2,8 Millionen Gäste verbrachten in Vorkrisenzeiten den Winter in Tirol. Nachhaltiger (Ski-)Tourismus ist keine Fiktion, betonten Experten unisono in Gesprächen mit der APA. Wie es gehen könnte, zeigt das dahingehend prämierte Kaunertal. So würden "politische Strukturen, konstruktive Verhandlungen, Diskurs, und Reglementierungen" Nachhaltigkeit in Österreich ohnehin möglich machen, war Glaziologin Andrea Fischer, die am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck forscht, überzeugt. Es sei natürlich "kein Selbstläufer", betonte sie mit Verweis auf die "kritischen Stimmen der NGOs", doch die Strukturen für kritischen Diskurs seien da.

Es stelle sich auch die Frage nach den Alternativen. "Wenn Menschen nicht Skifahren, machen sie auch nicht nichts. Netflix ist einer der größten Stromfresser im Freizeitverhalten", gab die Forscherin zu Bedenken. Ein weiteres Argument: "Nur wer die Natur kennt, schützt sie". Nachhaltigkeit sei - nach einer Definition der Vereinten Nationen - außerdem viel breiter zu sehen. Neben der ökologischen Dimension seien auch ökonomische und soziale Parameter heranzuziehen.

Ökologischer Fußabdruck selbst bei Radausflug

Ökologische Auswirkungen lassen sich oft in einen CO2-Fußabdruck gießen. "Jede Konsumaktivität hinterlässt einen ökologischen Fußabdruck - selbst der Radausflug zum See. Es gibt praktisch keinen Urlaub ohne Nachhaltigkeitsaspekte", betonte indes Volkswirt Gottfried Tappeiner, Studienbeauftragter des Masterstudium "Nachhaltige Regional- und Destinationsentwicklung" an der Universität Innsbruck. Am stärksten falle bei einem Skiurlaub die Anfahrt ins Gewicht. Diese verursacht Zahlen des Umweltbundesamtes zufolge meist mehr als die Hälfte der 231 Kilogramm, die pro Urlaubswoche im Schnitt an CO2 erzeugt werden - während das Skifahren selbst nur mit rund 42 Kilogramm zu Buche schlägt. Zweitgrößter Faktor ist die Unterkunft, wo sich vor allem das Heizen negativ auf den CO2-Ausstoß auswirkt.

Ökologisierung werde auch von der Nachfrageseite getrieben, erklärte der Studienbeauftrage. Unternehmen wollten konsequenterweise ihr Image verbessern. Es liege nun vor allem an der Politik, "geeignete Rahmenbedingungen" zu setzen, um "das Potenzial an Nachhaltigkeit auszunutzen, das relativ leicht erschließbar ist". "Lokale Kreisläufe" müssten etwa forciert und der Öffentliche Nahverkehr noch weiter ausgebaut werden. Hürden auf dem Weg zu einem nachhaltigeren (Ski-)Tourismus verortete Tappeiner indes weniger im technischen als im kulturellen Bereich. "Mit der rationalen Entscheidung für ein umweltfreundlicheres Verhalten ist es so wie mit dem Zähneputzen", meinte der Ökonom, "es muss zur fixen Prozedur werden, damit es sich verfestigt".

Temperaturanstieg vor allem am Berg

Dafür ist es höchste Zeit. CO2 in der Atmosphäre führt durch den Treibhauseffekt zur Erderwärmung und ist damit eine wesentliche Ursache der Klimakrise. In den Alpen ist die Durchschnittstemperatur in den vergangenen hundert Jahren um zwei Grad gestiegen, ein doppelt so hoher Wert wie im globalen Mittel. Schon heute ist der Skibetrieb vielerorts auf Kunstschnee angewiesen. In Österreich lag 2019 auf 70 Prozent der Pisten Kunstschnee. Über 1,3 Milliarden Euro hat das Land seit 2000 in dafür notwendige Technologie gesteckt. Mittlerweile betreiben manche großen Skigebiete "Snowfarming": Sie sammeln und konservieren Frühjahrsschnee im Schatten bis zum Anbruch der neuen Saison.

