Wie haben Sie eigentlich die letzten Tage wahrgenommen, die Regierungskrise, den Kanzlerwechsel?
HEINZ FAßMANN: Vor allem durch die Medien vermittelt, die eine wichtige Funktion bei der Klärung der Situation ausfüllen und durch Gespräche mit den anderen Regierungsmitgliedern. Die Dinge liegen jetzt so weit auf dem Tisch. Man sollte die Justiz arbeiten lassen, um zu schauen, ob die Vorwürfe gesetzlich relevant sind. Und wir müssen auch wieder wegkommen von dieser Eskalationswelle und in den Arbeitsmodus zurückfinden.
Behindert sie das, wenn sie dauernd darauf angesprochen werden?
Heute sind Sie die Ersten, die mich darauf ansprechen. Wir arbeiten unseren Regierungsplan ab, ich sehe keine persönliche Beschränkung meiner Handlungsmöglichkeiten. Die Öffentlichkeit ist daran natürlich interessiert. Aber in unserer Arbeit spielen die Angelegenheit um Chats und Inserate keine Rolle.
Wie geht es einem dabei, wenn man vorigen Mittwoch mit den anderen Ministerinnen und Ministern eine Art Solidaritätsschreiben ohne Wenn und Aber mit Kanzler Kurz unterschreibt und wenige Tage ist alles anders und man macht trotzdem weiter?
Ich ersuche Sie, das Dokument genau zu lesen. Der letzte Schlüsselsatz lautet, dass wir in dieser Regierung mit Kurz weiterarbeiten wollen - inzwischen haben wir eine andere Regierung. Sebastian Kurz hat uns auch gebeten, weiterzuarbeiten. Alles andere schiene mir in dieser Lage auch absurd. Ich glaube, was die Bevölkerung nicht will, ist eine Politik, die sich dauernd mit sich selbst beschäftigt und Fantasien von Neuwahlen oder instabilen Viererkonstellationen entwickelt. Die Bevölkerung will das realisiert sehen, was inhaltlich versprochen wurde und da bin ich dabei.
Wir treffen uns hier am Rande einer Schuleröffnung. Schulen zu eröffnen macht wohl mehr Freude als umgekehrt. Schließen Sie trotz vierter Welle weiter aus, dass es großflächige Schulschließungen geben wird?
Ja. Die Situation ist anders als im letzten Schuljahr. Zum einen testen wir so viel wie wohl kein anderes europäisches Land. Dadurch haben wir zwar viele dokumentierte Infektionszahlen, aber wir unterbrechen auch Infektionsketten. Wir haben seit Beginn des Schuljahres in ganz Österreich fast fünf Millionen PCR-Spültests durchgeführt und laut den uns vorliegenden Daten rund 4000 positiv getestete Schüler entdeckt. Dazu kommen unsere Antigentests. Ich kann mit Recht behaupten, dass wir in der Schule ein effizientes System installiert haben. Das Zweite ist die Impfung. Im HTL-Bereich etwa werden etwa 85 Prozent der Lehrer geimpft sein. Ebenfalls sieht man, dass Schüler, die sich impfen lassen können, das auch tun. Hier haben wir eine Impfquote von sicherlich über 60 Prozent bei den über 15-Jährigen in der HTL.
Ex-Kanzler Kurz ist Ihre Entscheidungen im Vorjahr bei den Schulschließungen übergangen. Darüber waren Sie nicht glücklich. Erwarten Sie sich vom neuen Kanzler mehr Abstimmung mit Ihnen als Fachminister?
Ich glaube, dass diese Situation nicht mehr auftreten wird, weil wir eben die Schulen nicht mehr flächig schließen müssen. Ich bin mir auch sicher, dass der neue Kanzler meine fachliche Kompetenz und die Expertise meines Hauses anerkennt.
Kommen wir zur Impfung: Jeder vierte Volksschullehrer ist laut letzter Erhebung nicht geimpft. Sie sind strikt gegen eine Impfpflicht für Lehrer. Aber gibt es da nicht eine Fürsorgepflicht gegenüber den Kindern?
Diese Zahlen stammen vom 31. August. Ich werde demnächst die neuen Zahlen bekannt geben, gestützt auf ein Monitoringsystem mit der Statistik Austria. Die Impfquote wird mit Sicherheit angestiegen sein. Ich bin gegen eine Impfpflicht bei Lehrern, weil ich es merkwürdig finde, bei einer Berufsgruppe, die ohnehin eine hohe Impfbereitschaft hat, eine Verpflichtung auszusprechen. Auch aus Fairnessgründen können wir nicht nur eine Berufsgruppe herausnehmen.
Immer wieder berichten Eltern, dass das Kontaktpersonen-Management im Schulbereich nicht funktioniert. Warum wird das nicht zentralisiert, sondern weiterhin lokalen Gesundheitsbehörden überlassen, die oft über Überlastung klagen?
Bei dieser Antwort muss ich passen, weil das die Angelegenheit des Gesundheitsministeriums ist, und da fehlt mir auch die Kompetenz, das zu beurteilen.
Wünschen Sie sich zentral vorgegebene verbindliche Regeln?
Ja, ich würde es mir wünschen, dass das einheitlich geregelt wird.
Braucht es das nicht auch für die Schließung von Schulen - Planungssicherheit auch für Eltern, ab wann geschlossen wird?
