Fünf mutmaßliche Sittenwächter haben sich am Mittwoch vor einem Wiener Schöffengericht wegen krimineller Vereinigung verantworten müssen. Die Tschetschenen im Alter von 19 bis 40 Jahren sollen in Chat-Kanälen des Messengerdienstes Telegram als Administratoren agiert haben, um in der tschetschenischen Community ein der Scharia konformes Verhalten durchzusetzen. Sie bekannten sich vor Gericht teilweise schuldig.
Drei Männer weisen bereits einschlägige Vorstrafen auf. Laut Staatsanwaltschaft agierte die Gruppierung seit Anfang 2020 im Großraum Wien, indem sie mit Morddrohungen, Nötigung oder mit der Androhung, die gesellschaftliche Stellung zu vernichten, gegen sittenwidriges Verhalten vorgingen. Dazu wurden etwa Social Media-Profile tschetschenischstämmiger junger Frauen auf ein solches Verhalten durchforstet und überwacht. Am Ende hatte die Gruppe Hunderte Mitglieder, die Beobachtungen durchführten und Verfehlungen meldeten.
Vorgeblich sittenwidriges Verhalten - etwa wenn tschetschenischstämmige Frauen Kontakt zu Männern einer anderen Ethnie hatten - wurde von den Mitgliedern mittels Fotobeweis und einer kurzen Sachverhaltsdarstellung gemeldet. Die Administratoren der Gruppe ermittelten der Staatsanwältin zufolge daraufhin Wohnadressen sowie Schul- bzw. Arbeitsplätze der jungen Frauen, die dann observiert wurden. Daraufhin wurde ein "belehrendes" Gespräch mit den Betroffenen geführt. Zeigten sie sich einsichtig, blieb es bei einer Verwarnung. Weigerten sich die Betroffenen, ihr Verhalten zu ändern, kam es zu den Drohungen bzw. wurde Druck ausgeübt, indem etwa die Familie der Frau kontaktiert wurde.
Den Sittenwächtern ging es laut Staatsanwältin darum, den in Tschetschenien vorherrschenden "Adat" aufrecht zu erhalten, das ungeschriebene Gewohnheitsrecht, das auf Sitte, Tradition und Brauchtum setzt. So reichte es schon, wenn eine junge tschetschenische Frau ein Urlaubsfoto über soziale Netzwerke verbreitete, sich in der Öffentlichkeit zu freizügig zeigte oder Gerüchte kursierten, diese sei in einer Beziehung mit einem nicht tschetschenisch-stämmigen Mann. Es kam laut Anklage vor, dass die Betroffenen unter Gewaltandrohung ihre Liebesbeziehung beenden mussten, es wurde ihnen Mobiltelefone gewaltsam abgenommen oder die Opfer abgepasst und geschlagen.
So wurde in Favoriten ein Jugendlicher von nicht ausgeforschten Tätern zusammengeschlagen, weil dieser eine Beziehung zu einer Tschetschenin unterhielt. Nachdem man dem Burschen die Nase gebrochen hatte, wurde seiner Freundin mitgeteilt, dieser wäre im Fall einer Anzeigeerstattung tot.
Zwei der Angeklagten bekannten sich schuldig, zwei weitere dementierten die Vorwürfen. Sie seien Mitglieder der Gruppe, sich aber der Tragweite nicht bewusst gewesen, sagten sie zu Richterin Katharina Adegbite-Lewy. Der fünfte Angeklagte konnte am Mittwochvormittag noch nicht befragt werden. Der 40-Jährige, der sich in Strafhaft befindet, musste sich zeitgleich im Grauen Haus zunächst in einem anderen Verfahren verantworten, er wurde erst eine Stunde nach Prozessbeginn vorgeführt.
Der Erstbeschuldigte wollte vor Gericht keine Aussage mehr machen, sagte aber zuvor bei der Polizei, dass der Chat-Kanal für Landsmänner ins Leben gerufen wurde, um diese abzulenken. Dass dabei auch Frauenfotos gepostet wurden, rechtfertigte er damit, dass gezeigt werden sollte, was für ein Leben diese führten, um niemand anderen dazu zu verleiten.
Ein ähnliches Argument brachte der Zweiangeklagte vor. Er sei vom Obmann eines tschetschenischen Kulturvereins beauftragt worden, sich dieser Chat-Gruppe anzunehmen. Der 19-Jährige sollte die Mitglieder animieren, die Verfehlungen nicht im Chat zu thematisieren, sondern das den Älteren im Kulturverein zu berichten. "Das ist in Österreich ja grundsätzlich nicht verboten", sagte der Beschuldigte. "Also, in Wahrheit haben Sie gegen diese Kanäle gearbeitet", fragte ihn Richterin Adegbite-Lewy. "Ja", meinte der 19-Jährige. Dazu kündigte sein Anwalt Florian Kreiner an, den Obmann dieses Vereins als Zeuge zu beantragen. Aus diesem Grund und aufgrund der Fülle an anderen Zeugen war mit einem Urteil am Mittwoch eher nicht zu rechnen.