Es ist Montagnachmittag, als Patrick* in seinem Zimmer der betreuten Wohngruppe in Stadl-Paura (Bezirk Wels-Land) Schulaufgaben macht. Weil er sich dabei nicht auskennt, will er seine Betreuerin um Hilfe bitten. Diese vertröstet den Neunjährigen, weil sie gerade mit einem anderen Kind beschäftigt ist. "Das war kurz vor 17 Uhr", sagt Peter Heidlmair, Geschäftsführer der gleichnamigen privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung. Und das letzte Mal, dass Patrick an diesem Nachmittag gesehen wurde.
Denn als die Betreuerin später in Patricks Zimmer kommt, ist er schon weg. Wie sich später herausstellen soll, hat sich der Neunjährige zu diesem Zeitpunkt bereits zu Fuß - und in seinen Hausschuhen - zu seinem Vater ins 32 Kilometer entfernte Taufkirchen an der Trattnach aufgemacht.
Wenig später, nachdem der Bub gegen 17.30 Uhr als abgängig gemeldet wurde, wird eine groß angelegte Suchaktion gestartet: Rund 20 Polizisten unterschiedlicher Streifen durchkämmen die Umgebung, auch ein Polizeihubschrauber ist im Einsatz. Doch der Bub bleibt vorerst verschollen.
Vater entdeckt Sohn am Straßenrand
Als Patricks Vater schließlich verständigt wird, setzt sich dieser sofort ins Auto und fährt in Richtung Stadl-Paura. „Mein Mandant ist erst sehr spät, mehr als drei Stunden nach dem Verschwinden seines Sohnes, verständigt worden“, sagt Rechtsanwalt Günter Tews, der den Vater in dem seit vielen Monaten schwelenden Pflegschaftsverfahren vertritt.
Seit der Scheidung von Patricks Eltern vor über zwei Jahren kämpfe der Vater um das Kontaktrecht zu Patrick und dessen sechsjähriger Schwester. „Weil der Bub ein sehr inniges Verhältnis zu seinem Vater hat, hieß es, dass er dadurch kein normales Verhältnis zu seiner Mutter aufbauen könne“, sagt Tews.
Während Patricks Schwester zur Mutter kam, sei im Vorjahr daher im Gegensatz dazu für den heute Neunjährigen die Unterbringung in eine Einrichtung angeordnet worden. Seither seien bereits mehrere Anträge gestellt worden, damit Patrick und auch dessen Schwester wieder bei ihrem Papa leben dürften. „Der Bub sagt dauernd, dass er wieder heim zu seinem Vater will“, sagt Tews.
Zurück zu Montagabend: Der Vater hat bereits rund zehn Kilometer Autofahrt hinter sich, als er Patrick in der Ortschaft Gallspach am Rand der Überlandstraße entdeckt. Der Bub ist ob seines stundenlangen Fußmarsches zwar dementsprechend müde, aber sonst wohlauf. Nach Verständigung der Polizei bringt der Vater den Buben vorschriftsmäßig wieder zurück in die Einrichtung. „Der Vater hat sehr schnell reagiert und mitgeholfen, dass das Erlebte bei dem Kind keine Spuren hinterlässt. Er blieb so lange, bis das Kind eingeschlafen ist“, sagt Heidlmair. Es sei klar, dass der Bub seinen Vater vermisse: „Es wäre ja schlimm, wenn es anders wäre. Uns ist klar, dass wir nie eine Familie ersetzen können.“
Für Anwalt Tews und seinen Mandanten ist der Vorfall aber ein deutliches Zeichen: „Viel lauter kann ein Kind nicht um Hilfe schreien“, sagt Tews. Ob der Wunsch des Vaters auf Vereinigung nun endlich in Erfüllung geht, soll sich demnächst, durch ein neuerliches Gutachten eines Kinderpsychologen entscheiden.
*) Name von der Red. geändert