In der Diskussion um den anhaltenden Engpass bei Arzneimitteln fordert die Pharmaindustrie höhere Preise für Medikamente. Peter Lehner, Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger, kann dem nichts abgewinnen: "Wenn ein Produkt nicht verfügbar ist, dann wird es nicht verfügbar, wenn es teurer wird", sagte er im Ö1-Morgenjournal. "Das heißt, ein höherer Preis führt nur dazu, dass die Gewinne der Pharmawirtschaft größer werden."
Die Produktion sei auch nicht aus Europa nach Asien abgewandert, "weil es hier nicht möglich wäre, sondern es geht darum, die Gewinne zu maximieren. Das ist in der Wirtschaft normal. Daher hilft ein höherer Preis nicht, und jedes Unternehmen hat die Möglichkeit, einen höheren Preis bei der Sozialversicherung auch zu beantragen." Mehr als 90 Prozent dieser Anträge seien zum Beispiel 2020 genehmigt worden.
Lieferengpässe und Rohstoffknappheit
Neu sei die Knappheit bei bestimmten Medikamenten nicht, man kenne das seit Jahren. "Heuer und nach der Pandemie ist es etwas intensiver ausgeprägt", sagte Lehner. "Es gibt Planungsfehler und natürlich kämpfen die Pharmaunternehmen mit den gleichen Problemen, mit denen alle anderen Branchen auch kämpfen. Wir sprechen hier von Rohstoffknappheit, von Lieferengpässen, aber natürlich die großen Themen sind auch in diesem Bereich die Fachkräftesituation in der Pharmaunternehmung."
"Die aktuelle Situation, was Verkühlungen, was Erkrankungen betrifft", sei zudem für Europa falsch eingeschätzt worden. "Wir hatten am 12. Dezember den stärksten Tag im niedergelassenen Bereich in der Sozialversicherung. 725.000 E-Card-Steckungen an einem Tag", so Lehner. "Die Welle der Grippe und der Verkühlungen, Erkrankungen, RSV zieht über Österreich drüber" und die Pharmawirtschaft habe sich verschätzt.
Produktion nach Europa zurückholen
Dass die Produktion nicht mehr in Europa stattfinde, sei "kein österreichisches Problem, das ist ein europäisches Problem, dass wir die Wirkstoffe nicht mehr hier produzieren". Der Pharmabereich sei der drittgrößte Ausgabenbereich der Sozialversicherung nach den Spitälern und den ärztlichen Hilfen. "Wenn wir mehr zahlen, brauchen wir auch mehr Versorgungssicherheit. Das heißt, nicht nur Geld zu zahlen, sondern damit auch zu verknüpfen, dass wir diese Versorgungssicherheit in Europa sicherstellen. Das heißt, Produktion nach Europa zurückholen. Das ist das Gebot der Stunde", so Lehner.
Globale Lieferketten und deren Schwachstellen untersucht Peter Klimek vom Complexity Science Hub in Wien. Er nennt für die aktuellen Lieferprobleme u.a. die erhöhte Nachfrage als Ursache, aber auch die Reduktion der Produktion auf wenige Standorte, führte er im Ö1-Morgenjournal aus. Häufig gebe es nur noch ein Unternehmen, das bestimmte Substanzen herstellt, aus Kostengründen oft in Billiglohnländern. Die Engpässe seien "ein europäisches, wenn nicht globales Thema", daher brauche es ein EU-weit einheitliches Vorgehen und entsprechende Einkaufspolitik wie bei den Corona-Impfstoffen.
600 Medikamente eingeschränkt verfügbar
Vorschläge wie die Wirkstoffverschreibung – Ärztinnen und Ärzte verschreiben nicht mehr bestimmte Präparate, sondern Wirkstoffe – hätten ebenfalls Tücken, so indes Dachverbands-Chef Lehner. Es bestünde die Gefahr, "dass sich die Anzahl der Lieferanten noch einmal reduziert" und noch mehr Abhängigkeiten entstehen. Zudem gebe es "mit den Ärzten Vereinbarungen zur ökonomischen Verschreibung von Medikamenten, mit den Apotheken existiert diese Vereinbarung nicht. Das heißt, die Gefahr ist, dass wir nicht Geld einsparen." Die positivste Berechnung gehe von 130 Millionen aus. "Es kann genauso sein, dass wir dann 55 Millionen mehr zahlen."
Mehr als 600 Medikamente waren am Dienstagvormittag vom BASG (Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen) als eingeschränkt verfügbar bzw. nicht lieferbar gelistet.