Gegen Ende der Großdemonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Österreich zieht die Polizei eine erste Bilanz. Die Behörden schätzen die Anzahl der Teilnehmer auf etwa 38.000, damit war die Kundgebung (eigentlich waren es zehn angemeldete Demos) die größte seit Ausbruch der Pandemie. Großteils wurde friedlich demonstriert. Die FPÖ sprach gar von 100.000 Teilnehmern. Der mehrere Kilometer lange Menschenzug marschierte über den Ring und mündete gegen 17 Uhr am Heldenplatz, wo auch die größte Kundgebung begann.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und der Wiener Landespolizeivizepräsident Franz Eigner gaben am heutigen Sonntag um 10.30 Uhr ein Pressestatement dazu ab.
Die Polizistinnen und Polizisten Österreich hätten eine harte Woche hinter sich. Allein in der vergangenen Woche sei bereits 150.000 Mal die 2G-Regel kontrolliert worden. Gleichzeitig habe sich die Stimmung innerhalb derer, die nicht geimpft seien und gegen die Maßnahmen auftreten, "deutlich radikalisiert". Die Polizei - 1.400 Beamtinnen und Beamten waren im Einsatz - habe wesentlich dazu beigetragen, dass die Lage nicht noch mehr eskaliert sei.
Herbert Kickl, der sich als politisches Zugpferd der Maßnahmenkritiker positioniert hat, konnte aufgrund seiner Covid-Infektion nicht an der Demo teilnehmen, war aber per Video zugeschalten. Um 19 Uhr bedankte er sich aus seiner Quarantäne per Videobotschaft bei den Demo-Teilnehmern mit gewohnt scharfer Wortwahl: Er warnte in der knapp viertelstündigen Rede vor einer „totalitären Bedrohung“. Die Medienlandschaft sei „Handlanger der Mächtigen“, Institutionen würden systematisch scheitern, es gebe „politisches und moralisches Totalversagen“. Über die dramatische Situation auf den österreichischen Intensivstationen verlor er kein Wort. Im Infektionsfall könne man Krankenhausaufenthalte aber mit einer medikamentösen Behandlung zu Hause hintanhalten. Zum Schluss sprach er über seinen Gesundheitszustand, es gehe ihm gut, er freue sich schon wieder auf persönliche Kontakte.
Trotz des insgesamt friedlichen Ablaufs berichtete die Polizei von teils aufgeheizter Stimmung. Insgesamt gab es aber lediglich fünf Festnahmen. Bei einem Zwischenfall versuchte ein Mann einem Polizisten die Dienstwaffe aus dem Holster zu reißen, das konnte aber verhindert werden. Bei einem anderen Vorfall wurden Polizisten mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen, worauf die Beamten Pfefferspray einsetzten.
Innenstadt lahmgelegt
Andere Festnahmen erfolgten sowohl wegen Verwaltungsdelikten als auch strafrechtlich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Für Aufregung sorgten auch Teilnehmer, die unter Applaus mit einem Banner, der sie als Polizisten auswies, durch das Burgtor auf den Heldenplatz einzogen. Dabei dürfte es sich nach Informationen der APA um deutsche Staatsbürger handeln. Die heimische Polizei kündigte an, diesen Fall zu prüfen.
Der Ring war ab 12 Uhr gesperrt, tausende Kundgebungsteilnehmer strömten nach und nach in die City. Die Innenstadt war über mehrere Stunden quasi lahmgelegt. Auch der öffentliche Verkehr war eingeschränkt.
Lokalaugenschein in der Innenstadt
Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz, man rechnete im Vorfeld mit einem hohen Grad an Mobilisierung. Rund 1300 Beamte wurden in die Bundeshauptstadt kommandiert. Die Polizei kündigte im Vorfeld an, die Einhaltung der Maßnahmen genau zu kontrollieren, es gilt die FFP-2-Maskenpflicht, aber keine Abstandsregeln.
Vereinzelt musste die Polizei heute Teilnehmer bereits auf die Tragepflicht von FFP-2-Masken hinweisen, was meist zu Diskussionen führte. Eine Frau etwa zog eine handgeschriebene Bestätigung vor, die sie davon ausnähme, der Beamte blickt skeptisch auf den Zettel, die Diskussion geht weiter.
Wenig später heizt die Rede einer Frau, die angibt, für das Pflegepersonal zu sprechen, die Stimmung an. Mehrmals fällt das Wort Diktatur, immer mit großem Beifall von Tausenden. Ab Montag würden viele Kolleginnen und Kollegen der Frau in den Krankenstand gehen oder kündigen müssen. Auch eindeutig widerlegte Mythen zur Impfung werden vielfach wiederholt, dann wird besonders laut gejubelt.