"Eine relativ schlaue Methode", kommentierte Fischer, denn: "Sowohl der Gast, also auch der Gastgeber wollen die Saison planen". Auch das von Umweltorganisationen scharf kritisierte Anplanieren von alpinem Gelände - etwa in Form von Kickern für Freestyler, um dann im Winter Kunstschnee zu sparen, sah die Expertin nicht grundsätzlich problematisch. Es sei - wie so oft - eben eine "Abwägung von Vor- und Nachteilen". Die Meinungsbildung soll durch öffentlichen Diskurs erfolgen, so ihre Position. Als Wissenschaftlerin beantworte sie wissenschaftlich fassbare Sachfragen im Zuge eines Gutachtens, bewerte aber nicht. Eine Wertung sei "immer eine Abwägung verschiedener Kategorien an Werten und damit subjektiv und nicht objektiv", unterstrich Fischer.

Alles in allem malte sie ein optimistisches Bild, was nachhaltige Tourismusentwicklung angeht: "Eigentlich sind wir in den Alpen - im Vergleich zu anderen Destinationen, die von 'Overtourism' betroffen sind - sehr gut aufgestellt". Aber: "Wir müssen daran arbeiten". Die Corona-Pandemie habe einen "ganz tiefen und ehrlichen Nachdenkprozess" im Land angestoßen, beobachtete die Glaziologin. Zudem kämen "die handelnden Akteure zum Großteil aus der Region" und hätten "ein großes Interesse den Lebens- und Wirtschaftsraum für kommende Generationen zu erhalten".

Naturpark Kaunertal als Vorbild

Einer dieser Akteure ist Ernst Partl, der Geschäftsführer des Naturparks Kaunergrat (Bezirke Landeck und Imst). Sein Naturpark wurde 2021 auf Bestreben der Region um 130 Quadratkilometer auf 220 erweitert und umfasst nun einen Großteil des Kaunergrat, einem bis zu 3.500 Meter hohen Gebirgszug. In unmittelbarerer Nachbarschaft zum Naturpark befindet sich auch das Kaunertaler Gletscherskigebiet. Im Dezember des Vorjahres erhielt die 600-Seelen-Gemeinde Kaunertal die Auszeichnung zum "Best Tourism Village" von der Welt-Tourismusorganisation UNWTO.

Die Situation sei von außen betrachtet "ambivalent", räumte Partl gegenüber der APA ein, es stelle sich für so manchen wohl die Frage, wie man "das alles unter einen Hut" bringe. Fakt sei aber, dass die Region sehr wesentlich vom Naturpark profitiert, gerade wenn es um die Transformation hin zu einer nachhaltigen Regionalentwicklung geht, da der Naturpark Kaunergrat für wesentliche Qualitätsstandards stehe.

"Natürlich - jeder Eingriff in die Natur ist einer zu viel", machte Partl klar. Natürliche Ressourcen seien möglichst schonend und "intelligent" zu nutzen. Wie auch Fischer nahm er Bezug auf Rahmenbedingungen. Das Gletscherskigebiet habe aufgrund des Gletscherschwunds in den letzten Jahren einige Lifte verloren. Im Dezember des Vorjahres wurde eine neue 10er-Gondelbahn in Betrieb genommen. "Das war eine Bereicherung fürs Skigebiet", stellte Partl fest, und habe das "touristische Potenzial der Region verbessert", wovon schlussendlich die lokale Bevölkerung direkt profitiert. Hier komme die "soziale und ökonomische Dimension von Nachhaltigkeit" ins Spiel.

Wie genau man nachhaltigen Tourismus erreichen kann, müsse jede Region für sich selbst langfristig erarbeiten und dazu eigene Kompetenzen aufbauen. Er wolle daher auch keine pauschalen Empfehlungen aussprechen. "Wir gehen den 'Kaunertaler Weg'", nahm Partl augenzwinkernd Bezug auf das Motto der neuen Tiroler Tourismusstrategie. Das Kaunertal punkte jedenfalls durch seine "Kleinstrukturiertheit" und seinen "bis heute intakten Natur- und Kulturraum". "Größere und intensiver betriebene Tourismusregionen haben in Sachen Nachhaltigkeit von vornherein einen größeren Rucksack zu tragen".

Außer Frage stand für Partl, dass ein qualitativer Tourismus, der schonend mit seinen Ressourcen umgeht, auch in Zukunft "unverzichtbar" für Tirol sei, und "wichtige Wertschöpfung" bringe. Jeder dritte Euro wird in Tirol von der Tourismus- und Freizeitwirtschaft verdient, jeder vierte Vollzeitarbeitsplatz von dieser geschaffen. In der Förderung der Kreislaufwirtschaft, bei der biologische Materialien am Ende ihrer Verwendung wieder in einen biologischen Kreislauf zurückgeführt werden und in der Verbesserung der regionalen Wertschöpfungsketten sah er eine Chance, Tourismus in Zukunft "bestmöglich nachhaltig zu gestalten".