Büchsenlicht nennen die Soldaten das erste Licht am Morgen, wenn sich der orange-rote Streifen am Horizont abzeichnet und die Nacht langsam zum Tag wird. Kurz vor 6 Uhr morgens sitzen ein Zugführer und ein Gefreiter auf ihren Posten hoch oben auf dem Silo des Lagerhauses von Deutschkreutz. Ein Stativ fixiert die Wärmebildkamera vor ihnen. Der Sichelmond verschwindet langsam und es ist beinahe windstill. Durch das überdimensionale Fernglas behalten die beiden Soldaten die ungarisch-österreichische Grenze im Blick. Routiniert scannen sie das schwarz-weiße Bild im Sucher und lauern auf sich bewegende weiße Flecken: illegale Migranten auf dem Weg über die grüne Grenze.
Deutschkreutz: Hotspot für illegale Übertritte
Die jungen Burschen unterstehen Stabswachtmeister Thomas S., der als Zugskommandant mit 51 Soldaten den 25 Kilometer langen Abschnitt des Grenzverlaufs rund um Deutschkreutz bewacht. Für illegale Übertritte ist der Ort zu einem der Hotspots der 370 Kilometer langen burgenländischen Grenze geworden. "Heute Nacht wurden bisher 23 HSF aufgegriffen", sagt Major Robert Kulterer, der als Presseoffizier den Besuch führt. HSF steht für "Hilfe suchende Fremde" und wird von den Uniformierten inflationär verwendet. "Eine ruhige Nacht", wie Zugskommandant S. am Ausguck bestätigt.
Im Durchschnitt gabeln die Soldaten in diesem Bereich täglich 60 bis 70 Menschen auf. Seit 1. Juli waren es bereits mehr als 4800. Nacht für Nacht überwacht das Militär die Grenze, im gesamten Bundesland sind derzeit 750 Soldaten im Assistenzeinsatz, operativ unterstehen sie der Polizei. "Wir haben eine echte Krise hier", formuliert es Kulterer. Das Bundesheer steht dabei an vorderster Front, stoppt illegale Migranten nach dem Grenzübertritt, durchsucht sie auf gefährliche Gegenstände und übergibt sie danach der Polizei. Die Gesamtaufgriffe im Burgenland heuer? Mehr als 48.500 Geflüchtete. 2021 waren es rund 20.000. "Hauptsächlich junge Männer überschreiten die Grenze, der Anteil der Frauen liegt im Promillebereich", sagt der Zugskommandant.
Leitartikel
Bekämpfung der Schlepperkriminalität
"Ohne Bundesheer wäre unsere Arbeit hier nicht möglich", erklärt Polizei-Oberstleutnant Helmut Marban. "Wir haben heuer einen anhaltend hohen Migrationsdruck. Im gesamten Burgenland kommen täglich bis zu 400 Menschen an." Anders als im Jahr 2015, als an einzelnen Grenzübertritten plötzlich Tausende Menschen gleichzeitig nach Österreich drängten, verteile sich das Problem aktuell auf die gesamte grüne Grenze. Und damit auch auf Deutschkreutz. Die Exekutive übernimmt die Flüchtlinge und bringt sie zu einer von vier burgenländischen Aufarbeitungsdienststellen. Nach der Erstregistrierung folgt der Weitertransport zu Asylzentren in ganz Österreich. Asylsuchenden ist es allerdings seit Anfang August auch erlaubt, eigenständig mit dem Zug weiterzureisen. So soll die Grenzpolizei entlastet werden, wie Daniela Breščaković hier berichtet. Hauptaufgabe der Exekutive vor Ort sei laut Polizeioffizier Marban die Bekämpfung der Schlepperkriminalität. "210 Schlepper haben wir heuer bereits festgenommen, im gesamten Vorjahr waren es 169", sagt der Offizier. Um jene zu fassen, die Migranten Tausende Euro für den illegalen Weg nach Westeuropa abknöpfen, werde eng mit der ungarischen Polizei kooperiert. Österreichische Beamte seien dabei auch im östlichen Nachbarland aktiv. Immer wieder komme es dabei zu Unfällen. Marban: "Schlepper versuchen sich der Anhaltung zu entziehen und fliehen. Vor kurzen gab es mehrere Verletzte, weil ein Schlepperfahrzeug aus der Kurve geflogen ist."
