Der Missbrauchsfall um einen Sportlehrer, der an einer Wiener Mittelschule mehr als zwei Dutzend Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben dürfte, zieht weitere Kreise. Womöglich gibt es auch Betroffene unter den Teilnehmern eines Sommer-Ferienlagers in der Steiermark, wo der Pädagoge und ein früherer Lehrer als Betreuer tätig gewesen sein sollen, gegen den am vergangenen Montag von einer Opfervertreterin bei der Staatsanwaltschaft Wien Anzeige erstattet wurde.
Gegen diesen Ex-Lehrer, der nach Informationen der APA aufgrund von Missbrauchsvorwürfen den Schuldienst an einem Wiener Gymnasium quittieren hatte müssen, und einen weiteren Bekannten des Sportlehrers besteht der Verdacht auf sexuellen Missbrauch von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses. Die Anzeige wird noch geprüft, konkrete Ermittlungsschritte gegen die beiden Verdächtigen wurden nach Einbringen der umfangreichen Sachverhaltsdarstellung noch nicht gesetzt, teilte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nina Bussek, am Donnerstag auf APA-Anfrage mit.
Indes hat der Sportverband reagiert, der für jenen Verein zuständig ist, in dem alle drei Verdächtigen tätig waren. Der Sportlehrer, der sich nach einer gegen ihn gerichteten Anzeige im Frühjahr 2019 das Leben genommen hatte, hatte etliche seiner Schüler zu dem Verein gelotst, in dem er seinerzeit eine Leitungsfunktion innehatte. Auch in diesem Setting soll es zu Übergriffen gekommen sein. Der Pädagoge brachte in dem Verein zunächst seinen aus dem Schuldienst entlassenen Kollegen unter, der als Trainer eingesetzt wurde. Während dieser nach dem Suizid des Sportlehrers unter aufklärungsbedürftigen Umständen den Verein verließ bzw. verlassen musste – es dürften konkrete Missbrauchsvorwürfe gegen ihn bestanden haben –, blieb der dritte Verdächtige – ein ehemaliger Schüler des Sportlehrers – dort weiter tätig. Im vergangenen Dezember wurde er zum Vizepräsidenten gewählt.
Nach Bekanntwerden der Anzeige, in der er als Mittäter des Sportlehrers bezeichnet wird – für ihn gilt eben so die Unschuldsvermutung wie für den tatverdächtigen Ex-Lehrer – wurde er vom zuständigen Sportverband jetzt vorerst sämtlicher Funktionen enthoben, wie der Verband am Donnerstag der APA mitteilte. Der Mann war bis zuletzt nicht nur im betroffenen Verein aktiv, sondern gab darüber hinaus vereinsübergreifend in verschiedenen Sportarten Kurse.
Wie der Sportverband gegenüber der APA betonte, habe man am 16. September 2019 erstmals von den Missbrauchsvorwürfen rund um den Verein erfahren, die sich auf den im Mai 2019 aus dem Leben geschiedenen Sportlehrer konzentriert hätten. Am 2. Oktober 2019 habe es zur Klärung und Aufarbeitung des Geschehenen ein Treffen des Landesverbands mit Vereinsverantwortlichen im Beisein der Männerberatung und einer Kinderschutzeinrichtung gegeben. Dabei sei das weitere Vorgehen festgelegt worden. Von Übergriffen im Verein gegen Kinder und Jugendliche habe man zu diesem Zeitpunkt nichts gewusst, es hätten sich in weiterer Folge keine Betroffene gemeldet, erklärte der Verband. Für Mitarbeiter des Vereins seien Schulungen in Bezug auf Kinderschutz angeboten und durchgeführt worden, fast zwei Dutzend Personen hätten daran teilgenommen.
Erste Anzeige bereits 2013
Dass an der Wiener Mittelschule, wo der Hauptverdächtige seit 1996 als pragmatisierter Sportlehrer tätig gewesen war und über viele Jahre hinweg Buben missbraucht haben soll, nichts Auffälliges bemerkt wurde, nimmt im Nachhinein wunder. Denn bereits 2013 hatte ihn ein ehemaliger Teilnehmer eines Feriencamps am Wolfgangsee angezeigt, wo der Pädagoge in den Sommerferien als Betreuer arbeitete. Der Betroffene gab an, er sei beim Massieren missbraucht worden. Der Sportlehrer wurde vom Landeskriminalamt Niederösterreich als Beschuldigter vernommen – es dürfte danach jedoch nie zu einem Ermittlungsverfahren, geschweige einer Anklage gekommen sein. Bei den für den mutmaßlichen Tatort zuständigen Staatsanwaltschaften Wels und Salzburg hieß es zuletzt auf APA-Anfrage, es finde sich kein Ermittlungsakt. Die Staatsanwaltschaft Wien, wo der Beschuldigte wohnhaft war, bekräftigte am Donnerstag auf neuerliche APA-Anfrage, es habe abgesehen von dem Verfahren aus dem Jahr 2019 kein Verfahren gegen den Pädagogen gegeben, das nach dessen Selbstmord eingestellt wurde. Für Vorgänge am Wolfgangsee "wären wir nicht die örtlich zuständige Behörde gewesen", sagte Mediensprecherin Bussek.
An der Mittelschule selbst gab es von Eltern und Schülern sehr wohl Beschwerden über den Sportlehrer, wovon sich am Donnerstag für die APA einige konkretisieren ließen. So dürfte bei einem Skikurs in Salzburg ein Schüler die Nacht im Zimmer des Sportlehrers verbracht haben, was Mitschülern komisch vorkam. Sie sprachen andere Lehrer darauf an, die das mit der Bemerkung abgetan haben sollen, der Schüler habe "halt Heimweh". Am selben Skikurs soll der Sportlehrer mit Schülern in die Sauna gegangen sein und dabei Fotos angefertigt haben, die dann auf USB-Sticks die Runde machten. Das bekamen einige Eltern mit – auf deren Beschwerden soll seitens der Schulleitung nicht reagiert worden sein.
Als im Frühjahr 2019 bei dem Sportlehrer eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde, hatte wenige Monate zuvor ein neuer Direktor die Schulleitung übernommen. Bereits im Spätsommer 2019 gingen ein Zeuge und seine Mutter zur Bildungsdirektion und beschwerten sich über den neuen Schulleiter, weil sich nach den im Zuge des Suizids des Pädagogen aufgekommenen Missbrauchsvorwürfen schulintern nichts getan habe.