Sie sind diese Woche zu Österreichs "Wissenschaftler des Jahres" gekürt worden – unter anderem für ihre Fähigkeit, Ihre Forschungsarbeit gut zu vermitteln. Angesichts von Klima- und Artenkrise: Haben die Forscher Ihre Erkenntnisse bislang nicht gut genug erklärt?
Franz Essl: Die Wissenschaft fasst seit Jahren die Situation, vor der wir stehen, in großen, internationalen Berichten sehr deutlich und verständlich zusammen. Die Berichte des Weltklimarats und des Weltbiodiversitätsrats kennt jeder Entscheidungsträger oder sollte sie zumindest kennen, sie kommen ja auch stark in den Medien vor. Die Politik hat auf dieser Basis in den letzten Jahren auch richtige und angemessene Ziele definiert, etwa das 1,5-Grad-Ziel von Paris oder die große Übereinkunft bei der Biodiversitätskonferenz in Montreal im vergangenen Dezember. An Wissen und grundsätzlicher Einsicht fehlt es also nicht.
Woran dann?
Was fehlt, sind die Taten, die den gefassten Zielen entsprechen. Das ist kein Versagen der Wissenschaft, sondern eines der Politik.
Wie kommt das?
Eine wesentliche Rolle spielt, dass die Umwelt und ganz allgemein die Zukunft eine schwache Lobby haben, wenn es darum geht, Entscheidungen politisch auszuverhandeln. Da treffen sich Arbeitnehmervertreter, Arbeitgebervertreter und andere Interessensgruppen, aber die Umweltinteressen bekommen nicht das Gewicht, sich durchsetzen zu können. Dabei ist das Bewusstsein, dass hier ein Wandel nötig ist, in der Bevölkerung teils viel höher als in der Politik.
Wo stehen wir mit unserem Umgang mit der Welt?
Der Preis des über Jahrzehnte geschaffenen Wohlstands ist ein Ressourcenverbrauch, der die planetaren Grenzen sprengt. Bildlich gesprochen leben wir als Gesellschaft in einem sich beschleunigenden Schnellzug, der auf einen Abgrund zurast. Um ihn rechtzeitig anzuhalten, müssen wir inzwischen schon kräftig in die Bremsen steigen. Hätten wir früher damit begonnen, wäre es einfacher gegangen, aber das lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Offensichtlich ist: Weder weltweit noch in Österreich bremsen wir ausreichend.
Weil die Widerstände zu groß sind?
Natürlich gibt es Widerstände. Aber Politik bedeutet immer auch, Widerstände zu überwinden. Wäre das nicht so, hätten wir bis heute kein Frauenwahlrecht und immer noch Sklaverei. Man ist ja auch bereit, Widerstände zu überwinden, um die Stadtstraße in Wien zu bauen.
Diese Widerstände haben zuletzt neue Formen angenommen. Diese Woche haben Sie sich mit mehr als 40 anderen Forschern solidarisch mit den Klimaaktivistinnen erklärt, die Straßen blockieren. Ist das der richtige Weg?
Ich halte Formen des Protests, die sich im Rahmen der demokratischen Protestkultur bewegen, für grundsätzlich legitim, auch wenn sie irritierend sein mögen. Ich kann auch persönlich nachvollziehen, dass man verärgert ist, wenn man dadurch in einem Stau steht. Aber dieser Protest ist getragen von Leuten, die sich zu Recht starke Sorgen machen und versuchen, dieser Sorge Ausdruck zu verleihen.
Droht das Anliegen nicht nach hinten loszugehen, wenn man mit dem Protest so stark polarisiert?
Es ist sehr schwierig zu beurteilen, welche Form von Protest dem politischen Handeln am meisten förderlich ist. Diese Frage muss man sich als Klimabewegung stellen. Natürlich sind die Aktionen polarisierend. Es gibt aber auch viele Beispiele, wo ursprünglich als radikal empfundene Protestformen am Ende zu großen Errungenschaften geführt haben. Man denke etwa nur an die Bewegung der Suffragetten vor einem Jahrhundert im Kampf und Frauenrechte.
Nicht wenige Politiker werfen den Protestierenden blinden Alarmismus vor.
Es ist inzwischen wissenschaftlicher Konsens, dass wir sofort handeln müssen, um das Schlimmste abzuwenden. Der letzte Weltklimabericht zeichnet genau vor, wie es noch möglich ist, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Die Aussagen sind eindeutig: Jedes Jahr wird es noch viel schwieriger, ausreichend gegenzusteuern, der zeitliche Druck ist sehr hoch.
Aber ist es Aufgabe von Wissenschaftlern, sich in gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu positionieren?