Das muss man vor Ort beurteilen. Derzeit haben wir in Österreich keine einzige geschlossene Schule. Nur 70 von insgesamt rund 58.000 Klassen sind im Distance Learning. Die Sache verliert an Dramatik mit der Impfung und bei den Jüngeren mit dem Testen. Das ist ein sehr robustes und stabiles System, daher werden die Fragen bezüglich Schließungen an Brisanz verlieren. Da bin ich optimistisch.
Biontech/Pfizer hat in Europa um Zulassung für die 5- bis 11-Jährigen angesucht. Können Sie ausschließen, dass Druck auf nicht geimpfte Kinder entstehen wird - dass diese etwa nicht auf Skikurs mitfahren dürfen etc.?
Die Impfung wird es erst dann geben, wenn sie zugelassen ist. Die entscheidende Frage bei der Prüfung lautet: Ist der Nutzen, die Vermeidung von Infektion und Krankheit größer als das Risiko? Wenn diese Frage eindeutig beantwortbar ist, also empirisch belastbar aufgrund von klinischen Studien, dann wird dieser Impfstoff freigegeben. Dennoch sage ich, es ist eine Option für Eltern, die entscheiden müssen. Machen sie es nicht, werden die Kinder in der Schule weiterhin getestet.
Die Abmeldung zum häuslichen Unterricht haben sich verdreifacht. Hier gibt es mitunter irrationale Ängste: etwa, dass Eltern Druck auf Lehrer ausüben, sie würden ihren Kindern mit den PCR-Spültests schaden. Kündigt sich hier nicht ein massives Problem an?
Ja, ich sehe ein Problem. Manchmal denke ich mir, wo ist unsere Rationalität geblieben, unsere Aufklärung. Der Spültest basiert auf einer niedrig konzentrierte Kochsalzlösung und ist in keiner Weise gefährlich. Aber ich persönlich glaube, dass die Ängste abflauen werden, und wir sehen auch, dass die ersten Kinder wieder zurückkommen, weil Eltern merken, dass Schule nicht so einfach zu simulieren ist. Wir machen jetzt eine Motivanalyse, aus welchen Gründen Abmeldungen passieren. Ich glaube, es gibt zwei Gruppen: Die einen sagen, es gibt zu viele Coronatests. Es gibt aber auch jene, die Angst um ihr Kind haben aufgrund der Pandemie. Ich glaube, man muss beiden Gruppen die Angst nehmen, durch rationale Aufklärung.
Sie haben einer neuerlichen Corona-Matura mit Erleichterungen wie eine freiwillige mündliche Matura eine Absage erteilt. Warum eigentlich? Die Pandemie ist ja noch im Gange.
Wir müssen wieder zu einer etwas leistungsbewussteren Schule zurückkommen. Die Matura ist eine wichtige Prüfung. Sie bestätigt eine allgemeine Hochschulreife, die damit letztlich den europäischen Hochschulraum für unsere jungen Menschen eröffnet. Mit Veränderungen und Erleichterungen beschneidet man letztendlich Chancen - wenn andere Staaten sagen, das erkenne ich nicht mehr an. Wir haben aber Änderungen installiert, die bleiben. Die Einrechnung der Schulnoten der 8. Klasse nimmt viel Druck weg. Wir schauen jedenfalls, dass die Matura nicht über Gebühr beanspruchend ist, und wir schauen, dass sie fair ist.
Wie sehen Sie das Thema Präsenzlehre an Unis und Hochschulen? Gehen die Unis da richtig vor?
Ich habe klar gesagt, dass wir wieder in den Präsenzunterricht kommen müssen. Die 3-G-Regel muss anwendbar sein. Ich sehe mit einer gewissen Dankbarkeit, dass die Hochschulen das auch angenommen haben. Die TU Graz etwa hat ein Screening-Tool aufgestellt, wo man den 3-G-Nachweis sehr elegant überführen kann, die Uni Graz hat sich zur Dominanz der Präsenzlehre bekannt. Wir lernen, mit dieser neuen Infektionskrankheit umzugehen und das macht mir Hoffnung.
Das Mikrodaten-Zentrum wurde auf Schiene gebracht. Da geht es darum, dass die Forschung auf Daten, auch auf sensible, der Staatsbürger für wissenschaftliche Zwecke zugreifen können. Wie wird garantiert, dass es zu keinen Datenlecks kommt bzw., dass nicht über Kooperationen mit den Universitäten auch irgendwelche Datenkraken an die sensiblen Daten kommen?
Gerade etwa die Frage der Impfquote bei Lehrern basiert auf einer Zusammenführung unterschiedlicher Datensätze. Darum geht es den Forschern, aber die Daten verlassen nicht das Haus der Statistik Austria, diese liefert nur ein Aggregat, eine Zusammenfassung der Daten. Und das nur an berechtigte Institutionen.
Fünf neue Doktoratsprogramme wurden genehmigt mit der Besonderheit, dass jetzt Fachhochschulen und Unis hier zusammenarbeiten können. Was ist der Grund für diese Neuregelung?
Das Promotionsrecht soll weiterhin an den Universitäten bleiben. Aber ich verstehe, dass die Fachhochschulen für gute Studierende und Mitarbeiter eine Doktoratsmöglichkeit in der eigenen Institution eröffnen wollen. Junge Menschen werden vier Jahre an der FH angestellt, die Promotion erfolgt durch die Universität. Das ist wichtig für einen fundiert ausgebildeten Nachwuchs an den FH. Und es befördert auch die Forschung an den FH. Und noch ein Punkt: Ich möchte ein bisschen etwas von der Frontstellung zwischen FH und Unis aufbrechen. Ich sage: Kooperiert doch.