Sie sind so klein, wir können sie mit bloßem Auge nicht sehen. Doch sie könnten eines unserer größten Probleme lösen: Mikroorganismen – zum Beispiel Bakterien, Pilze oder Algen – fressen sich durch unsere Welt aus Plastik und lassen hoffen. Kann die Natur für uns Menschen Müllabfuhr sein?

Eigentlich, erklärt Mikrobiologe Wolfgang Streit von der Uni Hamburg, handeln die kleinen Zellen aus Verzweiflung, wenn sie Kunststoffe, also Plastik, fressen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig. Plastik ist mittlerweile überall: in unserer Kleidung, in Verpackungen, in Kosmetik und dann auf den Straßen, im Wald, im Meer. Rund 370 Millionen Tonnen Kunststoff produziert die Menschheit weltweit pro Jahr. "Wenn Mikroorganismen nichts anderes mehr haben, dann gehen sie an die Kunststoffe ran", sagt Streit. Sie brauchen Futter und Energie. Die Kunststoffe verwerten sie mithilfe von Enzymen. Das sind bestimmte Wirkstoffe, die am Stoffwechsel beteiligt sind. Die Mikroorganismen schaffen es, Plastik abzubauen, weil sie "extrem anpassungsfähig" sind und immer wieder mutieren, sagt Streit.

Streit von der Uni Hamburg
Streit von der Uni Hamburg © UHH/Mentzel

Mehr Mikroorganismen als Sterne im Universum

Richtig schmecken die Kunststoffe den Mikroorganismen aber nicht. Die chemischen Zusammensetzungen sind nicht einfach zu knacken für die Zellen. Plastik soll ja lange halten, das beabsichtigen die Hersteller. So können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher nur eine Gruppe von Kunststoffen nennen, die Mikroorganismen abbauen können: die Gruppe der Polyester, genauer Polyethylenterephthalat (z. B. PET-Flaschen) und Polyurethan (z. B. Lacke). Für alles andere, wie zum Beispiel für Polyvinylchlorid (z. B. Böden) oder Polyethylen (z. B. Rohre) hat man noch keine Mikroorganismen identifiziert.

Weil Polyester nur 15 Prozent der Kunststoffe auf der Welt ausmachen, sind die Wissenschaftler auf der Suche nach der Nadel im Mikroorganismushaufen. Denn es gibt mehr Mikroorganismen als Sterne im Universum. In Zahlen sind es ungefähr zehn hoch 30. Streit und sein Team versuchen auf einer Müllhalde, auf der in den 1970ern Plastik vergraben wurde, und in Datenbanken von Forschungsinstituten und Unternehmen die geeigneten Mikroorganismen zu finden.

Rindermägen als Goldgrube

Biochemikerin Doris Ribitsch und ihr Team suchen auch in der Natur. Sie schauen sich an der Wiener Uni für Bodenkultur und im Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) Mikroorganismen und Enzyme an, die natürliche Stoffe abbauen, die Kunststoffen ähnlich sind. "Wir untersuchen sie darauf, ob sie nicht auch unnatürliche Materialien wie Plastik abbauen können." Vergangenen Sommer ist das Team so auf Rindermägen gekommen. Dort kommen Mikroorganismen und Enzyme vor, die natürliche Polyester wie Obstschalen abbauen. Es hat sich herausgestellt, dass sie auch künstliche Polyester verwerten.

Allerdings viel langsamer. "Weil sie eigentlich für die natürlichen Materialien designt sind", sagt die Biochemikerin. In der Natur brauchen die Mikroorganismen bis zu 500 Jahre, bis sie eine PET-Flasche abgebaut haben. Die Lösung: Ribitsch verändert die Zellen in der Petrischale. Sie maßschneidert und schleift sie so zurecht, dass sie im Labor eine PET-Flasche in ein paar Stunden zerlegen können.

Mikroorganismen können mit Enzymen (rosa Modell) Plastik abbauen, Ribitsch forscht dazu
Mikroorganismen können mit Enzymen (rosa Modell) Plastik abbauen, Ribitsch forscht dazu © acib gmbh

Firmen und Politik müssten aufspringen

Nun gibt es schon Pilotanlagen und erste Unternehmen, die Polyester mithilfe von Mikroorganismen und Enzymen in relativ kleinem Maßstab zersetzen und wiederverwenden. Ribitsch und ihr Team arbeiten gerade auch an einem Prozess, mit dem man gemischte Materialien abbauen kann: Kleidung aus Polyester und Baumwolle zum Beispiel. Schicht für Schicht und mit verschiedenen Enzymen funktioniert das. Aber noch nicht im industriellen Maßstab.

Bis solche Prozesse groß anwendbar werden, braucht es Zeit, sagen die Wissenschaftler. Das Ganze müsse wirtschaftlich rentabel sein: "Wir produzieren eine PET-Flasche zurzeit für wenige Cents. Sie in einem mikrobiellen Verfahren aufzuarbeiten, kostet einige Euros. Diese Lücke muss man schließen", sagt Streit. Und auf Nachhaltigkeit kommt es an: "Ich kann nicht mehr CO₂ freisetzen, um die Flasche zu recyceln, als ich aufbringen würde, wenn ich sie verbrenne." Schlussendlich bräuchte es mehr Forschung, um mehr passende Mikroorganismen und Enzyme zu finden. Und Recycler sowie Firmen, die große Mengen an Mikroorganismen und Enzymen zur Verfügung stellen können, und die Politik müssten an Bord sein. Der Gedanke, dass es die Natur schon von alleine richten wird, ist also zu kurz gedacht.

Die gute Nachricht: Das Wissen, das die Forscherinnen und Forscher erlangen, kann man umgekehrt nutzen: "Wir können ab jetzt vielleicht Kunststoffe herstellen, die dann leichter abbaubar sind", sagt Streit. Um die richtige Formel für die Herstellung zu finden – sodass das Plastik stabil und gleichzeitig für Mikroorganismen verwertbar ist –, brauche es aber auch noch einiges an Arbeit.