Der Neusiedler See kommt nicht aus den Schlagzeilen. Nach dem gravierenden Wassermangel wurde jetzt das nächste Problem bekannt: Das alte Schilf gefährdet die Brutvögelbestände.
Eine aktuelle, im "Journal of Ornithology" publizierte Studie der Vogelschutzorganisation BirdLife Österreich hat den Zusammenhang der Schilfbestände des Neusiedler Sees mit dem Vogelbestand untersucht. Die Pflanzen an dem Gewässer seien überaltert und werden dadurch für die vorkommenden Vogelarten zunehmend unattraktiv, lautet das Fazit. "Selbst für Arten, die an ältere Schilfbestände angepasst sind, erweisen sich große Teile des Schilfgürtels als zu degradiert".
Somit verlören die Brutvögel einen wichtigen Lebensraum und infolge führe dies zu dramatischen Rückgängen in den Bestandszahlen der hier brütenden Singvögel und Rallen, hieß es am Freitag in einer Aussendung der NGO. Der als Aushängeschild des Nationalparks geltende Silberreiher, sei mittlerweile ebenfalls betroffen, er habe heuer bereits nicht mehr im Nationalpark genistet. Ein kontrolliertes Brandmanagement scheint laut BirdLife die einzige erfolgversprechende Maßnahme zu sein, um den Schilfgürtel zu verjüngen und seine Vogelvielfalt zu bewahren. Eine Ernte des am Boden liegenden Altschilfs sei aller Voraussicht nach nicht ohne dauerhafte Schäden möglich.
Mit einer Fläche von 163 Quadratkilometern, 104 davon auf österreichischem sowie 59 auf ungarischem Staatsgebiet, bilde der Schilfgürtel des Neusiedler Sees nach dem Donaudelta das zweitgrößte Schilfgebiet in Europa. Noch beherberge er für einige Vogelarten die wahrscheinlich größten Populationen des Kontinents, genannt wurden etwa der Mariskensänger mit 5000 bis 7000 Brutpaaren. Jedoch komme es in den vergangenen Jahren vermehrt zum flächigen Zusammenbruch und Absterben von Schilfbeständen, was wiederum für teilweise dramatische Rückgänge bei den Vogelpopulationen sorgen würde. Als ein Beispiel wurde das Kleine Sumpfhuhn genannt, eine europaweit geschützte Art, die am Neusiedler See in den 1990er-Jahren eines der weltweit größten Vorkommen von bis zu 22.000 Paaren stellte. Aktuell wird die Population auf nur mehr 4000 geschätzt.
Knapp Hälfte extrem überaltert
"Fast 50 Prozent des Schilfgürtels sind extrem überaltert", berichtet Erwin Nemeth von BirdLife Österreich, aktuelle Daten würden sogar zeigen, dass 17 Prozent der Flächen total zusammengebrochene "Schilfmatten" bilden, die für praktisch alle Vogelarten wertlos sind. Aber auch für große in Kolonien brütende Schreitvögel verschlechtere sich die Situation dramatisch. "Im Gegensatz zu früher hat heuer erstmals kein einziges Silberreiherpaar im Nationalpark gebrütet", sagte Nemeth, "Die früheren Koloniestandorte sind verwaist. Stattdessen ist die Art in die stärkeren Schilfbestände am Rande des Sees ausgewichen, die sie zum Nestbau benötigen. Diese Standorte genießen jedoch nicht den Schutz des Nationalparks und sind sehr anfällig für Störungen. Eine mehr als prekäre Situation für den Charaktervogel des Neusiedler Sees."
Bis in die 1950er-Jahre wurde der Alterungsprozess des Schilfgürtels durch großräumigen Schilfschnitt und Brand in den Wintermonaten verhindert oder verlangsamt. In den letzten Jahrzehnten führte der Klimawandel zu wärmeren Wintern mit nur kurzzeitig bestehender Eisdecke. Die fehlende Eisdecke im Winter verhindert ein nachhaltiges Abschneiden sehr alter Schilfbestände, weshalb der Schilfschnitt nunmehr nicht auf tragfähigem Eis, sondern auf teils überschwemmten Boden erfolgt.
In tieferem Wasser kommt es dann auch bei schonendem Einsatz von Erntemaschinen zu dauerhaften Schäden. "Wir empfehlen daher die vorsichtige Einführung eines kontrollierten Feuermanagements als Maßnahme zur Sicherung dieses einzigartigen Vogellebensraums", betont Erwin Nemeth von BirdLife Österreich. Dazu reicht es, ein Gebiet nur einmal in 15 Jahren zu brennen. "Das kontrollierte Abbrennen des Schilfs wäre auch aus Sicherheitsgründen angebracht", weiß der Experte. "Wie ein Fall im Juli 2022 zeigt, können Brände auch durch Blitzschlag ausgelöst werden" und das derzeit angehäufte Altschilf könnte leicht zu unbeherrschbaren Großbränden führen – ein Risiko, das durch kontrolliertes Feuermanagement im Winter verringert werden könnte.