Bill Gates, Satan und "die Medien"
Ansonsten zeigt sich ein Bild, das man von vergangenen Demos kennt. Ganze Familien sind genauso in der Menge zu finden, wie einige esoterische Trommelkreise – auch laut betende religiöse Gruppen waren zu sehen. Eine Frau hält ein Plakat hoch mit der Aufschrift „Gegen Impfzwang, Abstand zu rechts." Wenige Meter daneben ein Mann mit einem Davidstern, in dem „Ungeimpft“ steht. Immer wieder ertönen spontane Sprechchöre, meist wird „Widerstand“ gerufen. Manchmal muss der eigene Partner aber auch nochmal dezidiert darauf hingewiesen werden, warum man denn vor Ort ist: "Du suist demonstrieren und net Motorradl schaun", so eine Frau zu ihrem Mann, der sich zu sehr von einem abgestellten Fahrzeug ablenken ließ.
Über der Innenstadt kreiste durchgehend ein Polizeihubschrauber, in einer Telegrammgruppe wurde prompt davor gewarnt, dass dieser Impfstoff über die Menge versprühe. Regelmäßige Durchsagen der Polizei, die auf die Maskenpflicht hinweisen, werden mit Pfiffen und Buh-Rufen übertönt. Vereinzelt werden Beamten beschimpft, etwa als „Scheiß Gsindel“. Ansonsten verliefen die Kundgebungen Großteils friedlich, doch die Wut der Teilnehmer war spürbar, sie richtete sich gegen die Regierung, vor allem Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und Bundeskanzler Alexander Schallenberg, oder "Spaltenberg" wie auf er auf einem Transparent genannt wurde. Aber auch die üblichen Verdächtigen – Bill Gates, Satan, "die Medien" oder Pharmakonzerne waren auf zahlreichen Plakaten vertreten.
Das folgende Video zeigt eine Szene vor dem Naturhistorischen Museum. Mehrere schwarz gekleidete Personen hatten sich kurz davor dort versammelt und vermummt und sich einer Anhaltung durch die Polizei entzogen, es kam zu einer Verfolgungsjagd zu Fuß:
Bei Versammlungen mit mehr als 50 Teilnehmern besteht eine FFP2-Maskenpflicht, sofern nicht alle Teilnehmer einen 2G-Nachweis haben. Demonstranten mit Masken waren allerdings die absolute Ausnahme, Österreich-Fahnen hingegen waren zahlreiche zu sehen.
Warnung an Betreiber "kritischer Infrastruktur"
Wie schon bei den Vergangenen Corona-Demos zeigte sich unter den Teilnehmern eine breite Mischung an Maßnahmengegnern. Während ein großer Teil friedlich demonstriert, befinden sich auch rechtsradikale Gruppen unter den Teilnehmern. Es gab internationale Aufrufe von einschlägigen Gruppen, an der heutigen Demo teilzunehmen.
Für Oberösterreich und Salzburg hatte es vage Hinweise für Störaktionen in Krankenhäusern, die man auch in Wien nicht ausschließen kann. Eine entsprechende Warnung ging an die Krankenhausbetreiberbetreiber. Als kritische Infrastruktur kontrolliert die Polizei deren Umgebung heute verstärkt, ebenso bei Medienhäusern. Da im Vorfeld auch aggressives Verhalten gegen Medienvertreter befürchtet wurde, sind viele Journalisten mit eigenem Sicherheitspersonal unterwegs. Mit stand 17.15 wurden aber laut Polizeisprecher Markus Dittrich aber keine derartigen Zwischenfälle gemeldet. Beim Einzug der Demo am Heldenplatz waren einige Teilnehmer schon stark betrunken, die Stimmung immer noch sehr aufgeheizt; was Dittrich für den Rest des Abends erwartet? "Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet."
Rechtsradikale Zwischenfälle
Gegen Ende der Demo vermehren sich Berichte von rechtsradikalen beziehungsweise antisemitischen Zwischenfällen. Eine dunkelhäutige Frau soll etwa umzingelt und bespuckt worden sein. Im zweiten Bezirk, wo sich das jüdische Vierte Wiens befindet, sollen jüdische Personen angepöbelt und Sätze wie "Wo sind die Gaskammern, wenn man sie braucht?" gefallen sein. Zahlreiche Holocaust-Vergleiche waren unter den Demonstrierenden immer wieder sehen.