Sie sind vor einer Woche zum Flüchtlingskoordinator ernannt worden. Wie gewaltig ist die Herausforderung?
MICHAEL TAKACS: Enorm, weil sie nicht abschätzbar ist. Nicht nur Österreich, ganz Europa ist gefordert. Keiner kann vorhersagen, was alles auf uns zukommt.
Worauf müssen wir uns einstellen?
Ich will, dass alle, die aus einem Kriegsgebiet vertrieben worden sind und in Österreich Schutz suchen, ein Dach über dem Kopf bekommen und ein Bett haben. Das hat oberste Priorität. Es darf keiner auf der Straße übernachten.
Gelingt das?
Bis jetzt gelingt es, aber man darf sich nicht zurücklehnen. Ich verstehe die Euphorie, weil wir es bis jetzt geschafft haben. Das heißt aber nicht, dass wir es auch in Zukunft schaffen. Derzeit packen alle an, auf Bundes- wie auch auf Landesebene, Nichtregierungsorganisationen. Die Hilfsbereitschaft ist überwältigend. Auch die Wirtschaft ist an Bord. Meine Aufgabe ist es, das alles zu koordinieren.
Ist ein föderaler Staat ein Vor- oder Nachteil?
Aus meiner Sicht ist es ein Vorteil, denn jedes Bundesland hat seine Feinheiten. Wer in Wien sitzt, kennt nicht die Feinheiten in Vorarlberg, Tirol, Salzburg. Ich werde auch jedem Bürgermeister einen Brief schicken, denn sie sind es, die wissen, wo in der Gemeinde ein Haus seit zwei Jahren leer steht.
Ist der Ernst der Lage bei allen Landeshauptleuten angekommen?
Davon bin ich überzeugt, ich weiß von Wien, Niederösterreich und Oberösterreich, dass man dort schon ordentlich angepackt hat.
Was ist die große Herausforderung?
Unterkünfte, Unterkünfte, Unterkünfte – das ist jetzt die erste Phase. Das ist das Allerwichtigste, das haben wir aus 2015 gelernt.
Es sind mehr als 30.000 Flüchtlinge im Land. Gibt es genug Quartiere?
Wir haben nach dem letzten Stand 36.000 Betten, die Privatinitiativen entstammen. Wir haben in Bundesbetreuungseinrichtungen 3000 Betten, rund 4500 Betten in den Ankunftszentren. Derzeit haben wir rund 7000 Schutzbedürftige registriert, aber es sind auch viele privat in Österreich.
Das reicht derzeit, aber nicht für die Zukunft?
Wir suchen deshalb Liegenschaften, Immobilien, Hallen, wo man, wenn wirklich große Wellen kommen, auch einmal hundert Personen unterbringen kann. Niemand soll auf der Straße übernachten.
Und was sind die nächsten Schritte?
Wir müssen alles tun, damit Kinder rasch in Schulen und Kindergärten untergebracht werden. Und jene, die arbeiten können und wollen, so schnell wie möglich einen Job bekommen.
Das wird nicht so einfach sein?
Ich bin mir nicht so sicher, denn es melden sich wahnsinnig viele Betriebe, die Jobs anbieten. Andererseits müssen wir schauen, dass wir bei der Anerkennung der Berufsqualifikationen flexibler werden.
Mit wie vielen Vertriebenen rechnen Sie?
Wir müssen gewappnet sein. Wenn man den Experten, den Geheimdiensten Glauben schenkt, müssen wir mit 150.000 bis 200.000 Vertriebenen rechnen.
Bis zum Sommer oder bis Jahresende?
Das weiß ich nicht. Das hat ein einziger Mann, der im Kreml sitzt, in der Hand.
Gibt es auch Einschätzungen, ob die Vertriebenen hier Monate oder Jahre bleiben. Oder für immer?
Das hängt vom Kriegsverlauf, aber auch vom Herrn im Kreml ab. Niemand weiß es wirklich.
Wie sehr ist die Lage mit 2015 vergleichbar?
Bedingt, denn wir haben eine ganz andere Situation. Das Stimmungsbild ist 2015/16 relativ rasch gekippt, das glaube ich, dass es diesmal nicht so schnell kippen wird, falls es überhaupt kippt. Warum? Wir haben damals Bilder im Fernsehen und in den Print-Medien gesehen, dass zwei Polizisten 2000 Flüchtlinge aufhalten wollten. Wir können sehr wohl aus den Erfahrungen aus 2015/16 profitieren. Hätten wir 2015/16 nicht gehabt, gäbe es keine Bundesbetreuungsagentur.
Kann die Stimmung nicht kippen, wenn etwa die Preise durch die Decke gehen? So manche politische Partei sieht sich das sehr genau an?
Ich bin kein Politiker, agiere definitiv nicht politisch. Ich habe vom Kanzler einen klaren Auftrag bekommen. Ich will alles tun, damit alles geordnet abläuft. Ob irgendeine Partei wie bei der Pandemie sich positioniert, ist für mich sekundär. Es ist in jedem Fall eine überparteiliche Aufgabe, die wir hier und heute zu bewältigen haben.