten vorerst keine Erklärung abgab. Die Anklägerin hat drei Tage Zeit, um allenfalls Rechtsmittel anzumelden.