Wie entsteht eine Lawine?
ANDREAS GOBIET: Eine Lawine kommt in den allermeisten Fällen so zustande, dass innerhalb der Schneedecke etwas bricht. Man muss sich vorstellen, der Schnee ist in Schichten aufgebaut: Wenn die oberste Schicht verfestigt ist, das nennt man Schneetafel oder Schneebrett, hat das einen Zusammenhalt. Wenn unter dieser Schneetafel eine Schicht ist, die wenig Festigkeit hat und die bricht, dann verliert diese gesamte Schneetafel ganz plötzlich ihren Halt am Hang. Auf Hängen, die steiler sind als 30 Grad, rutscht dann plötzlich diese Schneetafel nach unten. Eine solche Schneebrettlawine hat auch das aktuelle Unglück verursacht.
Video zeigt die Lawine am Arlberg:
Wie lange überlebt man unter einer Lawine?
Die ersten zehn bis 15 Minuten sind entscheidend. Danach nimmt die Überlebenschance bei Vollverschüttung drastisch ab. Längere Überlebenszeiten gibt es nur mit großen Atemhöhlen. Die Unterkühlung ist nicht so akut lebensbedrohlich, sondern das Ersticken. Da muss es schnell gehen: 15 Minuten ist das Maximum.
Muss man jede Lawine melden?
Unbedingt. Es war auch jetzt die Situation, dass sich Betroffene erst später gemeldet haben. Das kann sehr große Sucheinsätze verursachen, die dann natürlich auch wieder zur Gefährdung jener, die an der Rettung beteiligt sind, führen können. Auch wenn man im Gelände eine Lawine auslöst und vielleicht gar nicht betroffen ist, weil sie klein war oder man Glück gehabt hat, unbedingt melden. Dann ist das bekannt und es passiert ja niemandem etwas. Wenn später jemand vorbeifährt und Alarm schlägt, dann weiß die Landeswarnzentrale, wo das alles koordiniert wird, im Vorhinein, dass da niemand verschüttet ist und man kann sich die Sucheinsätze sparen.
Die meisten Lawinenunglücke passieren bei Warnstufe 3. Wird diese Warnstufe unterschätzt?
Das ist sicher auch eine psychologische Sache. Stufe 3 bedeutet erhebliche Lawinengefahr. Hier trauen sich noch viele ins Gelände, wo aber sehr viel Erfahrung und Beurteilungsvermögen nötig sind. Obwohl es selbst den Erfahrensten erwischen kann, ist das Restrisiko viel höher als beispielsweise bei Stufe 2. Ab der Stufe 4 "Große Lawinengefahr" geht die Empfehlung in die Richtung, das ungesicherte Gelände abseits von Skipisten zu meiden. Dann fangen die Leute auch an, weniger rauszugehen.
Was muss man bei Stufe 3 über Lawinen wissen?
Es braucht eine solide Ausbildung in Lawinenkunde, damit man wirklich weiß, wie man sich bewegen und was man im freien Gelände beachten muss. Diese Ausbildung bieten alle alpinen Vereine an und auch geführte Touren mit erfahrenen Leuten. Die Information, dass im Gelände, das weniger steil als 30 Grad ist, keine Lawinen abgehen, ist bereits wichtig. Man muss aber ebenfalls wissen, dass man in sehr kritischen Situationen auch aus der Entfernung Lawinen auslösen kann. Und das wichtigste ist, sich über die aktuelle Situation zu informieren – mit dem Lawinenbericht. Sowohl über das Wetter als auch den Schneedeckenaufbau und über die Gefahrenhinweise, auf welche Stellen im Gelände man besonders achten muss. Man sollte sich diese fünf Minuten unbedingt nehmen, sich das durchzulesen.
Wie kommt dieser zustande? Welche Daten fließen ein?
Die Lawinenprognostiker sind selbst im Gelände, machen sich ein Bild vor Ort und Schneedeckenuntersuchungen. Wenn Unfälle passieren, wird immer an der Unglücksstelle die Schneedecke untersucht, um besser zu verstehen, was passiert ist. Weiter gibt es ein sehr dichtes Meldernetz von Lawinen- und Wettermeldern, die verteilt über die ganzen Gebiete unterwegs sind. Das können Mitarbeiter von Skigebieten sein, die dort für die Sicherheit zuständig sind und beispielsweise dort die Sprengungen durchführen oder ganz unterschiedliche Personen. Das ist unsere zweite sehr, sehr wichtige Informationsquelle, mit denen kommunizieren wir auch täglich. Und es gibt ein dichtes Stationsnetz mit Wetterstationen im Gebirge, die Temperatur, Wind, Schneehöhe und weitere Parameter messen. Das ist auch eine wichtige Informationsquelle, dass man wirklich vor Ort weiß, wie stark war der Wind. Weil der Wind im Zusammenhang mit Neuschnee und Lawinen immer für kritische Situationen zuständig ist.
Welche Rolle spielen Modelle?
Wir haben auch Modelle, das sind einerseits die normale Wetterprognose, die es uns ermöglicht, den Lawinenbericht für den nächsten Tag herauszugeben und dann arbeiten wir in den letzten Jahren auch vermehrt mit Schneedeckenmodellen. Wo wir die Untersuchungen im Feld, wo wir uns selbst in den Schnee hineingraben und uns die Schichtungen ansehen, nachmodellieren. Das heißt, das ist ein Computerprogramm, so wie ein Wettermodell und stellt den Zustand der Schneedecke dar. Dieses Computerprogramm wird mit Wetterdaten und andererseits auch mit Wetterprognosen gefüttert. So kann man die Schneedeckenentwicklung auch in die Zukunft hinaus berechnen. Solche Modelle werden auch immer wichtiger in der Lawinenwarnung.
Was muss man als Wintersportler bzw. Wintersportlerin im Gelände dabeihaben?
Die persönliche Sicherheitsausrüstung: das Lawinenverschüttetensuchgerät, Sonde und Schaufel. Und man muss damit umgehen können. Das heißt, zu Beginn der Saison eine Suchaktion mit dem Lawinenverschüttetensuchgerät zu machen. Bei einer Verschüttung muss man auch vorher wissen, wie man schaufelt und wie man die Kräfte spart. Oft wird unterschätzt, wie brutal das Schaufeln ist. Denn wenn etwas passiert, sind es in den allermeisten Fällen die Skitourenpartnerinnen und -partner, die retten können. Es geht wirklich um die ersten Minuten und da ist es wichtig, dass jeder in einer Skitourengruppe mit dieser Sicherheitsausrüstung umgehen kann.
Katrin Schwarz