"Es ist tot, Jim" – mit dieser, an Dr. McCoy aus "Star Trek" angelehnten Aussage drückte Physik-Nobelpreisträger John Clauser aus, was ihm und seinen Ko-Laureaten Alain Aspect und dem Österreicher Anton Zeilinger in langwieriger Arbeit gelang: Sie widerlegten die Ansicht von niemand geringerem als Albert Einstein zur Quantenverschränkung. Die drei Physiker zeigten bei ihren Nobel-Vorlesungen am Donnerstag, dass die "Quantenwunderwelt" wirklich verrückt ist, und was eine nackte Frau damit zu tun hat.

Um das zu erfahren, musste man den sogenannten Nobel-Lectures am Vormittag des Feiertags im gut besuchten großen Auditorium der Universität Stockholm folgen. Die drei Preisträger, die sich die Auszeichnung für ihre – wie es im Fachjargon korrekt heißt – "Experimente mit verschränkten Photonen, Nachweis der Verletzung der Bellschen Ungleichungen und wegweisender Quanteninformationswissenschaft" teilen, führten mit ihren Powerpoint-Präsentationen, Anekdoten und zahllosen Belegen wissenschaftlicher Arbeiten durch die Ideengeschichte der Quantenphysik und sangen ein Loblied auf das physikalische Experiment. Und versuchten das durchaus so darzustellen, dass es jedermann nachvollziehen konnte, selbst wenn man nicht vom Fach ist.

Zeilinger dankt den "Steuerzahlern in Österreich"

Aus heimischer Sicht waren dabei natürlich vorwiegend die Erzählung von Zeiliger spannend. Er zeigte sich zu Beginn seiner Vorlesung "glücklich und dankbar, hier zu sein und den heurigen Preis zuerkannt bekommen zu haben". Der 77-jährige emeritierte Professor an der Universität
Wien, der am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation
(IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig
ist, dankte – wie schon bei der Pressekonferenz nach Zuerkennung des
Preises in Wien – den "Steuerzahlern in Österreich, Europa und den
USA", die die Arbeit der Ko-Laureaten ermöglichten. Dafür erntete er
in seiner "Reise durch das Quantenwunderland" betitelten Vorlesung
spontanen Applaus, ebenso wie er das Publikum mit einer doppelten
Drehung um die eigene Achse begeisterte.

Erfolgs-Trio: Alain Aspect, John Francis Clausen und Anton Zeilinger
Erfolgs-Trio: Alain Aspect, John Francis Clausen und Anton Zeilinger © APA/EVA MANHART

Damit illustriere er, wie seltsam anmutend die Phänomene der
Quantenmechanik sind: Die meisten Menschen würden sagen, dass es
keinen Unterschied macht, eine perfekte Kugel einmal oder zweimal um
sich selbst zu drehen, das Ergebnis wäre jedes Mal dasselbe. Doch
Zeilinger zeigte schon 1975 gemeinsam mit seinem Doktorvater Helmut
Rauch, dass es in der Quantenphysik sehr wohl einen Unterschied
macht, ob man ein Neutron einmal oder zweimal dreht – und
demonstrierte das mit entsprechenden Pirouetten.

"Ich hatte nicht die leiseste Ahnung"

Seine Rede widmete Zeilinger dann auch seinem Lehrer Helmut Rauch
und seinem Kollegen Michael Horne, die beide 2019 verstorben sind.
Von ihnen habe er gelernt, trotz Rückschlägen möglicherweise doch
richtige Ideen weiterzuverfolgen. Als er in den 1970ern Aspect,
Clauser, Horne und Co. erstmals auf einer Konferenz in Sizilien über
Verschränkung reden hörte, "hatte ich noch nicht die leiseste Ahnung
davon, was das sein soll", so der 1945 in Ried im Innkreis (OÖ)
geborene Physiker.

In der Folge gab er Einblicke darin, wie er sich diese verborgene
Welt erschließen konnte – immer mit dem Hinweis auf die vielen
Kollegen, die daran beteiligt waren – den Dutzenden Wissenschaftern,
mit denen er im Laufe seiner Karriere publiziert hatte, widmete er
auch die letzten beiden Folien seines Vortrags. Mehr als 20
Weggefährten fanden sich am Donnerstag am IQOQI in Wien zum
gemeinsamen "Viewing" der Nobelpreis-Lectures ein, wie Robert
Kindler, ein Mitglied von Zeilingers Forschungsgruppe, der APA
erzählte.

Gute Stimmung in Wien – über das eingelöste Vorhaben

In der Wiener Boltzmanngasse sei die Stimmung "sehr gut gewesen",
für Kindler hat sein Gruppenleiter sein Vorhaben, die Experimente
und seine Karriere möglichst allgemein verstehbar zu erzählen, auch
gut eingelöst: "Die ersten beiden Sprecher waren sehr auf die
Bellsche Ungleichung bezogen." Bei Zeilinger sei der Plan
aufgegangen, seine eigenen Zugänge und Erlebnisse zu schildern:
"Sein Ziel war es nicht zu technisch zu werden", betonte Kindler.

So legte Zeilinger dar, wie er sich daran machte, die
Drei-Teilchen-Verschränkung – den Greenberger-Horne-Zeilinger(GHZ)-Zustand – im Experiment nachzuweisen, und dass es um die zehn Jahre gedauert hat, bis dies dann 1996 endlich gelang. Der Physiker, der am kommenden Samstag, den 10. Dezember, den Nobelpreis entgegennehmen wird, erzählte von seinen Arbeiten an der Universität Innsbruck zu Beginn der 1990er-Jahre, als er zwar durch seine Berufung endlich Geld für neue Geräte, aber
"keine Ahnung hatte, wie ein Laser funktioniert!". So konnte die
Gruppe allerdings ein "Arbeitspferd" entwickeln, das in viele
Richtungen galoppieren konnte.

