Aus dem Feldversuch soll nun Regelbetrieb werden: Das temporäre Fahrverbot für laute Motorräder im Tiroler Außerfern wird verlängert - und sogar zeitlich ausgedehnt. Das kündigte Vize-Landeshauptfrau Ingrid Felipe (Grüne) an.
Im vergangenen Sommer wurde dieses Fahrverbot im Zuge eines Pilotprojektes eingeführt, um die teils eklatante Lärmbelästigung auf einigen viel befahrenen Strecken (siehe Grafik) zu mindern. Auf Basis der Motorradlärmstudie Außerfern 2019 wurden Bikes mit einem eingetragenen Nahfeldpegel von mehr als 95 Dezibel vom prachtvollen Alpenpanorama im Außerfern ausgeschlossen - zumindest auf fünf Straßenzügen mit einer Gesamtlänge von 126 Kilometern.
Das Projekt wurde begleitend evaluiert, nun wurden die Ergebnisse präsentiert. Laut Felipe ist die Zustimmung in der Bevölkerung groß. In einer repräsentativen Befragung der Anrainerbevölkerung hätten zudem mehr als zwei Drittel der Befragten angegeben, dass der Motorradlärm in ihrer Wahrnehmung abgenommen hat. Nahezu gleich viele hätten sich auch für die Beibehaltung der Fahrverbote ausgesprochen. Insgesamt wurden 250 Personen befragt - von ungefähr 10.000 Einwohnern im Gebiet.
"Corona verzerrt das Ergebnis"
"Es konnte eine Reduktion um durchschnittlich 36 Prozent -
am Hahntennjoch sogar um 50 Prozent - an Sommersonntagen im
Vergleich zu 2017 festgestellt werden, was einer Lärmpegelminderung
bei den Motorrädern von durchschnittlich zwei Dezibel entspricht",
erklärte Christoph Lechner, Vorstand der Abteilung Emission
Sicherheitstechnik Anlagen (ESA).
Das Verbot galt im Jahr 2020 von 10. Juni bis 31. Oktober. In diesem Zeitraum hat die Polizei 8917 Motorräder überprüft, wovon nur 135 gegen die Lärmverordnungen verstoßen haben. Allerdings gab es rund 800 sonstige Delikte wie Geschwindigkeitsüberschreitungen, verbotenes Überholen. Künftig soll das Fahrverbot von 15. April bis 31. Oktober dauern.
Für Karin Munk, Generalsekretärin der Arge2Rad, ist dieses Verbot der falsche Weg. Und dass ausgerechnet das Corona-Jahr 2020 als Referenzjahr herangezogen wurde, verzerre das gesamte Ergebnis. Schätzungen der Arge2Rad und des Kuratoriums für Verkehrssicherheit zufolge sind zumindest 70 Prozent der Motorradfahrer in Tirol Ausländer, zumeist Deutsche, "die in Zeiten von Lockdowns und Grenzschließungen" ohnehin nicht auf Tirols Straßen anzutreffen waren. "Kein Wunder, dass Lärm und Verkehrsaufkommen so deutlich zurückgegangen sind", sagt Munk. Darauf wird in den Erhebungen der Tiroler Landesregierung zwar hingewiesen, welche Auswirkungen die Pandemie mit ihren Begleiterscheinungen letztlich hatte, lässt sich aber nicht sagen.
Entweder Ruhe oder Geschäft
Hinzu kommt, dass Tirol stark vom Tourismus abhängig ist. Während Arbeitslosenzahlen im Außerfern zuletzt explodiert sind, würden viele Motorradtouristen aus Deutschland mit dem Verbot nachhaltig vergrault. Auch Herbert Gassner, Geschäftsführer der Moho – Motorradhotels Österreichs, betont, dass die Saison 2020 aufgrund der besonderen Covid-Situation absolut keine realistischen Rückschlüsse zulässt. Das gelte auch für die Bettenauslastung in den Hotels und Herbergen, die teilweise durchaus gut war. "Der Tourismus hat in der vergangenen Motorradsaison im Außerfern offenbar keine hohen Einbußen erlitten", heißt es dazu aus dem Büro von Ingrid Felipe. "Urlauber, die regulär Fernziele besucht oder Flugreisen absolviert hätten, mussten sich auf Nahziele beschränken. Davon haben auch die heimischen Motorrad-Hotels profitiert", bestätigt Gassner, aber "das kann nur als Einmaleffekt betrachtet werden."
Zudem kritisieren die Fahrverbotsgegner die Methoden zur Feststellung der Lärmbelastung. Die Polizei kontrolliert hauptsächlich den in der Zulassung eingetragenen Nahfeldpegel. "Nahfeldpegeleinträge zu kontrollieren und diese nicht zu messen, steht in keiner Relation zur realen Lärmemission", sagt Munk. Bei dieser Art der Kontrolle werde nicht zwischen legalen Bikes und frisierten, oft lauteren Motorrädern unterschieden. Zudem findet der Fahrstil keine Berücksichtigung. Wer im zweiten Gang bei hoher Drehzahl durch ein Ortsgebiet fährt, verursacht mehr Lärm als ein rücksichtsvoller Fahrer mit einem eingetragenen Nahfeldpegel über 95 Dezibel.
Ob das "Modell Außerfern" auch in anderen Bundesländern zur Anwendung kommt, ist offen. "Es gab im vergangenen Jahr mehrere Gespräche auf unterschiedlichen Ebenen zu diesem Thema, unter anderem mit Vorarlberg, Südtirol, Regionen in der Schweiz und in Deutschland", heißt es aus dem Büro Ingrid Felipes. In der Steiermark und auch in Kärnten ist ein solches Verbot gegenwärtig aber kein Thema.
"Den Lärm provozieren einige wenige schwarze Schafe am Lenker, nicht das Motorrad. Wir müssen also gezielt gegen jene Biker vorgehen, die den Lärm bewusst durch ihren rücksichtslosen Fahrstil verursachen und nicht alle Biker über einen Kamm scheren. Eine Verordnung wie in Tirol kommt für Kärnten daher nicht in Frage", sagt der Kärntner Mobilitätslandesrat Sebastian Schuschnig. Ähnlich sieht man die Lage im Büro des steirischen Verkehrslandesrats Anton Lang und ergänzt: "Unsere Rechtsexperten bezweifeln sogar, dass ein solches Verbot rechtlich hält." ARBÖ-Verkehrsrechtsexperte Martin Echsel sieht das anders: "Weil die Exekutive ja die Möglichkeit hat, Pegelmessungen vorzunehmen und auch unsachgemäßes Bedienen von Kfz belangen kann, denke ich, dass das Fahrverbot rechtlich auf einem ausreichend soliden Fundament steht."
Ein Indiz, dass das Thema auch künftig heiß diskutiert werden wird, ist die steigende Zahl der Motorradfahrer. Laut Statistik Austria gab es im Jahr 2020 insgesamt 46.099 Neuzulassungen bei Zweirädern - das ist ein Plus von 13,4 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019.
Beim Innenministerium arbeitet man derzeit an einer "Taskforce Lärm", die sich ausschließlich mit Lärmmessungen auf unseren Straßen und adäquaten Gegenmaßnahmen beschäftigen soll. Mehr Informationen dazu soll es in dieser Woche geben.
Matthias Reif