Mit einer Überraschung hat am Mittwoch am Wiener Landesgericht ein Prozess gegen fünf Angeklagte begonnen, die sich für die radikalislamistische Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) betätigt haben sollen. Der mitangeklagte einstige "Hassprediger" Mirsad O. alias Ebu Tejma, der eine rechtskräftige 20-jährige Freiheitsstrafe verbüßt, legte ein reumütiges Geständnis ab. Er bekenne sich zum Großteil der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlungen schuldig, sagte der 39-Jährige.
"Ich hab' Fehler gemacht, ich geb's zu", gab der gelernte Stahlbauschlosser und spätere Islam-Gelehrte und radikale Prediger zu Protokoll. Bezogen auf die bereits gerichtlich abgetanen strafbaren Handlungen meinte Mirsad O., seine radikalislamistischen Vorträge, deretwegen er vom Landesgericht Graz abgeurteilt wurde, seien inzwischen zehn Jahre alt und hätten ihn 2014 ins Gefängnis gebracht: "Meine Vorträge haben viel Unheil bewirkt." Und weiter: "Es tut mir leid, ich kann es nicht ungeschehen machen."
Verhandlung geht am Dienstag weiter
Die Verhandlung wird am kommenden Dienstag fortgesetzt. Dann wird der gebürtige Steirer dem Gericht über seine Erlebnisse in Syrien berichten. Im Anschluss dürfte Turpal I. vernommen werden. Der Prozess ist bis Ende Juli anberaumt.
Der ursprünglich aus der Steiermark stammende, aufgrund einer Muslima konvertierte mutmaßliche Ex-IS-Kämpfer - er befindet sich seit 24. August 2019 in U-Haft - war in seiner Beschuldigteneinvernahme teilweise geständig. Er gab zu, sich nicht zuletzt aufgrund von Predigten und Vorträgen von Mirsad O. eine radikale Gesinnung angeeignet zu haben: "Der hat einen schon mitgerissen." Seine damalige Geisteshaltung sah er im Rückblick kritisch. Er habe damals streng nach Glaubensregeln gelebt, "es ist unglaublich schwer, sich von diesen Regeln zu lösen".
Der 32-Jährige gab zu, er sei im September 2013 als Foreign Fighter nach Syrien gegangen, schränkte dabei jedoch ein: "Ich bin mit der Absicht nach Syrien gegangen, dort zu helfen. Natürlich zu helfen mit kämpfen. Aber nicht wegen der Scharia." Ihm sei damals "nicht klar gewesen, was der IS ist". Er habe sich einer tschetschenischen Kampftruppe angeschlossen und zusammen mit der Freien Syrischen Armee gegen das Assad-Regime gekämpft.
Von Gräueltaten "aber nichts gewusst"
Zur jetzigen Anklage bemerkte Mirsad O., die gegen ihn gerichteten Vorwürfe seien großteils korrekt. Er habe den Hauptangeklagten Turpal I. und einen Mitangeklagten dazu bewogen, für den IS nach Syrien zu gehen und zu kämpfen. Von den Gräueltaten, an denen Turpal I. laut Anklage dort beteiligt gewesen sein soll, habe er aber nichts gewusst. Darüber hinaus machte der 39-Jährige von seinem Schweigerecht Gebrauch. Er wolle im gegenwärtigen Zeitpunkt keine weiteren Angaben machen und keine Fragen beantworten: "Ich möchte nicht respektlos sein, aber ich habe so etwas schon alles mitgemacht."
Der Verteidiger des 39-Jährigen, Leonhard Kregcjk, hatte das unerwartete Geständnis in seinem Eingangsplädoyer angekündigt. Bei Mirsad O. laufe ein Läuterungsprozess ab, ausgelöst durch den Terroranschlag in Wien vom 2. November. Seither sei beim einstigen Prediger "ein Umdenkprozess im Gange", erläuterte Kregcjk. Mirsad O. sehe ein, dass er "in der Vergangenheit Fehler gemacht hat".
Nicht geständig war demgegenüber der erstangeklagte Turpal I., der zuletzt für Schlagzeilen gesorgt hatte, weil er nach Ablauf der auf zwei Jahre begrenzten U-Haft Anfang Mai enthaftet werden musste. Er erschien daher auf freiem Fuß zur heutigen Verhandlung.
