Ein Lernergebnis von null Prozent in Zeiten des ersten Lockdowns, als die Schulen in den Niederlanden für acht Wochen geschlossen waren und die Schüler auch dort auf Distance Learning umsteigen mussten. Das ist das erschreckende Ergebnis einer jetzt veröffentlichten Studie der Universitäten von Oxford und Stockholm.
Für ihre Studie nutzten die Forscher den Umstand, dass niederländische Volksschüler regelmäßig nationale Testungen absolvieren. Diese fanden auch im Vorjahr vor und nach dem Lockdown statt. Anschließend verglichen sie die dabei erzielten Lernfortschritte der rund 350.000 Kinder mit jenen bei den Erhebungen des gleichen Zeitraums in den drei Jahren davor.
Resultat: Der Lernverlust der im Vorjahr nach dem Lockdown getesteten Schüler betrug gegenüber "normalen" Jahren in etwa ein Fünftel eines Schuljahrs. Damit entsprach er in etwa der Zeit der Schulschließung. Im Endeffekt bedeutet das, dass in der Lockdown-Zeit praktisch kein Lernfortschritt erzielt wurde.
Was die Forscher auch noch betonten: Eine Schulschließung von acht Wochen bedeute eine im Vergleich nur kurze Zeitspanne. Außerdem verfügen die Niederlande über die weltweit höchste Rate bei Breitbandanschlüssen. Es sei daher naheliegend, dass die Resultate in Ländern mit längeren Schließungen und schlechterer Internetausstattung noch schlechter gewesen wären, behaupten die Wissenschaftler.
Studie in Österreich
Sieht es in Österreich wirklich so dramatisch aus? Haben die österreichischen Schüler in den Zeiten der Lockdowns und des Distance Learnings wirklich so wenig gelernt, wie die Studie aus den Niederlanden befürchten lässt?
Universitätsprofessorin Christiane Spiel, die mit einem Forschungsteam der Fakultät für Psychologie der Uni Wien seit dem ersten Lockdown an der Studie „Lernen unter Covid-19“ arbeitet, sieht das Ganze differenzierter. Üblicherweise werden bei Bildungsstandarderhebungen – siehe auch Österreich – zentrale Kompetenzen in den Hauptfächern erhoben – „und nicht wichtige Kompetenzen für das spätere Leben wie strukturiertes Lernen, Selbstständigkeit, Selbstorganisation.“ In diesen Bereichen hat es über die Zeit sehr positive Entwicklungen gegeben.
Der erste Lockdown ist jedoch völlig unvorbereitet über Schüler, Lehrer und auch Eltern hereingebrochen. „Das war eine unglaubliche Herausforderung. Da kann man nicht erwarten, dass es sofort Lernfortschritte in inhaltlichen Bereichen gibt.“ Mittlerweile läuft die fünfte Online-Erhebung des Forscherteams unter Tausenden von Schülern, Studierenden, Lehrern und Eltern – keine Auftragsstudie, betont Spiel; jedoch unterstützt der Minister die Studie.
Schon die dritte Erhebung vor dem Sommer, als zumindest wieder im Schichtbetrieb an Schulen unterrichtet wurde, hat gezeigt: Schüler und Lehrer kommen immer besser mit der ungewohnten Situation zurecht. „Beide Gruppen haben dazugelernt.“ 98,7 Prozent der Befragten hatten mittlerweile einen Computer, Laptop oder ein Tablet zum Lernen zur Verfügung. Vor allem die Pflichtschüler beurteilten das Homelearning besser (30,2 Prozent) als im ersten Lockdown, 27,1 Prozent machte das Arbeiten zuhause mehr Spaß. „In Österreich ist es mit dem Distance Learning in Summe recht gut gelaufen“, zieht Spiel Bilanz. „Es war jedoch auch schnell klar, wie wichtig es ist, dass die Schulen offen sind.“
Erste Ergebnisse
Mehr als 13.000 Schüler wurden während des zweiten "harten Lockdowns" bei der vierten Erhebung befragt. Sie gaben an, sich durchschnittlich 7.1 Stunden pro Tag mit schulbezogenen Aktivitäten zu befassen. Im Vergleich dazu lag der Mittelwert während des ersten Lockdowns in Frühjahr bei durchschnittlich fünf Stunden pro Tag.
Während die Pflichtschüler mit dem Home-Learning viel besser als am Anfang zurechtkamen, klagten die älteren Schüler mittlerweile über steigenden Leistungsdruck und zu vielen Stunden in Videokonferenzen. Ihre Lernfreude hatte sich um die Hälfte gegenüber den Pflichtschülern verringert. Die schulischen Aufgaben gelangen ihnen aber meist besser als während des ersten Lockdowns.
Problem Risikogruppen
Doch es gibt laut Spiel in Österreich auch Schüler, sogenannte Risikogruppen, denen es jetzt noch schlechter geht - weil sie oft nur schlecht Deutsch können, ihnen der Zugang zu Laptop und Co. fehlt oder ein geregelter Tagesablauf oder die Unterstützung seitens der Familie. "Um sie muss man sich jetzt besonders kümmern." Sonst werde die Kluft immer größer und die betroffenen Schüler werden später nicht arbeitsmarktfähig sein. Die Förderung könne jedoch nur direkt in den Schulen funktionieren - denn auch für die Onlinebefragungen der Studie waren diese Risikogruppen kaum erreichbar.
Daniele Marcher