Wir stecken in der nächsten Welle der Corona-Pandemie, es gibt Tote, die Wirtschaft schwächelt, viele Menschen sind psychisch angeschlagen. Muss es jetzt wirklich noch ein Buch über den Tod sein?
RUDOLF LIKAR: Es geht um ein anderes Verständnis vom Tod. Es lebe der Tod, damit wir leben können! Wenn ich nicht gelebt habe, kann ich auch nicht sterben. Das heißt, ich muss das Leben leben, es genießen. Wenn man so wie ich als Arzt immer wieder Menschen sterben sieht, dann bekommt man eine andere Einstellung. Wir wollen Menschen die Angst vorm Sterben nehmen, auch wenn es etwas Finales, Endgültiges hat.
HERBERT JANIG: Man hat man zwei Möglichkeiten: Man wird ob der Tatsache, dass man irgendwann stirbt, depressiv und schmeißt alles hin, oder ich sage, okay, das Leben ist dazu da, gelebt zu werden.
GEORG PINTER: Es soll ein motivierendes Buch sein, über die Endlichkeit nachzudenken, und mit sich in Kontakt zu treten. Als Mediziner musst du mit dem Tod ins Reine kommen, Zwiegespräche halten, er darf kein furchtbares Ereignis sein, oder Versagensängste auslösen.
LIKAR: Das Erleben vom Tod ist immer gleich. Aber für einen Eremiten, der in einem vergeistigten Zustand lebt und den Körper nicht mehr braucht, für den ist der Tod nur ein Übergang in ein anderes Leben. Er hat keine Angst.
Sie schreiben aber auch: "Angst ist die Ratte, die nachts an der Seele nagt. Die Angst kriecht." Und im nächsten Satz steht: "Wer sein Altern positiv sehen kann, hat eine deutlich höhere Lebenserwartung als jene, die sich vor dem Endspurt schrecken". Soll ich mich jetzt mit dem Tod auch noch anfreunden?
LIKAR: Ich sehe fast niemanden, der mit einem vergrämten Gesicht geht, viele sind im Reinen mit sich. Es ist interessant, dass viele in der letzten Phase sagen, sie hätten keine Angst vor dem Tod. Wenn man mit Gesprächen hilft, dann gehen sie in Frieden. Es geht auch um Taten. Wir haben auf unserer Palliativstation unmögliche Wünsche erfüllt. Einmal haben wir für einen Patienten eine Panzerfahrt organisiert, mit einem anderen sind wir zum Harley-Treffen.
Sie beschreiben in dem Buch auch Managementtheorien zum Thema Tod und wie man seinen Ängsten begegnet. Wie gehen Sie mit der Angst vor dem Tod um?
JANIG: Die Vorstellung, dass ich einmal nicht sein werde, beunruhigt mich nicht. Zu schaffen macht mir, dass ich etwas mit meinen Kindern noch nicht aufgearbeitet haben könnte, wenn ich gehe. Ich hatte als Kind Angst, weil es geheißen hat: Wenn du sonntags nicht in die Kirche gehst, dann kommst du in die Hölle. Das ist schlimm und grauslich. Wenn du dich von der Vorstellung nicht löst, dann ist die Angst vor dem Tod allgegenwärtig. Man kann die Hölle erfahren als Emotion, aber die Vorstellung vom Tod in einer physischen Hölle – das war schlimm.
LIKAR: Ich habe keine Angst. Aber: Ich gehe fast nie zu einem Begräbnis, weil ich verabschiede mich schon im Leben von einem Menschen. Auf der Palliativstation habe ich einmal einen sehr starken Mann kennengelernt. Als es zu Ende ging, habe ich mich zu ihm gesetzt, seine Hand gehalten. Eine halbe Stunde. Dann hat er leise Danke gesagt, und ich habe gewusst, er geht. Ich habe keine Berührungsängste mit dem Tod, aber es würde mir jetzt weh tun, weil ich so noch viele Pläne habe.
PINTER: Für viele Menschen hat der Tod auch etwas Tröstliches. Der Tod ist kein Fallbeil, es geht nur eine andere Tür auf, Menschen, die zurückgekehrt sind, beschreiben ein schönes Gefühl, ein Licht. Vielleicht wird man das nie feststellen können, was da in den letzten Minuten vorgeht. Ob es zu einer kompletten Entladung der Gehirnströme kommt, oder es ein „Hinüberschauen“ auf die andere Seite ist. Man kann es nur akzeptieren. Menschen, die in diesem Zustand waren, sprechen auch von Wiesen, keiner beschreibt etwas Bedrohliches.