Auf der Suche nach etwas Österreichischem

Man hatte dann die Werkzeuge für Experimente in der Hand, wie
etwa jedes zur ersten Quantenzustand-Teleportation im Jahr 1997. Er
habe früher gedacht, dass diese Leistung, die ihn schlagartig
weltbekannt machte, nie aus dem Reich der Theorie herausfinden
würde. Letztlich wurden viele der damaligen Arbeiten zu den
Grundlagen zur Übertragung von Verschränkung, die heute wiederum den
Grundpfeiler der ersten funktionierenden Quantennetzwerke bildet.
Vieles aus dieser Zeit fließt auch in die mannigfaltigen
Überlegungen zur Umsetzung von Quantencomputern ein.

In der Folge schafften Zeilinger und Kollegen Distanz-Rekorde für
die Übertragung von Quanteninformation und erzielten Meilensteine
bei der technologischen Umsetzung von abhörsicheren Quantenkanälen
(Quantenkryptographie). Auf diese quantenverschlüsselte Weise
verschickten die Wiener Physiker auch erstmals ein Bild. Zeilinger
wischte damals Vorschläge vom Tisch, wonach man etwa ein Foto eines
Panzers übertragen könnte: "Es musste etwas Österreichisches und
vollkommen Friedliches sein", so der Physiker unter Applaus des
Lecture-Publikums.

Die Venus von Willendorf als Nackte aus Österreich

So kam die "Venus von Willendorf" zu der Ehre, 30.000 Jahre nach
ihrer Anfertigung zur quantenkryptographischen Weltpremiere zu
werden: "Das war das einzige Mal, dass eine nackte Frau in den
'Physical Review Letters' (ein Physik-Fachmagazin, Anm.) abgedruckt
wurde."

Die Nackerte aus Österreich – die Venus von Willendorf – ist heute im Kunsthistorischen Museum in Wien ausgestellt
Die Nackerte aus Österreich – die Venus von Willendorf – ist heute im Kunsthistorischen Museum in Wien ausgestellt © APA/HELMUT FOHRINGER

Bei all den Anwendungen, die Zeilinger mit möglich gemacht hat, sei es ihm bei seinem Vortrag aber sehr wichtig gewesen, immer
wieder den Reiz der Grundlagenarbeit hervorzustreichen, so
Kindler. Hier liege heute auch sein größtes Interesse, sagte der
österreichische Nobelpreisträger.

Bubenhafte Freude bei den Wissenschaftern

Abseits dessen zeigten die drei Forscher Fotos von Versuchsaufbauten aus den 1970er- und 1980er-Jahren; nicht nur Forscher mit zeitgemäßer Haartracht, sie erinnerten auch eher an Heimwerkerstätten, wo "dauernd Öl auf den Boden tropft" (Clauser), als an Quantenlabore. Bei der Beschreibung der Umsetzungen ihrer Ideen huschte bei den drei heute distinguierten Forschern immer wieder die fast bubenhafte Freude an ihrer Arbeit übers Gesicht.

Die lag bis zu einem gewissen Grad darin, Albert Einsteins
Ansicht zu widerlegen, dass dem bizarren Phänomen der Verschränkung
– also dem Faktum, dass Teilchen über beliebige Distanzen wie durch
Geisterhand miteinander verbunden bleiben können – eigentlich
sogenannte "verborgene Variablen" zugrunde liegen müssen. Wie
Clauser und Aspect die ersten Erkenntnisse zum "Begräbnis" von
Einsteins Sichtweise lieferten, arbeiteten die beiden Forscher in
ihren Lectures durchaus akribisch auf.

Vom Einstein-Podolsky-Rosen(EPR)-Paradoxon war dabei ebenso oft
die Rede, wie von der Bellschen Ungleichung. Das EPR-Paradoxon ist
ein Gedankenexperiment, das Einstein mit seinen Mitarbeitern in den
1930er-Jahren ausarbeitete und in die Wissenschaftsgeschichte
einging. Einstein wollte damit seine Einwände gegen die
Quantenmechanik auf den Punkt bringen und deren Widersprüche
aufzeigen.

Die Bellsche Ungleichung gilt nicht immer

Der nordirische Physiker John Bell (1928-1990) veröffentlichte
1964 ein bahnbrechendes Theorem, das eine zentrale Unterscheidung
zwischen der Quantenmechanik und der unseren Alltag bestimmenden
klassischen Physik ermöglicht. Ihm zufolge dürfte das Messresultat
des einen Teilchens nicht davon abhängen, was am anderen Teilchen
gemessen wird. In seiner "Bellschen Ungleichung" zeigt er, dass alle
Theorien, die auf dieser - aus Alltagssicht vernünftigen -
Voraussetzung beruhen, für eine gewisse Messkombination einen
konkreten Wert nicht überschreiten dürfen und sie daher nicht
verletzt wird. Die Quantentheorie sagt dagegen einen größeren Wert
voraus - und das wird seit Jahrzehnten in zahllosen Experimenten
auch tatsächlich so gemessen.

Lange wurde vermutet, dass solche Quantensysteme bzw. Teilchen
bestimmte Eigenschaften in sich tragen, die Physiker sprechen von
"verborgenen Variablen", die hinter dem Phänomen stecken. Damit
ließe sich ihr Verhalten mit der klassischen Physik erklären, eine
quantenphysikalische Erklärung wäre nicht notwendig. Doch Aspect,
Clauser und Zeilinger zeigten mit zunehmender Präzision, dass die
Bellsche Ungleichung etwa bei Messungen an verschränkten Photonen
verletzt wird.