Günter Pilch ist Spezialist für Klimafragen und Umweltredakteur bei der Kleinen Zeitung
Günter Pilch ist Spezialist für Klimafragen und Umweltredakteur bei der Kleinen Zeitung © Kleine Zeitung

Günter Pilch ist für ein Verbot: Veränderung auf äußeren Druck hin ist selten bequem. Und so erfordert es auch keine allzu große Mühe, auf Maßnahmen zum Umbau unseres Mobilitätssystems mit der Keule entrüsteter Kritik zu reagieren. Was dabei aber meist unterschlagen wird: Ein (selbstredend) angenehmeres Verharren im Status quo steht in diesem Fall nicht zur Auswahl. Gelingt es nicht, bis zur Jahrhundertmitte auch Europas Verkehrssektor klimaneutral zu gestalten, scheitert der „Green Deal“ der EU und mit ihm das (von allen Staaten als unabdingbar beschlossene) Klimaziel von Paris mit all den verheerenden Konsequenzen. Die Kurve der nötigen Transformation ist eng und erfordert starke politische Signale.

Der Beschluss des EU-Parlaments, ab 2035 nur noch emissionsfreie Pkw und Transporter neu zum Verkehr zulassen zu wollen, ist ein solches Signal. Der Zeitpunkt für das De-Facto-Aus neuer Verbrenner-Autos ist vorausschauend und schlüssig gewählt. Die durchschnittliche Lebensdauer europäischer Pkw beträgt derzeit rund 14 Jahre. Es wäre politisch fahrlässig, den fossilen Neuwagen nicht spätestens zur Mitte des nächsten Jahrzehnts die Haltekelle zu zeigen, wissend, dass der Kontinent 2050 das Ziel der Klimaneutralität erreicht haben muss. Autohersteller wie auch -nutzer bekommen so jene Planungssicherheit, deren Fehlen der Politik sonst so oft angekreidet wird. So kommt es nicht von Ungefähr, dass große Hersteller wie Mercedes oder VW den Beschluss ausdrücklich begrüßen.

Mobilitätsverhalten muss sich ändern

Ebenso auf der Hand liegt, dass die Mineralölindustrie mit der Festlegung auf eine elektrische Autozukunft hadert. Ihre Forderung nach Technologieoffenheit mit Verweis auf synthetische Kraftstoffe als Alternative, um den Verbrenner unter den privaten Motorhauben zu retten, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Schimäre. Die komplexe Herstellung der E-Fuels verschlingt eine fünffach höhere Strommenge, als sie Elektroautos zum Fahren brauchen. Eine Ineffizienz, die diese Kraftstoffe auch in Zukunft teuer und knapp machen wird. Für den Pkw-Massenmarkt kommen sie deshalb, so sehen es die allermeisten Experten, nicht infrage. In anderen Bereichen ohne Elektro-Alternative dagegen – etwa im internationalen Flugverkehr, in Teilen der Industrie oder der Schifffahrt – wird der Synthetikbrennstoff künftig händeringend gebraucht werden. Es ist Aufgabe der Politik, die entsprechenden Weichen frühzeitig zu stellen.

Getan ist es damit allerdings noch nicht. Eine Antriebsform gegen eine andere zu tauschen, löst nicht alle Probleme, das Mobilitätssystem braucht insgesamt mehr Effizienz. Das geht nur, wenn sich auch das Mobilitätsverhalten ändert, die Zahl der Autos zugunsten von Öffis, Fahrrädern und multimodalen Systemen sinkt. Dass der Weg weit ist, sollte kein Grund sein, ihn gar nicht erst zu beginnen.

Didi Hubmann ist Mobilitätschchef der Kleinen Zeitung und fährt leidenschaftlich gerne alles, was Räder hat – egal, ob mit Elektro- oder Verbrennermotor
Didi Hubmann ist Mobilitätschchef der Kleinen Zeitung und fährt leidenschaftlich gerne alles, was Räder hat – egal, ob mit Elektro- oder Verbrennermotor © Kleine Zeitung

Didi Hubmann ist gegen ein Verbot: Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Autoindustrie hat sich über undurchsichtige Lobbyingarbeit, geschönte Verbrauchswerte und Dieselskandal selbst in eine Situation gebracht, in der man ihr weder glaubt noch vertraut. Die EU-Parlamentsentscheidung ist eine Konsequenz daraus. Dass aber die Entscheidung, ein Verbrennerverbot ab 2035 durchzudrücken, mit Scheuklappen getroffen wurde, man technologische Entwicklungen ausblendet, lässt nur einen Schluss zu: Sie spielt wie die Autoindustrie früher ein gefährliches Spiel. Man will Ideologien und Wählerklientel befriedigen. Und wenn Autobosse brav das „Aus“ für den Verbrenner begrüßen, müssten selbst die grünsten Politiker stutzig werden. Die Aussagen sind Börse und Kursen geschuldet, die dem Leitstern Tesla folgen.

Tatsache ist: Das E-Auto begleiten zu viele offene Fragen (Batterien, Rohstoffe, Reichweite, Infrastruktur), als dass es das alleinige Heilmittel für unsere Mobilität sein könnte. Wir werden Verbrennermotor vor und nach 2035 brauchen und gerade jetzt nimmt die Politik eine wichtige technologische Option aus dem Spiel, synthetische Kraftstoffe. Denn „selbst, wenn wir ab 1. 1. 2030 ausschließlich Elektroautos zulassen, also zu 100 Prozent auf E-Autos umsteigen, werden wir die Klimaziele des Verkehrssektors deutlich verfehlen“, schlussfolgern Experten wie Helmut Eichlseder von der Technischen Universität Graz aus den Fakten. Mit synthetischen Kraftstoffen könnten wir – bei allen technischen Fragezeichen, die es auch hier zu beantworten gilt (Energieaufwand, Produktion, etc.) – zumindest einen Teil dieser Autos klimaneutral betreiben. Also den CO₂-Ausstoß im Vergleich zum herkömmlichen Verbrenner reduzieren.

Erneuerbare reichen nicht für Elektroautos

Dass uns das EU-Parlament mit seiner Entscheidung weismachen will, die Technologie werde nicht funktionieren, ist Glaskugellesen auf Jahrmarktniveau. Die Konsequenzen daraus: Die Industrie wird Investitionen verringern, Skalierungseffekte gehen verloren. Bitte, wann haben wir uns aktiv gegen eine Technologie verwehrt, die unsere Situation verbessern könnte? Sind wir im Mittelalter, wo es um Glauben statt um Wissen ging? Das E-Auto könnte man genauso kritisch hinterfragen. Die Energie- und Rohstoffpreise steigen, das E-Auto läuft Gefahr, zu teuer für die Massenmobilität zu werden. Ganz abgesehen von der Atomstrom-Diskussion. Wir wissen, dass die erneuerbaren Energien nicht reichen, um E-Autos zu versorgen, weil Schwerindustrie und Co auf erneuerbare Energien umstellen.

Die Entscheidung, Technologien wie synthetische Kraftstoffe auszublenden, ist nicht argumentierbar. Außer man will den Individualverkehr komplett eindampfen. Das würde erklären, warum man Politik mit Scheuklappen macht.