Die Anzeichen mehrten sich, dass bei einem bundesweiten Lockdown sogar die Schulen geschlossen werden würden. Doch: "Schulen und Kindergärten bleiben grundsätzlich geöffnet", sagt Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) bei der Pressekonferenz Donnerstagvormitag.
Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) konnte sich hier offenbar doch gegen die Landeshauptleute durchsetzen: Die Schulen bleiben nun doch offen mit Präsenzunterricht. Die Regierung appelliert aber an alle Eltern, die das können, ihre Kinder zuhause zu betreuen.
"Eine Schule, die nur Betreuung anbietet, ist eigentlich unrealistisch", begründete Faßmann. Die Schülerinnen und Schüler sollten auch im Lehrplan weiterkommen. Er wisse, dass man durch die "vielen Testungen in der Schule so etwas wie einen kontrollierten Ort" geschaffen habe. "Unsere Testungen durchbrechen Infektionsketten." Das aufzugeben bedeute, dass Ansteckungen im unkontrollierten Bereich passieren würden.
Das Modell, das das Ministerium zunächst für Oberösterreich und Salzburg geplant hatte, kommt nun in den Schulen in ganz Österreich:
- Für alle Schulstufen gilt Maskenpflicht auch im Unterricht, für die Jüngeren (VS, MS, Unterstufe) reicht ein Mund-Nasen-Schutz, die Älteren brauchen FFP2-Masken
- Kinder können aber auch unbürokratisch zuhause bleiben und werden dafür mit Lernmaterial versorgt, heißt es aus dem Ministerium.
- Gibt es einen Coronafall in der Klasse, wird die ganze Klasse an den fünf darauffolgenden Schultagen per Antigentest getestet. So sollen die komplett überlasteten Gesundheitsbehörden entlastet werden.
"Der Weg, auf den wir uns geeinigt haben, ist - grob gesagt - der Weg, auf den wir uns mit Oberösterreich und Salzburg geeinigt haben", bestätigt Bundeskanzler Alexander Schallenberg. Es gebe einen eindringlichen Appell der Regierung und der Landeshauptleute an alle Eltern, ihre Kinder wenn möglich zuhause zu betreuen.
Eltern entscheiden, ob das Kind in die Schule geht
"Das Wesentliche ist: Die Schule ist offen, sie sorgt nicht nur für Betreuung, sondern auch für Unterricht", betonte Bildungsminister Faßmann im Gespräch mit der APA. Der Betrieb in der Schule sei abgesichert, gleichzeitig könne man die Klassen entdichten - jene Eltern, für die Homeoffice möglich ist, könnten ihre Kinder auch daheim lassen, wenn sie dies wollen.
Ob sie das tun, sollen Eltern selbst entscheiden, denn "Eltern wissen in der Regel immer, was das beste für ihr Kind ist", sagt der Bildungsminister in der Pressekonferenz am Abend. Auf Nachfrage empfiehlt er Eltern, externe Faktoren in ihre Entscheidung einzubeziehen. In Regionen mit hoher Inzidenz sei es etwa sinnvoll, das Kind zuhause zu lassen. Aber auch der Lerntyp des Kindes könne ein Faktor sein. Grundsätzlich hält er die Frage aber "für eine Falle", er betont: "Das wissen, glaube ich, Eltern am besten."
Distance Learning, wenn ganze Klasse daheimbleibt
"Es gibt keine Form des hybriden Unterrichts, wo Lehrerinnen und Lehrer gleichzeitig Distance Learning betreuen müssen und auch Präsenzunterricht haben", meinte Faßmann.
Distance Learning sei dann möglich, wenn etwa eine ganze Klasse daheimbleibe, meinte Faßmann. Wenn die technischen Möglichkeiten vorhanden sind, könne außerdem auch ein synchroner Hybridunterricht stattfinden, bei dem der Präsenzunterricht per Kamera nachhause übertragen wird.
Wie der Unterricht zuhause genau funktionieren wird, werde nach Alter und Standort variieren, sagte der Bildungsminister am Abend. So würden etwa Jüngere womöglich eher Bildungspakete erhalten, Ältere eher mit digitalen Lernplattformen arbeiten können, so Faßmann.
Schularbeiten und Tests werden ausgesetzt
Bei den Schularbeiten bzw. Tests gibt es die grundsätzliche Vorgabe, diese während dem Lockdown nicht stattfinden zu lassen. Wenn aber etwa praktisch alle Schüler anwesend seien bzw. sie unaufschiebbar sind, könnten sie durchgeführt werden. "Man kann sie aber auch ganz entfallen lassen, wenn anderweitig eine gesicherte Leistungsbeurteilung möglich ist."
Die nächsten drei Wochen seien nicht die Zeit, um im Curriculum auf das Gaspedal zu treten, sagte der Bildungsminister am Abend. Man will aber darauf achten, dass nicht alles in den Jänner geschoben wird. Er wolle verhindern, dass die nächsten 20 Tage zu einer prüfungsimmanenten Zeit werden, sagte Faßmann am Abend.
