Dem Epidemiologen Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems ist nicht ganz klar, warum die Impfpflicht gerade jetzt eingeführt wird und eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren: „Es wäre interessant zu sehen, was hier die Entscheidungsgrundlagen der Regierung waren und warum es nicht später eingeführt oder Richtung Herbst verschoben wurde“, so Gartlehner im Ö1-Morgenjournal. Im Hinblick auf den Herbst sei die Wirksamkeit der Impfpflicht schwer abzuschätzen.
Rufen nach Lockerungen aufgrund sinkender Belegungszahlen an den Spitälern hält er für die falsche Diskussion zum falschen Zeitpunkt. Es stimme, dass die Spitäler nicht überlastet seien. Allerdings müsse man auch andere Länder betrachten. Dort habe sich gezeigt, dass es dann trotzdem zu Versorgungsengpässen kam aufgrund einer Kombination von vermehrten Patienten, aber auch Ausfall des medizinischen Personals: "Operationen mussten verschoben werden, Krebstherapien konnten nicht durchgeführt werden und weitere Einschränkungen im Krankenhausbetrieb."
„Wir werden sehen, dass medizinisches Personal vermehrt im Krankenstand sein wird. Je höher die Welle wird, desto mehr wird das der Fall sein. Das spielt bei der Versorgung eine große Rolle.“ Man müsse den Höhepunkt der Welle abwarten. Wenn es eine klare Tendenz nach unten gäbe, „ist das erste, worüber wir sprechen sollten, Lockerungen.“ Das müsse man schrittweise machen, 2G+ könne man zuerst aufheben, dann die Sperrstunde, „aber je rascher wir öffnen, desto größer ist die Gefahr, dass die Kurve wieder nach oben geht“.
Höher Impfrate wünschenswert
Eine höher Impfrate wäre sehr wünschenswert, um rasch aus der Pandemie herauszukommen. „Wir werden die Immunisierung der Bevölkerung dann durch Infektionen erhöhen. Aber irgendwann werden wir dann auch in den Bereich von Dänemark kommen.“ Das sei Österreich aber ein bis zwei Wochen voraus.
"Am Ende der Omikron-Welle werden wir in der Omikron-Welle eine Immunität haben, wie wir sie noch nie in der Pandemie hatten." Das bedeute nicht, dass man sich nicht mehr infizieren könne, aber ein Großteil der Bevölkerung werde dann doch einen guten Schutz gegen schwere Verläufe haben, betont Gartlehner.
Verlängerung der Impfzertifikate
Impfzertifikate zu verlängern, wie von ÖGK-Obmann Andreas Huss gefordert, sieht auch Gartlehner als angebracht: "Eine kurze Toleranzphase bis Anfang März ist vielleicht wirklich angebracht." Aber man müsse sich vor Augen halten, dass der dritte Stich das wirksamste Mittel gegen Omikron sei.
Ab dem 15. März wird ja die ab 1. Februar gültige Impfpflicht auch von der Exekutive und den Behörden kontrolliert und gegebenenfalls vollstreckt. Das Problem: Am 1. Februar laufen die Impfzertifikate von über 500.000 Personen aus. wenn sie sich davor nicht ihre Booster-Impfung holen. Denn ab dem 1. Februar sind zwei Impfdosen nur noch sechs statt bisher neun Monate gültig.
Betroffene werden damit am falschen Fuß erwischt, sagt ÖGK-Obmann Huss: "Die werden von einem Tag auf den anderen informiert, dass sie nicht mehr in den Handel können." Darum fordert er, dass der Stichtag auf den 1. März verschoben wird. "So dass jeder die Möglichkeit hat, sich den dritten Stich zu holen", so Huss. Viele Betroffene würden gar nicht wissen, dass sie ab Dienstag kein gültiges Impfzertifikat mehr haben, so der ÖGK-Obmann.