Der jüngste Vorstoß erfolgte per Offenem Brief an die Bundesregierung: Verkehrsexperten mehrerer Forschungseinrichtungen treten in dem Schreiben, das am 1. Februar 2023 veröffentlicht worden ist, dafür ein, die Tempolimits auf Autobahnen auf 100 km/h, auf Freilandstraßen auf 80 km/h und in Ortsgebieten auf 30 km/h abzusenken. Dafür gebe es "gute wissenschaftliche Gründe", heißt es in dem Brief, der von den Leiterinnen und Leitern von Verkehrsinstituten und -abteilungen der Technischen Uni Wien, der Boku Wien und der Uni Innsbruck initiiert worden ist. Die Treibhausgasemissionen des Kfz-Verkehrs könnten so laut den Forschern um zehn Prozent gesenkt werden.
Es ist nicht die erste derartige Initiative. Die Forderung nach Tempo 100 auf Autobahnen wird auch regelmäßig von den Klimaaktivisten der "Letzten Generation" erhoben. Zuletzt wurden die Protestierenden in Wien von rund 40 Forscherinnen und Forschern unterstützt, darunter der Politologe Reinhard Steurer und der Ökologe Franz Essl, der heuer zu Österreichs "Wissenschaftler des Jahres" gekürt worden ist. Die Fachleute erklärten sich mit den Aktivisten solidarisch und unterstrichen auch deren Begehren nach einem strengeren Tempolimit.
Doch was würde eine solche Maßnahme, die nun wieder emotional diskutiert wird, tatsächlich bringen? Grundsätzlich liegt der Zusammenhang auf der Hand: Wird auf den Autobahnen und Schnellstraßen langsamer gefahren, sinkt der Spritverbrauch und damit der CO₂-Ausstoß. Für den einzelnen Autobahnnutzer kann sich das deutlich auswirken. Nach Berechnungen des Umweltbundesamts stößt ein durchschnittlicher in Österreich zugelassener Pkw bei Tempo 130 je Kilometer 190 Gramm CO₂ aus, bei Tempo 100 dagegen nur 146. Eine Reduktion also um immerhin 23 Prozent.
Der Gesamteffekt ist geringer
Um die gesamte Klimawirkung des Tempolimits zu erfassen, greift diese Rechnung allerdings zu kurz. Denn einerseits gilt laut Asfinag auf mehr als einem Drittel des Autobahn- und Schnellstraßennetzes bereits jetzt ein geringeres Tempolimit. Andererseits liegt die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit der Autos auch in den übrigen Abschnitten bei weniger als 120 km/h, ergab 2020 eine Untersuchung der TU Wien. Dazu kommt, dass rund 30 Prozent der Emissionen des Straßenverkehrs aus den Auspuffen von Lkw stammen, für die auf den hochrangigen Straßen ohnedies ein 80-km/h-Limit gilt. Und: Insgesamt finden nur etwa 40 Prozent aller Fahrten auf Autobahnen und Schnellstraßen statt. Der ÖAMTC kommt deshalb zum Schluss, dass ein flächendeckender 100er eine Einsparung von maximal drei Prozent der Verkehrsemissionen bewirkt. Auf eine ähnliche Größenordnung kommt das Umweltbundesamt im Sachstandsbericht Mobilität aus dem Jahr 2018. Demnach würde die Maßnahme im Jahr 0,46 Millionen Tonnen CO₂ vermeiden. Das entspricht den Emissionen von drei Milliarden gefahrenen Pkw-Kilometern.
Deutlich höher wäre die Ausbeute, würde die Höchstgeschwindigkeit auch auf niederrangigeren Straßen gesenkt. Eine Studie der Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr hat im Herbst berechnet, welche Effekte es hätte, würden die Tempolimits auf den Autobahnen auf 100, auf den Freilandstraßen auf 80 und in Ortsgebieten abseits der Vorrangstraßen auf 30 km/h reduziert. Ergebnis: Wird gleichzeitig strenger überwacht und gestraft, ließe sich Österreichs CO₂-Ausstoß so um 2,4 Millionen Tonnen reduzieren. Das entspricht beinahe einem Drittel der Menge, die der gesamte Gebäudesektor verursacht. Parallel würde demnach der Stickoxidausstoß des Verkehrs um 46 Prozent sinken, zudem rechnen die Autoren mit 28 Prozent weniger Verkehrstoten. Der Zeitverlust für eine Durchschnittsautofahrt würde im Gegenzug um 3,2 Minuten von 17,4 auf 20,6 Minuten steigen.
Fehlende Akzeptanz
Das Umweltbundesamt jedenfalls empfiehlt strengere Tempolimits als günstige und stark wirksame politische Maßnahme. Dass sie dennoch nicht kommen, liegt an mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz. 2018 sprachen sich in einer GfK-Befragung 67 Prozent gegen eine allgemeine Temporeduktion aus. Eine Umfrage von Marketagent kam im vergangenen Herbst gar auf eine Befürwortungsquote von nur 24 Prozent. Auf "keine Mehrheit" für eine solche Maßnahme verweist auch Klima- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne). Neue Limits seien deshalb nicht geplant.