Militärexperten sind selten Verbreiter guter Nachrichten. Geht es um die weitere Entwicklung der Bedrohungslage, werden die Prognosen besonders düster. „Alle Megatrends weisen auf eine Verschlechterung hin“, sagte Brigadier Peter Vorhofer am Freitag bei der Präsentation des „Risikoberichts 2023“, an dem er maßgeblich mitgewirkt hat.
Das 262 Seiten starke Dokument trägt den Titel „Krieg um Europa“ – ein Krieg, der für Verteidigungsministerin Klaudia Tanner auf drei Ebenen geführt wird: „Russland gegen die Ukraine, gegen die westlichen Werte und gegen die europäische Wirtschaft.“
Blitzartige Herausforderung
Doch hätten vor allem die europäischen Zivilgesellschaften noch nicht begriffen, „dass sie wieder Teil eines Konfliktes sind, auch wenn sie keine Uniform tragen“, warnte Vorhofer. Die Aussagen des Leiters der Direktion für Verteidigungspolitik gaben nicht nur den anwesenden Wehrsprechern der Parteien zu denken: „Bei einem Angriff auf einen EU-Mitgliedsstaat, egal ob konventionell oder unterhalb der militärischen Schwelle, wird Österreich blitzartig in eine sicherheitspolitische Herausforderung kommen“. Entscheidende Frage: Wird Österreich der EU-Beistandspflicht nachkommen oder sich auf die „Irische Klausel“ berufen und die EU-Außenverteidigung den anderen überlassen.
Auf der Bedrohungsskala des Bundesheeres steht das „Neutralitätsrisiko“ weit oben, als Folge einer möglichen weiteren Eskalation des Ukrainekriegs. Ebenso als (sehr) wahrscheinlich eingeschätzt: „Neutralitätswidrige Nutzung des Staatsgebietes“ und Angriffe aus der Luft (Flugzeuge, Drohnen, Raketen). Die Experten listen aber mehr als nur militärische Bedrohungen auf, zudem warnen sie davor, andere Krisenherde aus den Augen zu verlieren. „Die Systemkonkurrenz zwischen USA und China wird uns noch massiv begleiten“, sagte Vorhofer. Man wisse auch nicht, ob neue Virusvarianten auftauchen. Gepaart mit den Auswirkungen des Klimawandels, die wohl erst in einigen Jahren voll durchschlagen werden, werde die Resilienz Österreichs auf eine harte Probe gestellt.
Was immer Europa auch bedroht: Die Antworten darauf liegen in einer stärkeren Zusammenarbeit der EU-Staaten in Sicherheits- und Verteidigungsfragen. Darin war sich die Expertenrunde einig. Mit kräftiger Unterstützung der USA werde man wohl nicht mehr rechnen können. Die deutsche Sicherheitsexpertin Ulrike Franke sieht Österreichs Rolle in der EU kritisch. „Man wird sich stärker positionieren müssen. Ich weiß nicht, ob die Neutralität noch so ein Zukunftsthema ist.“
Große Flächen, wenige Streitkräfte
Generalmajor Bruno Günter Hofbauer sagte im Hinblick auf die europäische Rüstungssituation ganz klar: "Wir sind nicht vorbereitet." Es gebe "keine europäischen Verteidigungsplanungen". Die Pläne, die bestünden, bezögen sich "out of area", auf Gebiet außerhalb der EU. Aber auch in Österreich: "55.000 österreichische Soldaten sind auf gar keinem Fall in der Lage, das gesamte Bundesgebiet zu schützen", erklärte Hofbauer. Es gelte, mithilfe von Technologie zur richtigen Zeit am richtigen Ort im Einsatz zu sein.
Tanner sagte, dass "nichts daran vorbeiführt, dass wir nachrüsten müssen", damit das Bundesheer seine Aufgaben zum Schutz der Bevölkerung leisten könne. Neben hybriden Bedrohungen hätten nun auch jene der konventionellen Kriegsführung an Bedeutung gewonnen. Mit dem erhöhten Budget von 16 Milliarden Euro für vier Jahre könne Österreich "viele Investitionen tätigen".
Reserven aufbauen
Der steirische Militärexperte Franz-Stefan Gady vom International Institute for Strategic Studies (IISS) betonte, dass man vom Ukraine-Krieg zwei Ansätze ableiten könnte. Wichtig sei, dass das Bundesheer den "Kampf der verbundenen Waffen", also das Zusammenspiel aller Waffengattungen beherrsche. Und die Streitkräfte müssten sich im Ernstfall auch regenerieren können. Gady schlug die Anwerbung "guter Leute" als Reservisten sowie verpflichtende Milizübungen vor. "Die konventionelle Abschreckung zu steigern, ist wie eine Versicherungspolizze." Dies verringere das Risiko eines Kriegs, so Gady. Außerdem appellierte der Experte, "die nukleare Dimension" des Ukraine-Kriegs nicht zu vernachlässigen.
Plan für Energiewende fehlt
Gerhard Christiner, der Vorstand von Austrian Power Grid AG, sprach etwa die Gefahr eines Blackouts an. Er forderte einen konkreten Plan für die Energiewende in Österreich. So würden Windparks gebaut, bevor es Stromnetze gebe, und Genehmigungsverfahren dauerten viel zu lang. "Wenn wir so fahrlässig weiterfahren, ist das Risiko da, dass es irgendwann ein Blackout gibt", warnte er.