Hauptangeklagter nicht geständig
Der 32-Jährige wird vom Verfassungsschutz rund um die Uhr überwacht. Der gebürtige Tschetschene soll mit seiner mitangeklagten, um drei Jahre jüngeren Ehefrau und einer gemeinsamen Tochter Ende August 2013 über die Türkei nach Syrien gereist sein und unter dem Kampfnamen Abu Aische im Bürgerkrieg für den IS gegen das Assad-Regime gekämpft haben. In der nordsyrischen Stadt Hraytan soll Turpal I. die Erschießung von Bewohnern eines Hochhauses sowie drei als Sklavinnen gefangen genommener Frauen angeordnet haben, in einer Kleinstadt nördlich von Aleppo soll er laut Anklage zumindest sieben Schiiten mit Messern die Köpfe abschneiden haben lassen.
Sein Verteidiger Florian Kreiner wies das zurück. Turpal I. habe sich zwar drei Mal in Syrien aufgehalten, sei aber an keinen terroristischen Straftaten beteiligt gewesen. "Es gibt kein Beweismittel, das das belegen würde", sagte Kreiner. Turpal I. kenne die in der Anklageschrift genannten Orte, an denen Gräueltaten stattgefunden haben sollen, nicht, er kenne auch angeblich dafür mit- bzw. verantwortliche Personen nicht. Turpal I. sei nicht mit der Person ident, die im Akt als Abu Aische vorkomme. "Gehen Sie der Staatsanwaltschaft nicht auf den Leim!", appellierte Kreiner an die Geschworenen.
Turpal I. habe sich in Syrien keiner bewaffneten Gruppe angeschlossen und nicht - wie inkriminiert - bis zu 70 Kämpfer angeführt und Massaker angeordnet. Vielmehr habe er aufklären wollen, ob und wo sein Schwager, der in Syrien gekämpft haben dürfte und dabei gefallen sein soll, sein Leben verlor und begraben wurde. Turpal I. sei "kein radikalislamistisches Gedankengut anlastbar", betonte Kreiner abschließend.
Prozess bis Ende Juli anberaumt
Die bis Ende Juli anberaumte Verhandlung wird unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen abgewickelt. Zuhörer wurden zwei Mal - zum einen beim Betreten des Gerichts, ein zweites Mal in Form einer mobilen Sicherheitsschleuse vor dem Großen Schwurgerichtssaal - kontrolliert, zehn bewaffnete und maskierte Spezialkräfte der Justizwache postierten sich im Saal, in dem ein absolutes Fotografier- und Filmverbot gilt, mehrere Beamte vom Verfassungsschutz sind für das Verfahren abgestellt.
Mitangeklagt ist in dem Verfahren der radikalislamistische "Hassprediger" Mirsad O. alias Ebu Tejma, der 2016 in Graz - mittlerweile rechtskräftig - zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Er soll junge Tschetschenen, darunter auch Turpal I., der 2004 als Flüchtling nach Österreich gekommen war, für den IS rekrutiert haben. Der Kampfsportler - Turpal I. war österreichischer Meister im Taekwondo - ging schließlich nach Syrien, wo er sich einer Kampftruppe der Terror-Miliz angeschlossen und Gräueltaten begangen haben soll.
Auch Steirer angeklagt
Zur Anklage gebracht wurden auch ein 32-jähriger, zum Islam konvertierter Steirer, der sich laut Anklage 2013 in Syrien vom IS zum Kämpfer ausbilden ließ, und dessen Ehefrau. Die Eltern von Turpal I., die Staatsanwalt Johannes Winklhofer ebenfalls wegen terroristischer Vereinigung angeklagt hatte, blieben dem Prozess fern. Hinsichtlich der Mutter beantragte Winlkhofer eine Festnahmeanordnung und die Erlassung eines Europäischen Haftbefehls.
In einem mehrstündigen Eröffnungsvortrag legte Winklhofer seine Anklage dar, deren schriftliche Ausfertigung 200 Seiten umfasst. Es gehe "um radikalislamistische Umtriebe, nicht um Religion", betonte der Staatsanwalt. Turpal I. sei "ein sehr, sehr erfolgreicher Kampfsportler" gewesen und habe sich infolgedessen für die junge tschetschenische Community als Identitätsfigur geeignet. Mirsad O. habe bei IS-Sympathisanten mit Turpal I. geworben. Der Staatsanwalt billigte Mirsad O. zu, ein "brillanter Rhetoriker" zu sein, der "geschickt" zu argumentieren verstehe.
In Syrien habe sich Turpal I. Kampfeinheiten angeschlossen, die "Massenmord" zu verantworten und "Hinrichtungen" unter Zivilisten durchgeführt habe, legte Winklhofer dar. Die Zivilisten wären nach Geschlechtern separiert, Männer enthauptet, Frauen erstochen worden.