LIKAR: Ich hatte einen Patienten auf der Palliativstation, der mir nach der erfolgreichen Wiederbelebung gesagt hat: „Dieses Erlebnis nimmst du mir nicht mehr.“ Er wollte gehen.
Sie befassen sich auch mit dem Thema Übertherapie in den letzten Stunden. Was läuft da falsch in der Medizin?
LIKAR: Wichtig ist, dass man den Tod als natürlichen Prozess wahrnimmt und nicht als medizinische Diagnose. Wir, die Medizin, haben aus dem Tod wieder eine Diagnose gemacht. 90 Prozent der Menschen wollen zu Hause sterben, die Realität schaut leider anders aus. 50 bis 60 Prozent sterben im Krankenhaus, viele in den Altersheimen. Damit wird der Tod institutionalisiert. Natürlich gibt es Übertherapien, davon kommen wir aber langsam weg.
PINTER: Viele verstehen in der Medizin nicht, dass der Patientenwille das höchste Gut ist. Wenn wir mehr mit den Patienten reden würden, kämen auch nicht solche Ideen wie die Erleichterung der Sterbehilfe auf. Vielen fehlt der Mut, Dinge anzusprechen. Wir haben so viel Angst vor dem Tod, dass wir nicht einmal die Geriatrie, also die medizinische Auseinandersetzung mit den Folgen des Alters, als Fach anerkennen.
Sie gelten als Kämpfer gegen das neue Gesetz, das ab 2022 die Sterbehilfe erleichtern soll.
LIKAR: Man könnte sich, wenn der Vorschlag durchgeht – provokant formuliert – auch wegen Liebeskummer zum assistierten Suizid anmelden. Das ist nicht zu akzeptieren.
Wie begegnen Sie dem Tod, wenn er Sie im Innersten berührt? Wenn zum Beispiel ein Kind stirbt.
LIKAR: Gewisse Erlebnisse bekommt man nicht aus dem Kopf. Wie das Schicksal eines Fünfjährigen, der gestorben ist, weil ein Kasten auf ihn gefallen ist. Ich musste der Mutter den Tod ihres Kindes mitteilen. Ihren Schrei werde ich nie vergessen. Da kannst du nichts machen, da gehst du als Arzt emotional mit. Ich höre, wenn schlimme Todesfälle passieren, immer wieder: Gott würde das nie machen. Verständlich in solchen Momenten.
Arrangiert man sich dann mit dem Tod?
LIKAR: Wichtig ist, dass man nicht nur die Endlichkeit sieht, sondern dass es weiter geht, dass die Seele weiter wandert, davon bin ich überzeugt. Aber, egal was einem passiert, die Frage nach dem Warum, also warum jemand gerade jetzt stirbt, wird dir keiner beantworten können. Trotzdem bleiben viele Menschen daran hängen. Warum ist mein Vater gestorben, bevor er sehen konnte, dass ich mein Medizinstudium beende? Auch ich werde nie eine Antwort erhalten. Wichtig ist, sich zu verabschieden, ich sage Angehörigen, nehmen Sie sich Zeit, bleiben sie sitzen, auch wenn der Mensch schon gegangen ist. Reden Sie mit dem Menschen. Weil es gibt eine höhere Ebene, vielleicht kann man dadurch, wenn man Dinge ausspricht, den Tod besser verarbeiten. So ein Gespräch kannst du nicht einfach nachholen.
JANIG: Sowohl bei meinem Vater wie bei meiner Mutter war ich nicht dabei, da kann man lange mit sich arbeiten, damit man seinen Frieden mit dem Tod der Eltern findet. Ich habe Jahre gebraucht, bis ich den Tod von meinem Vater – ich war gerade 20 – verarbeitet habe.
Der Tod als inszeniertes Fest, um Abschied zu nehmen: Ich würde mir das wünschen, und dass die Freunde bei meinem Begräbnis lachen und Freude haben. Ist das verwerflich?
LIKAR: Nein. Ich hatte mit 14 erstmals mit dem Tod Kontakt. Ich bin am Sterbebett meiner Großmutter gesessen, das war ein so friedliches Hinübergleiten, das war für mich ein Trost. Ich bin ja am Land aufgewachsen, man hat Tote aufgebahrt, man hat drei Tage gesungen, gegessen, Erlebnisse erzählt, man hat den Menschen über Anekdoten wieder aufleben lassen. Manchmal hat man auch ein Glas zu viel getrunken. Aber diese Rituale waren wichtige Instrumente, um den Tod zu verarbeiten. Diese Rituale sind heute teilweise verloren gegangen. Der Tod wird heute anonymisiert, dadurch bekommt man die Angst vor dem Tod nicht aus dem Kopf.
Didi Hubmann