Anton Zeilinger, der in wenigen Stunden den Nobelpreis aus der Hand des schwedischen Königs erhalten wird, hat eine stressige Woche in Stockholm hinter sich. Pressekonferenzen, Nobelpreis-Vorlesung, Empfänge, Termine. Jetzt macht er sich beim Empfang in der österreichischen Botschaft auf die Suche nach einem ruhigeren Plätzchen, seine Betreuerin – vom Nobelpreiskomitee bereitgestellt – sorgt dafür, dass der extrem enge Zeitplan eingehalten wird.
Gerade eben hat Zeilinger vor den geladenen Gästen in der Botschaft wieder Gedanken zur Zukunft der heimischen Wissenschaft entwickelt, die er auch im Interview sofort anspricht.
Herzliche Gratulation nochmals, Herr Professor. Wie fühlt es sich an, den Nobelpreis zu bekommen?
ANTON ZEILINGER: Es ist eine wunderbare Sache, natürlich dieser Nobelpreis. Es ist die Anerkennung eines Lebenswerkes, das ist auch klar. Es ist auch die Anerkennung vieler meiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Persönliche Gefühle kann ich jetzt nicht beantworten in dem Trubel.
Sie haben schon früh mit den Arbeiten zu "Verschränkung", "Teleportation" und anderen rätselhaften Phänomenen der Physik begonnen.
ZEILINGER: Ich glaube fast nicht, dass die Leistungen, die zum Nobelpreis geführt haben, heute noch möglich wären. Oder dass sie finanziert werden würden. Meine Forschung wurde mir möglich gemacht, weil man mir das Geld gegeben hat, ohne dass ich sagen musste, wofür das Ganze gut sein soll und mit welchen Methoden wir unser Ziel erreichen – denn das wussten wir nicht. Unser ganzes System heute ist zu sehr auf Planung ausgerichtet, und das ist auch so auf Ebene der Europäischen Union. Man muss immer vorwegsagen, welche Resultate man erzielen will, in welcher Zeit, mit welcher Methode und so weiter und so fort. Das geht aber einfach nicht bei den Dingen, die ich gemacht habe. Da haben wir wirklich eine Herausforderung in Österreich und auch auf europäischer Ebene.
Was bedeutet das? Was schwebt Ihnen vor?
ZEILINGER: Es gibt ein berühmtes Zitat von Albert Einstein, das mir gut gefällt. Das hat er zu einem Kollegen gesagt, der ihm eine Idee vorgetragen hat: "Ihre Idee ist verrückt, aber nicht verrückt genug." Und das ist jetzt nicht als Witz zu verstehen, das ist wirklich so. Und ein anderer Nobelpreisträger aus den Wirtschaftswissenschaften hat einmal gesagt: "Es geht nicht darum, irgendwelche Sachen, die jemand anderer schon gemacht hat, besser zu machen. Sondern es geht darum, was wirklich Neues zu machen." Das ist die Herausforderung. Und da hat Europa derzeit keine guten Karten. Ich möchte das so hart und klar sagen.
Was müsste sich ändern in Österreich und in Europa?
ZEILINGER: Ich stelle mir vor, dass man nicht jemandem Geld dafür gibt, dass er einen akkuraten Plan vorlegt, was er alles machen will. Sondern dass er es dafür bekommt, dass er eine gute Idee hat, von der er vielleicht gar nicht weiß, ob er sie umsetzen kann. Es gehört viel mehr Offenheit in der Wissenschaft und Wissenschaftsförderung. Da müssen wir uns alle beteiligen, alle müssen wir uns an der Nase nehmen.
Sind da nicht die Politik und die Universitätsleitungen gefordert?
ZEILINGER: Es ist viel zu billig, das der Politik in die Schuhe zu schieben. Es ist auch Sache der Universitäten und auch der Forschungsförderungsinstitutionen auf europäischer Ebene. Da muss man unbedingt etwas ändern.
Sind andere Länder da weiter als Österreich oder Europa?
ZEILINGER: Das kann ich hier ad hoc nicht beantworten, Sie sehen ja, wie es hier zugeht. Aber warum sollen wir uns in Österreich schon wieder mit anderen Ländern vergleichen? Es geht nicht darum, ob wir besser oder schlechter sind, ob die Politik etwas macht oder nicht. Es geht um eine viel breitere Fragestellung.
Haben Sie das Gefühl, dass man das in den Schulen mehr fördern müsste? Die Neugier? Dass die Lehrpläne geändert werden müssten?
ZEILINGER: Was in den Schulen das Problem ist – und das beginnt schon in den Volksschulen: Wir haben nicht einmal einen Ansatz, die Hochbegabten erst einmal herauszufiltern. Geschweige denn, dass wir sie dann fördern würden. Das ist ein unglaubliches Problem, das ist in ganz Europa ein Riesenproblem.
Fehlt das Thema Kreativität in den Schulen, was die Naturwissenschaften betrifft?
ZEILINGER: Kreativität und Neugier sind das Wichtigste. Aber wir fragen ja nicht wie. Wir fragen nicht die Lehrer, bitte, wer in eurer Klasse ist eurer Meinung nach besonders hochbegabt? Und selbst wenn wir das diese Kinder und Jugendlichen identifiziert hätten, weiß ja dann keiner, was wir mit denen tun sollen.
Gibt es nicht Förderklassen und -kurse, Workshops in den Museen? Und welche Rolle spielen die Eltern und das familiäre Umfeld?
ZEILINGER: Ja, das gibt es. Aber da gehört viel, viel mehr gemacht. Und nochmals: Wo identifiziert man zunächst die Hochbegabten? Ich will aber jetzt nicht Rollen verteilen. Es hat wenig Sinn, darüber zu sprechen, wer welche Rolle in dem Ganzen hat. Denn unser ganzes Denken in der Gesellschaft ist nicht danach ausgerichtet.