David geht es um eine bessere Welt. Er findet es gut, sich an Bilder und Straßen festzukleben oder das Geschlecht frei wählen zu dürfen. Worum es ihm nicht geht, sind Status und Geld. Er lebt von Erspartem im Gemeindebau. Seine dunkelgraue Daunenjacke hat er aus einem Kost-nix-Laden. Sein wertvollster Besitz ist sein Lastenfahrrad, das an diesem Tag randvoll mit Lebensmitteln aus der Mülltonne ist.

David isst, was andere wegwerfen. Das tut er aus Überzeugung. Er ist Dumpster, 35 Jahre alt und lebt in Wien. Vor acht Jahren wühlte er das erste Mal in einer Mülltonne. Seitdem ist Mülltauchen, also die Suche nach weggeworfenem, aber noch genießbarem Essen, für ihn zur Lebenseinstellung geworden. Rechtlich liegt die Rettung aber im Graubereich.

Wie legal ist Dumpstern?

David und seine Freunde zählen zu den wenigen Dumpstern, die auch tagsüber von Müllraum zu Hinterhof fahren, um dort vorwiegend Restmüllcontainer großer Supermarktketten und Discounter zu durchwühlen. Weil in Wien nur jene Hausanlagen, wo eine Grünanlage vorhanden ist, Biotonnen von der Stadt bekommen, werfen Handel und Anrainer kompostierbare Lebensmittel häufig in den Restmüll.

Die meisten Dumpster sind nachtaktiv. Sie schleichen bei Einbruch der Dämmerung hinaus, um unbemerkt zu bleiben. Das hat den Grund, dass Lebensmittel aus Mülleimern zu fischen in Österreich zum Teil unter Diebstahl fällt. Genauso wie in Deutschland. Dort fordert Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) nun eine Reform. Am Montag kündigte er gegenüber der Tageszeitung "Die Welt" an, das Containern beziehungsweise das Dumpstern in Zukunft straffrei zu machen. In Österreich bleibt die Rechtslage unklar. Das Justizministerium erklärt auf Anfrage, dass es für Containern oder Dumpstern zwar "keine eigene Strafbestimmung" gibt, wenn aber ein derartiges Delikt angezeigt wird, dann kommt es auf den Einzelfall an. Zum Beispiel, wenn Personen versperrte Müllräume oder Container aufbrechen. Das Dumpstern auch in Österreich zu legalisieren, sodass alle Müllcontainer frei zugänglich sind, ist laut Umweltministerium nicht Teil des Regierungsplans.

David befürwortet diesen Entscheid nicht: "Nur so können wir mehr Druck auf den Handel ausüben, um Abfälle zu reduzieren und neue Maßnahmen zu schaffen." Gegen eine Legalisierung spricht sich Alexandra Gruber aus, Obfrau des Verbands der österreichischen Tafeln: "Dumpstern zu legalisieren wäre der falsche Ansatz. Bei Lebensmitteln geht es um Qualitätssicherung und Haftungsfrage. Was passiert, wenn jemandem nach dem Verzehr schlecht wird?"

Tafel fordert Prüfstelle

Der Sozialverein ist dazu in Gesprächen mit dem Bund. Die Tafel fordert die Einführung einer übergeordneten Prüfstelle, die Vereine und gemeinnützige Organisationen genauer unter die Lupe nimmt. Noch heuer soll dem Ministerium ein Entwurf vorgelegt werden. Außerdem soll im Frühjahr 2023 von der Regierung ein Aktionsprogramm vorgestellt werden, wo es darum geht, Lösungen für den Handel zu finden. Ziel sei es, genusstaugliche Lebensmittel in größeren Mengen an Sozialeinrichtungen zu spenden.

Über 100 Stellen in Wien

David und seine Freunde fahren bis dahin mit ihren Lastenrädern die Wiener Müllräume ab. Dreimal pro Woche, bis zu 15 Stellen gibt es allein in den Bezirken Ottakring, Hernals und Döbling. In ganz Wien schätzt die Gruppe etwa 100 solcher "Spots". Auch in der Steiermark und in Kärnten haben sie vereinzelt von Dumpstern gehört, große Bewegungen seien ihnen aber nicht bekannt. Das liege auch daran, dass es mit den Jahren immer schwieriger wurde, an die Container zu kommen. "Immer mehr Müllräume werden abgesperrt, hinein kommt nur, wer einen sogenannten '3000er-Schlüssel' – ein Universalschlüssel hauptsächlich bei Neubauten – oder eine Begeh-Karte hat." Diese bekommen nur Anrainer oder etwa die Müllabfuhr.

An diesem Tag sind die Müllräume offen. Vier volle Lastenräder – eine gewöhnliche Ausbeute für die Dumpster. Brot, Mandarinen, Orangen, Brokkoli und Paprika, all das stellen sie zur freien Entnahme an die Ecke der Hasnerstraße in Wien-Ottakring. Es dauert nicht lang, nur wenige Minuten, bis die ersten Menschen ihre mitgebrachten Einkaufstaschen mit den weggeworfenen Lebensmitteln befüllen – nicht aus Überzeugung, sondern aus purer Not.