Das ist eine wichtige Frage. Ich meine: Wenn ich zu einem Thema forsche, das gesellschaftlich so immanent bedeutsam ist wie heute die Umweltwissenschaften, ist es angemessen, die gewonnenen Einsichten und Ableitungen auch in die Gesellschaft zu tragen und sich auf Basis der Fakten und des erlangten Wissens zu positionieren. Das muss aber jeder für sich beantworten.
Kann man als Forscher noch objektiv und vorbehaltlos wissenschaftliche Erkenntnisse kommunizieren, wenn man sich einer gesellschaftspolitischen Mission verschreibt?
Das ist eine wirkliche Herausforderung, muss ich ehrlich sagen. Ich stelle mir diese Fragen oft: Wie plakativ und pointiert formuliert man in der Öffentlichkeit, um wissenschaftliche Fakten überhaupt verständlich zu machen? Wo ist die Grenze des eigenen Wirkens erreicht? Eine klare Trennlinie gibt es da nicht.
Sie haben Österreich diese Woche vorgeworfen, umwelt- und klimapolitisch versagt zu haben. Stehen wir tatsächlich so schlecht da?
Gemessen an den Notwendigkeiten und an unseren eigenen Zielen: ja. Nur ein Beispiel: Der langfristige Budgetausblick des Finanzministeriums geht davon aus, dass die Klimaziele bis 2030 nicht erreicht werden, dass damit Strafzahlungen in der Höhe von 4,7 Milliarden Euro fällig sein werden und uns das jährlich 0,2 Prozent des BIP kosten wird. Das sagt nicht eine NGO, das sind offizielle Zahlen. Wenn das das Szenario ist, auf das die österreichische Politik sehenden Auges zusteuert, wenn sie lieber Milliarden an Kompensationszahlungen in Kauf nimmt, anstatt echte Klimapolitik zu betreiben, dann kann das nicht zufriedenstellend sein. Seit Jahren gibt es kein Klimaschutzgesetz, in Sachen Biodiversität ist inzwischen jede dritte Art auf der Roten Liste, binnen 20 Jahren sind 40 Prozent der Brutvögel verschwunden.
Naturschutz ist in Österreich Ländersache. Ein Problem?
Ja. Als das nach dem Zweiten Weltkrieg so geregelt wurde, war der Naturschutz nicht mehr als eine Fußnote. Das hat sich gravierend geändert. Die Bundesländer belauern sich in der Umsetzung des Naturschutzes häufig gegenseitig, wer sich wie weit bewegt. Nötig wäre ein Rahmennaturschutzgesetz auf Bundesebene. Der neue Biodiversitätsfonds ist ein richtiger Schritt. Er müsste nur mit mehr Geld, mindestens einer Milliarde Euro, dotiert sein.
Das ist eine Menge.
Ja, das ist viel Geld. Andererseits hat das Wifo erst kürzlich eine Studie veröffentlicht, die gezeigt hat, dass in Österreich jährlich 5,7 Milliarden Euro in umweltschädliche Förderungen fließen. Mit diesem Geld subventionieren wir den Raubbau an unserer Gesellschaft.
Welche Maßnahmen würden Sie sich sonst wünschen?
Klar ist, dass es die eine "eierlegende Wollmilchsau" unter den Maßnahmen nicht gibt. Es braucht viele Mosaiksteine, um zum Ziel zu kommen. In der Land- und Forstwirtschaft müsste es viel mehr Geld geben für eine naturgemäße Bewirtschaftung, damit es sich für die Bauern rentiert. Der Schutz der Natur und des Klimas muss sich für den Einzelnen rechnen, dann wird er auch angenommen. Beim Verkehr ist eine gravierende Neuausrichtung erforderlich, mit einer Priorisierung des öffentlichen Verkehrs und keinen neuen hochrangigen Straßen mehr.
Letzteres hat die Klimaministerin veranlasst und dafür politische Prügel bezogen.
Österreich hat schon jetzt eines der dichtesten Autobahnnetze Europas und liegt auch beim jährlichen Flächenverbrauch an der Spitze. Da geht es sich nicht mehr aus, immer noch neue Autobahnen zu bauen. In der Schweiz kann man mit öffentlichen Verkehrsmitteln jeden Ort, auch einen abgelegenen, innerhalb einer Stunde erreichen.
Werden wir es noch erleben, dass unsere Gesellschaft tatsächlich nachhaltig mit unseren Ressourcen umgeht?
Ich bin besorgt, aber nicht hoffnungslos. Es gibt schon Anzeichen, dass sich Dinge auch in die richtige Richtung entwickeln, wenn man sich etwa ansieht, wie stark das gesellschaftliche Bewusstsein für die Probleme zuletzt gewachsen ist. Es gibt die Chancen, wir müssen sie halt auch nützen.