Fremde erzeugen Unbehagen im Grenzort
Nicht direkt Angst, aber ein beklemmendes Gefühl hat sich mittlerweile bei den Einwohnern von Deutschkreutz verfestigt. Eine Gruppe Männer tratscht beim Morgenkaffee in einem Gastgarten im Ortszentrum. Beim Thema illegale Migration ist sich die Runde schnell einig: So schlimm wie heuer sei es noch nie gewesen. "Wir hatten hier überhaupt nie ein Problem mit illegalen Migranten, auch nicht 2015", erzählt ein älterer Herr, der nicht namentlich genannt werden will. Passiert sei zwar noch nichts, aber die Fremden würden im Ort herumlungern und in den Weinbergen gäbe es auch schon Beschwerden wegen des Mülls, den die Migranten dort hinterlassen. "Das sind zwar arme Hascher", sagt ein anderer, "aber wir können halt auch nichts dafür." Einen ähnlichen Ton schlägt die Deutschkreutzerin Luise Neubauer an. "Im Ortszentrum ist es nicht direkt ein Problem, aber jene, die weiter draußen, etwa in der Schlossgasse wohnen, die haben schon Angst", meint die ältere Frau, die gerade mit ihrem Hund spazieren geht, zu wissen.
In besagter Schlossgasse reiht sich Einfamilienhaus an Einfamilienhaus. Zwei Frauen sind gerade am Weg zum Sport. "Wir sind jeden Tag damit konfrontiert, das ist eine Belastung. Auch, weil die Kinder draußen spielen. Wir selbst gehen nicht mehr in den Weingärten spazieren, weil da sind ja lauter junge Männer. So schlimm wie heuer war es noch nie, auch 2015 nicht", sagen sie unisono. Von Vorfällen mit Migranten wissen sie allerdings nichts. Auch die beiden wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen. Bürgermeister Andreas Kacsits (ÖVP) teilt die Sorgen der Einwohner: "Es sind zu viele Flüchtlinge da, die Bevölkerung ist verunsichert, wir probieren alles, um das in den Griff zu kriegen. Man müsste sie schneller aus der Ortschaft rausbringen oder erst gar nicht in den Ort hinein lassen. Es ist nur nicht zu bewältigen."
Polizeioffizier Marban kann das ungute Gefühl, das die Menschen hier haben, nachvollziehen, stellt jedoch auch klar, dass "die Kriminalität überhaupt nicht ansteigt. Einzelne Ausreißer sind Widerstände gegen die Staatsgewalt und leichte Körperverletzungen. Betroffen davon sind aber nur Soldaten und Polizisten".
Mobile Wärmebildkamera im Husar
Die Wärmebildkamera am Dach des Lagerhauses wird durch ein mobiles Gerät in einem gepanzerten Fahrzeug, dem Husar, ergänzt. Richtig positioniert, decken die beiden Instrumente beinahe 95 Prozent des relevanten Geländes rund um die 3100 Einwohner zählende Gemeinde ab. Der Husar steht an diesem Morgen zwischen schier endlosen Weinreben. Wachtmeister Marc W. und Rekrut Andreas F. grübeln über ein Waldstück, das auf dem Bildschirm in den Fokus genommen wurde. Es scheint Rauch aufzusteigen, was auf ein wärmendes Feuer hinweisen könnte. Sofort geht eine Meldung über Funk direkt an einen Trupp vor Ort, der sich für einen weiteren Grenzübertritt von HSF bereit machen soll.
Der Rauch entpuppt sich zwar nur als Nebel, dennoch werden dort sechs Männer aufgegriffen. Eskortiert von zwei Soldaten marschieren sie im Sonnenaufgang auf einem Feldweg zu einer Baumreihe, wo ein kleines grünes Zelt neben einem niedergetrampelten Acker den Auffangplatz markiert. "Hier wurden schon sehr viele Flüchtlinge gesammelt", sagt Major Kulterer mit Blick auf die verdichtete Erde. Eine Gefahr seien die HSF für die Soldaten nicht. Zwar tragen alle Uniformierten Stichschutzwesten, jedoch kein Sturmgewehr 77, sondern nur eine Pistole. "Gegen uns direkt ist keine Aggression gerichtet", ist Kulterer überzeugt. Wachtmeister Marc W. erzählt, dass Migranten hin und wieder beim Anblick der Soldaten die Flucht ergreifen. "Dann müssen wir eben nachlaufen und sie stoppen." Aber meistens wären die Flüchtlinge natürlich froh, in Österreich zu sein. Nur vor der ungarischen Polizei hätten sie Angst. Im Juli gab es allerdings einen Vorfall: Ein Afghane hat einer 32-jährigen Soldatin ins Gesicht geschlagen. Ernsthaft verletzt sei sie jedoch nicht geworden, weiß Kulterer.