Auf Kritik von Lehrervertretern angesprochen verweist Faßmann in der Pressekonferenz am Abend auf die Dringlichkeit der Situation. "Da kann ich mir keine Zeit lassen, nicht bös sein."
Eine Prognose über die Inanspruchnahme des Unterrichts wollte der Minister nicht abgeben. Im Zuge der Lockdowns in den vergangenen Jahren habe sich gezeigt, dass dies von Schultyp zu Schultyp und von Schule zu Schule unterschiedlich gewesen sei. Mit zunehmender Dauer seien dann immer mehr in die Schule gekommen.
Für die Hochschulen wird es keine Vorgaben seitens des Ministeriums geben. Diese seien komplett autonom. Sie würden aber größtenteils auf Distance Learning umstellen, wo ein solches machbar sei und andererseits versuchen, etwa Labortätigkeiten und künstlerischen Unterricht in Präsenz anzubieten.
Appell, Kinder zuhause zu lassen
Die Schulen bleiben grundsätzlich offen (Präsenzunterricht "für all jene, die es benötigen" laut der schriftlichen Vereinbarung), die Präsenzpflicht wird aber ausgesetzt, sagte Schallenberg. "Es gibt den gemeinsam Appell von Bundesregierung und Landeshauptleuten, dort wo möglich, die Schüler zuhause zu lassen", betonte er - und verwies auf die extrem hohe Fallzahlen in diesen Altersgruppen. "Was immer wir im Schulbereich entscheiden, ist immer eine Herausforderung", räumte er ein. Man bitte die Bevölkerung in den nächsten 20 Tagen, sich noch einmal zusammenzureißen, "damit wir diese vierte Welle brechen". "Und ich hoffe, dass wir mit diesem Appell nie wieder in seine solche Situation kommen", sagte er.
Für AHS-Lehrergewerkschafter Herbert Weiß waren am Vormittag noch sehr viele Fragen offen: "Wir Lehrer können uns jedenfalls nicht zweiteilen. Präsenzunterricht für die einen und Distance Learning für die anderen wird gleichzeitig natürlich nicht möglich sein." Weiß will aber noch abwarten, bis es weitere Informationen vom Ministerium gibt.
Erste Reaktionen zeigten, wie schwierig neuerliche spontane mehrwöchigen Schulschließungen für die Betroffenen gewesen wären: "Zwar machen die stark steigenden Infektionszahlen verschärfte Maßnahmen erforderlich, wir sprechen uns aber klar gegen weitere gravierende Einschnitte in das Leben junger Menschen aus und fordern weitreichende Sonderregelungen bzw. maximal mögliche Normalität für Jugendliche", erklärt die Salzburger Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt.
"Kinder sind die am meisten getestete Bevölkerungsgruppe, die die am diszipliniertesten ihren Nasen-Mund-Schutz oder FFP2 Maske tragen, aber gleichzeitig diejenige Gruppe, deren Bedürfnisse am wenigsten Beachtung finden." Das Kindeswohl sei bei allen Maßnahme vorrangig zu berücksichtigen. Die psychischen Belastungen und Erkrankungen von Kindern seit Beginn der Covid-19 Pandemie seien bekannt, die Triage in der Kinder- und Jugendpsychiatrie stünden schon lange an der Tagesordnung.
"Kinder- und Jugendpsychiatrie am Anschlag"
Auch der Vorarlberger Kinder- und Jugendanwalt Michael
Rauch hat sich am Freitag strikt gegen eine neuerliche Schließung von Bildungseinrichtungen ausgesprochen. Er fürchtet gravierende Folgen für die Bildung, die psychische Gesundheit und die sozialen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen. Die Versorgungssysteme der Kinder- und Jugendpsychiatrie seien schon infolge der bisherigen Covid19-Maßnahmen "seit Monaten am Anschlag", so Rauch.
Schon die bisherigen Maßnahmen hätten gravierende Auswirkungen auf die seelische Gesundheit junger Menschen gehabt, durch neuerliche Einschränkungen verstärkten sich bereits vorhandene Risiken. "Sowohl die ambulanten als auch die stationären Versorgungssysteme der Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeiten seit Monaten am Anschlag und die gesetzten Entlastungsmaßnahmen zeigen erst langsam Wirkung", erklärte Rauch. Jugendarbeit, Sportvereine und Bildungseinrichtungen müssten zugänglich bleiben.
Elternverband für offene Schulen
Auch der Bundeselternverband für Mittlere und Höhere Schulen fordert, die Schulen offenzuhalten. Die Gründe: Die psychosozialen und emotionalen Belastungen würden durch Schließungen sowohl bei Kindern als auch bei Eltern nicht noch weiter verstärkt. Und: "Kinder und Jugendliche befinden sich in der wichtigsten Entwicklungsphase und benötigen mehr als Erwachsene einen strukturierten Tagesablauf und soziale Kontakte", erklärt Verbandspräsident Christoph Drexler. Gefährdete Kinder oder Kinder von gefährdeten Eltern könnten vom Unterricht freigestellt werden, die etablierte engmaschige Teststrategie an Schulen ermögliche einen für die Gesellschaft wichtigen und nutzbringenden Einblick in das Infektionsgeschehen.