Der Autor des Gutachtens, Philipp Sonderegger, dokumentierte zumindest acht Fälle von „unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“, wie er am Mittwoch in einer Pressekonferenz sagte. Amnesty wiederholte die Forderung nach Einrichtung einer unabhängigen Ermittlungsstelle gegen Polizeigewalt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Wüste Szenen

Bei der Demonstration unter dem Titel „Kapitalismus ist die Krise! Soziale Kämpfe verbinden!“ zogen rund 1700 Teilnehmer und Teilnehmerinnen von der U-Bahn-Station Ottakring in die Wiener Innenstadt.

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Das AI-Gutachten

Der damit einhergehende Polizeieinsatz eskalierte, als Demonstranten einen Zivilpolizisten für einen Rechtsextremisten hielten und versuchten, diesen aus dem Demozug zu drängen. Der Beamte fühlte sich bedroht und setzte Pfefferspray ein. Es folgten wüste Szenen, bei denen es je nach Darstellung zu massiver Gewalt gegen die Polizei bzw. von der Polizei gekommen sein soll. Zwei Personen wurden letztlich festgenommen.

Fehlverhalten

Das Gutachten des Menschenrechtsexperten Sonderegger kommt nun zum Schluss, dass die Einsatzleitung der Polizei „Mitverantwortung an der Eskalation der Versammlung trägt und dass die Misshandlungsvorwürfenicht – im Sinne der menschenrechtlichen Verpflichtungen und Standards – ausreichend unabhängig, gründlich, rasch, kompetent und transparent untersucht wurden“. Es wäre demnach ein „massives Fehlverhalten der Polizei während des Einsatzes“ evident und „klare Hinweise auf die Misshandlung“ von Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die Polizei wären vorgelegen.

„Der Bericht über die ‚Mayday‘-Demo bestätigt leider, was wir seit vielen Jahren beobachten: Polizeigewalt in Österreich ist ein massives Problem“, betonte die Amnesty-International-Juristin Teresa Exenberger. Sie kritisierte auch, dass die Ausübung von rechtswidriger Gewalt für die Beamten in der Regel straflos bleibe.

Dies bestätige auch eine Studie von Ales (Austrian Center for Law Enforcement Sciences). Demnach führen Misshandlungsvorwürfe gegen Polizistinnen und Polizisten in Österreich fast nie zu einer Anklage, die Ermittlungsverfahren werden meist eingestellt. Der bzw. die Betroffene müsste zudem damit rechnen, von der Behörde wegen Verleumdung angezeigt zu werden.

Ruf nach Beschwerdestelle 

Das Hauptproblem bei der Aufarbeitung ist Exenberger zufolge, dass die Polizei gegen sich selbst ermittelt. Um dies abzustellen, forderte die NGO erneut eine unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Untersuchung von Polizeigewalt. „Die ermittelnde Stelle darf in keiner hierarchischen oder institutionellen Verbindung zur Polizei stehen“, so die Juristin. Die Untersuchungsstelle sollte zudem multiprofessionell zusammengesetzt, also etwa auch mit Medizinern, Psychologen und Menschenrechtsexperten besetzt, sein.

Exenberger erinnerte die Bundesregierung daran, dass ein Konzept für eine derartige Stelle eigentlich bereits Herbst 2020 hätte vorliegen sollen. „Doch bis dato sind weder konkrete Pläne für die Umsetzung vonseiten der Regierung präsentiert, noch ist die Zivilgesellschaft in die Konzeption dieser Stelle eingebunden worden. Amnesty fordert daher eine rasche Umsetzung des geplanten Projektes sowie einen verbindlichen Zeitplan für die Reform“, so die Juristin.

„Diese Analyse von Amnesty International wäre eigentlich Aufgabe der Polizei gewesen. Da das nicht passiert ist, wird das Vertrauen in die Polizei bei Opfern von Misshandlung oder überschießenden Einsätzen ein zweites Mal zerstört. Werden solche Vorfälle hingegen unabhängig und kritisch auch von der Polizei untersucht und dann auch entsprechende Konsequenzen gezogen, kann dieses Vertrauen wiederhergestellt werden“, reagierte Georg Bürstmayr, Sprecher der Grünen für Inneres, Sicherheit und Asylpolitik.