Er war ein Symbol für den Konflikt zwischen Tourismus und Naturschutz: der geplante Zusammenschluss der Gletscherskigebiete des Pitz- und Ötztals. Mit seiner Bürgerinitiative hat Gerd Estermann fast 170.000 Unterschriften gegen das Projekt gesammelt. Eine Volksbefragung in der Gemeinde St. Leonhard hat die "Gletscher-Ehe" nun verhindert. Für Estermann eine wegweisende Entscheidung – auch mit Blick auf die Tiroler Landtagswahlen im September.


Hat Sie das Ergebnis der Volksbefragung überrascht?
GERD ESTERMANN: Ja, ich habe erwartet, dass sich die Bevölkerung für das Projekt ausspricht. Dass dann Mitte Juli eine knappe Mehrheit dagegen gestimmt hat, ist für uns alle eine Überraschung gewesen, weil noch vor zwei Jahren die Stimmung völlig anders war. Dieser Umschwung ist vielleicht auch auf unsere Informationsarbeit zurückzuführen.


Die Politik reagierte teils entsetzt auf das Nein.
Nur am Beginn. Nach einer kurzen Schrecksekunde waren auf einmal alle schon immer gegen dieses Projekt gewesen. In Tirol sind halt Vorwahlkampfzeiten.


Wird das Thema im Wahlkampf weiterhin eine Rolle spielen?
Zweifellos, sogar eine zentrale. Die Grünen sind natürlich sofort aufgesprungen. Für uns ist das etwas unglaubwürdig. Sie hätten schon vorher klarere Worte sprechen können. Durchsetzungsvermögen und Glaubwürdigkeit der Grünen haben da gelitten.

Naturschützer Gerd Estermann
Naturschützer Gerd Estermann © KK


Es hängen natürlich auch viele Arbeitsplätze an Projekten wie diesen. In Tirol machte der Tourismus vor Corona 14 Prozent der Wertschöpfung aus.
Da muss ich klarstellen: Wir sind keine Tourismusgegner. Meine Frau und meine Tochter sind sogar im Tourismus tätig. Wenn man als Tiroler gegen den Tourismus ist, lebt man im falschen Land. Wir sind aber an einem Punkt, wo der Zenit erreicht, wenn nicht sogar überschritten wurde. Auch in der Bevölkerung gibt es nun das Gefühl: Wir haben genug; genug Lifte, genug Infrastruktur, wir brauchen nicht mehr. Diese expansive Vorgangsweise der letzten Jahrzehnte, bei der man immer mehr Natur verbaut: Da sind wir klar dagegen. Auch die Mehrheit der Bevölkerung denkt so, wie Umfragen zeigen.


Wird auch in den politischen Parteien umgedacht?
Es fängt an. Die Politik reagiert sehr langsam. Aber wir merken, dass unsere Initiative nun ernst genommen wird. Mir wäre eine ehrliche Informationspolitik wichtig. Die Leute werden oft immer noch für dumm verkauft oder gar nicht informiert.


Welche Forderungen haben Sie noch an die Politik?
Mit der Verhinderung des Projekts am Gletscher haben wir ein Etappenziel erreicht. Wir wünschen uns aber, dass das Regelwerk verändert wird, damit wir nicht jedes Mal Initiativen starten müssen. Die Regeln gibt es im Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm. Das trägt aber noch ganz klar die Handschrift der Seilbahner. Der Naturschutz muss da stärker berücksichtigt werden, der Gletscherschutz etwa absolut sein. Den gibt es zwar formal, aber er wird durch Ausnahmeregeln aufgeweicht. Zudem muss nicht nur das Eis, sondern auch das Gletschervorfeld geschützt werden. Es ist Zeit, die Bremse zu ziehen, da die Gier und die Maßlosigkeit der Investoren gigantische Ausmaße annehmen.


Sind Sie zuversichtlicher als vor zwei Jahren zum Start der
Petition?
Bin ich, da es eine Wechselstimmung gibt. Es muss nun politisch ein Gegengewicht gegen diese Spekulationen und Projekte gesetzt werden. Dafür kämpfen wir.