Im Missbrauchsfall um einen Sportlehrer, der bis zu seinem Suizid im Mai 2019 an einer Wiener Mittelschule etliche Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben dürfte und womöglich zwei Mittäter hatte, gerät die Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) in ein immer schieferes Licht. Die dem Kindeswohl verpflichtete Ombudsstelle wusste seit Herbst 2018 von Berichten über übergriffiges Verhalten eines möglichen Mittäters, informierte aber nicht die Staatsanwaltschaft.
Wie die APA bereits berichtet hatte, war in der Basketball-Szene das Verhalten des Mannes, der in einem Verein als Basketball-Trainer tätig war, seit längerem Gesprächsthema. Er wurde wiederholt dabei beobachtet, wie er auf Turnieren Buben aus seiner Mannschaft körperlich sehr nahe kam. Schließlich nahm sich der Wiener Basketballverband (WBV), dem mehrfach entsprechende Wahrnehmungen gemeldet wurden, im Herbst 2018 dieses Themas an, wobei vom WBV die KJA beigezogen wurde. Es kam am 26. November 2018 zu einem Treffen zwischen Vertretern des betroffenen Vereins, des Verbands und einer Vertreterin der KJA, bei dem die Situation besprochen wurde.
Ombudsstelle: Damals keine Opfer oder Zeugen
"Die Melderinnen sind sehr besorgt, dass [... ] (Name des Trainers, Anm.) sehr bewusst die Nähe zu kleinen Buben sucht", wurde laut einem schriftlichen Protokoll über die Besprechung festgehalten. Und weiter: seit 2000 (sic) falle auf, dass der Trainer immer wieder Buben auf seinem Schoß sitzen habe. 2018 sei beobachtet worden, wie er einen etwa Zehnjährigen am Schoß sitzen hatte, diesen am Gesäß anfasste und sich dabei erregt hätte. In der Garderobe habe der Trainer Buben eingecremt und dabei auch deren Gesäß berührt und eingecremt. Einen Buben habe er allein im Auto mitgenommen.
Bei einem Termin am 13. Dezember 2018 wurde der Trainer - wieder im Beisein der KJA - mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Es wurde mit ihm eine Vereinbarung getroffen, die vorsah, dass der Mann "Hilfsdienste" in der Garderobe einstellen musste, keine körperliche Nähe mehr suchen und Kinder unter 14 Jahren nicht mehr trainieren durfte und sich der Kontakt zu Jugendlichen auf die Vereinsöffentlichkeit zu beschränken hatte. Im Gegenzug wurde von einer Anzeige abgesehen - mit Wissen und Zustimmung der KJA, wie der Leiter der Ombudsstelle, Ercan Nik Nafs, schon in der Vorwoche der APA bestätigt hatte. Es habe "keine handfesten Beweise für ein klares strafrechtliches Fehlverhalten" gegeben, zum damaligen Zeitpunkt hätten sich keine Opfer und keine Zeugen gemeldet gehabt, sagte Nik Nafs.
Staatsanwaltschaft kann erst verfolgen, wenn ihr etwas gemeldet wird
Das Ausmaß der unüblichen körperlichen Nähe, die der Trainer zu Buben herstellte, legt allerdings nahe, dass das Verhalten des Trainers schon damals auf eine mögliche geschlechtliche Nötigung (§ 202 StGB) bzw. Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung (§ 205a StGB) sowie den Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses (§ 212 StGB) zu prüfen gewesen wäre. Diese Einschätzung obliegt der Staatsanwaltschaft. Die KJA ist keine Strafverfolgungsbehörde. Darauf angesprochen, hielt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, Judith Ziska, am Dienstag zum Grundsätzlichen fest: "Das allfällige Prüfen von Sachverhalten auf ihre strafrechtliche Relevanz ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft." Man könne aber nur prüfen, wenn man von solchen Sachverhalten erfährt, sagte Ziska auf APA-Anfrage.
Kenntnis über die Vorgänge um den Basketball-Trainer erlangte die Staatsanwaltschaft erst 2019, nachdem der Wiener Basketballverband - und nicht die KJA - entsprechende Unterlagen der Polizei übergeben hatte, weil sich der Trainer nicht an die getroffene Vereinbarung gehalten hatte. Weder war er zur Männerberatung gegangen, noch hatte er den Kontakt zu unter 14-Jährigen eingestellt. "Wir wurden in einem Polizeibericht informiert, dass es allfällige Verdachtsmomente gibt", bestätigte nun die Sprecherin der Anklagebehörde. Die Polizei habe darauf bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft nachgefragt: "Auf Nachfrage der Polizei hat es geheißen, dass keine strafbaren Handlungen passiert sind." Es hätten sich keine Opfer und keine Zeugen gemeldet, es sei niemand an die KJA herangetreten, schilderte Ziska gegenüber der APA, was die Polizei von der KJA an Rückmeldung erhalten habe.
Noch nicht klar, ob ermittelt wird
Erst am vorvergangenen Montag wurden der Basketballtrainer sowie ein weiterer Bekannter des Sportlehrers - die gegen diesen gerichteten Ermittlungen wurde nach dessen Selbstmord am 6. Juni 2019 eingestellt - von einer Opfer-Anwältin als mögliche Mittäter angezeigt. Die Staatsanwaltschaft prüft nach wie vor, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.
Gegen den zweiten Bekannten - einen ehemaligen Schüler des Sportlehrers - steht auch der Verdacht im Raum, dieser könne möglicherweise Beweismaterial beiseite geschafft haben. Konkreten Beleg dafür gibt es zwar nicht, aber bei einer Hausdurchsuchung, die im Frühjahr 2019 bei dem Sportlehrer durchgeführt wurde, blieben der Keller, der Pkw und die Räumlichkeiten des Lehrers - der Spind und eine neben der Turnhalle gelegene und von ihm in eine "Chill Out-Zone" umgewandelte frühere Schulwart-Wohnung - in seiner Schule unberücksichtigt.
In der Wohnung des Mannes wurde jedenfalls in Fülle einschlägiges Material sichergestellt - wie sich im Zuge der Erhebungen herausstellte, hatte der Pädagoge, der seit 1996 als pragmatisierter Beamter an einer Mittelschule mit Schwerpunkt Sport beschäftigt war, Nacktbilder bzw. -aufnahmen seiner Schüler angefertigt, die das teilweise gar nicht mitbekommen hatten, weil sie womöglich mit K.o.-Tropfen oder Ähnlichem betäubt wurden. Wenige Tage nach dem Suizid des Lehrers soll dann der Ex-Schüler in der Schule aufgetaucht sein und - so die in der gegen ihn gerichteten Sachverhaltsdarstellung skizzierte Verdachtslage - dessen Spind geleert und den Inhalt mit einem Auto weggebracht haben. Für den Ex-Schüler gilt - wie auch für den Basketball-Trainer - die Unschuldsvermutung.
Zur Hausdurchsuchung stellte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Dienstag klar: "Die Hausdurchsuchung hat sich auf die Wohnung samt den dazu gehörenden Kellerräumlichkeiten erstreckt." Der Lehrer habe sich aber "derart kooperativ" verhalten und freiwillig alles herausgegeben, dass man den Keller nicht mehr untersucht habe. "Von einem Spind in der Schule und einer umgebauten Schulwartwohnung war uns zum damaligen Zeitpunkt nichts bekannt", erklärte Behördensprecherin Ziska.