Herr Fischler, wie fühlt es sich an, in einem offiziellen Mutationsgebiet namens Tirol zu leben?
FRANZ FISCHLER: Das ist für mich keine Gefühlsfrage. Man sollte überhaupt von der gegenwärtigen Gefühlsduselei auf allen Seiten wegkommen – auf Tiroler Seite mit den Empfindlichkeiten und auswärts mit dem An-den-Pranger-Stellen Tirols. Angenehm ist das alles jedenfalls nicht, weil es große negative Folgen haben wird.
Wie halten Sie es als kosmopolitischer Tiroler? Schimpfen oder das Land verteidigen?
Ich leide unter dem derzeitigen Zustand. Einerseits darunter, dass vielfach ungerechtfertigterweise auf Tirol hingehauen wird, aber andererseits leide ich auch darunter, wie teilweise dilettantisch die Reaktionen aus Tirol auf diese Angriffe sind.
„Man zeigt seit Monaten mit dem Finger auf uns, wir haben es satt, ständig verurteilt zu werden, man wird die Tiroler schon noch kennenlernen“: Aussagen von Tiroler Politikern und Funktionären in den vergangenen Tagen. Was steckt hinter diesen polternden Abwehrreflexen?
Da werden alte Vorurteile der Bundesländer gegen die Hauptstadt Wien reaktiviert. Die sind ja nie zur Gänze verschwunden. Jetzt kann man wieder einmal sehr praktisch diese Keule gegen Wien bedienen – nicht beachtend, dass das kontraproduktiv für alle Beteiligten ist.
Ist das historisch gewachsen?
Ja, einerseits waren die Tiroler immer schon aufmüpfig. Andererseits genoss Tirol schon vor 500 Jahren unter Kaiser Maximilian besondere Privilegien. Später erhielten die Tiroler immer wieder Privilegien und das führte dazu, dass sie glaubten, ein Recht auf Privilegien zu haben. Im Verhältnis zu Bayern gab es auch immer wieder Aversionen, die schließlich auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen führten. Und das ist nicht 500 Jahre, sondern erst 200 Jahre her.
„Schlachten, die man nur verlieren kann, sollte man gar nicht führen“, haben Sie jüngst in einer TV-Diskussion konstatiert.
Wenn der Hang zur Eigenständigkeit und dieser hohe Grad an Freiheitsdrang in Sturheit ausartet, geht das schief. Dann erreicht man nämlich genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen möchte.
Der Psychologe Klaus Ottomeyer vergleicht den aktuellen Tiroler Abwehrkampf mit dem von Jörg Haider kultivierten „Alle sind gegen uns“ in Kärnten. Sehen Sie da auch Parallelen?
Sowohl bei Haider als auch bei einigen Personen der letzten Tage war das eine politische Instrumentalisierung. Man darf nicht vergessen, dass Herr Haider ein ziemlich genialer Politiker war. Er wusste genau, womit man die Leute reizen und aufhetzen kann – gegen Wien oder gegen was auch immer. Haider hatte Erfolg damit. Was in Tirol zuletzt passiert ist, war eher ein Schuss ins eigene Knie, ein Rohrkrepierer.
Alemannische Sturheit, gepaart mit ein wenig südeuropäischer Verschlagenheit: Sieht so der prototypische Tiroler aus?
Nein, ich glaube, dass das Vorurteile sind. Alemannisch ist ja nur ein kleiner Teil von Tirol. Wenn man den Charakter der Tiroler beschreiben wollte, muss man in die Tiroler Siedlungsgeschichte zurückgehen. Die Tiroler kommen nicht aus Italien. Es gab den bajuwarischen Siedlungsraum im Osten, den rätoromanischen Siedlungsraum im Westen und eine Enklave in Osttirol mit slawischem Einfluss. Charaktermäßig unterscheiden sich die Menschen westlich und östlich von Innsbruck noch heute. Tirol war jahrhundertelang ein ungeheuer armes Land, es hat nichts gegeben außer Landwirtschaft und nicht sehr ergiebigen Bergbau. Der Tourismus kam erst nach dem Ersten Weltkrieg in Schwung.
Derzeit steht die Tourismusbranche still – aber mit dem Skilehrer-Schmäh wird dann alles wieder gut, oder?
Mit Schmäh kann man auf Dauer nur im Kabarett punkten. Im Tourismus sollte das schon längst überholt sein.
Felix Mitterer arbeitet an einer Fortsetzung der „Piefke-Saga“. Ist die Tiroler Realität längst die bessere Satire geworden?
Die Ischgl-Saga. Das ist natürlich zu einer Art Synonym für Tiroler Tourismusverhalten geworden. Eigentlich auch für viele unverdientermaßen. Man kann nicht sagen, die Touristiker, die sind alle wie das Kitzloch in Ischgl. Das ist unfair. Es gibt in Tirol ausgezeichnete Touristiker, international anerkannte und führende Betriebe – aber auf die hört man zu wenig.
Wie werden die Causa Ischgl und die aktuellen Diskussionen das Image Tirols beeinflussen?
Kurzfristig verursacht das einen immensen Schaden. Aber wenn die Verantwortlichen des Landes nicht rasch ein Konzept vorlegen, um insbesondere die Südafrika-Mutation im Griff zu haben, dann wird es einen bleibenden Schaden geben. Das hängt jetzt alles sehr stark davon ab, was Tirol in den nächsten Wochen machen wird.
Was sollte Tirol machen?
Maßnahmen sind wichtig, nicht Marketing. Maßnahmen, die sicherstellen, dass man das Virus nicht nach außen trägt und zudem zu Hause wirksam bekämpft. Man muss der Öffentlichkeit beweisen, dass man ernsthaft an die Sache herangeht. Nur auf diese Weise kann man wieder Vertrauen gewinnen.
Wie sehr erschweren die engen Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und Tourismus in Tirol diese Bemühungen?
Enge Verflechtungen liegen in der Natur der Sache. Problematisch ist, dass diverse Touristiker und Lobbyisten glauben, dass die Tiroler Politik nach ihrer Pfeife tanzen muss. In den letzten Tagen ist sehr deutlich geworden, dass das von der Bevölkerung nicht mitgetragen wird. Jetzt müssen sich die Touristiker selbst bei der Nase nehmen und intensiv darüber nachdenken, welches Verhalten in der heutigen Zeit angebracht ist. Abgesehen davon bin ich zutiefst überzeugt, wenn es kein gründliches Umdenken über die Zielsetzungen, die Art und Weise, wie man Tourismus in Zukunft betreiben soll, gibt, dann wird der Tourismus in Tirol sehr schwierigen Zeiten entgegengehen. Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg steht schon seit der Causa Ischgl unter Druck. Landeshauptmann Günther Platter stolpert durch das Krisenmanagement. Wären längst Rücktritte fällig?
Rücktritt ist ein Wort, das in der österreichischen politischen Terminologie nicht vorkommt.
Davon will auch Finanzminister Gernot Blümel trotz Korruptionsermittlungen nichts wissen. In der türkis-grünen Bundesregierung kracht es an allen Ecken und Enden. Wie lang geht das noch gut?
Die einfache Antwort auf diese Frage ist: Wo ist die Alternative? Bei allen Schwierigkeiten, die es gibt – eine Zusammenarbeit zwischen Schwarz und Grün scheint mir immer noch zukunftsweisender als eine zwischen Schwarz und Blau.
Sie sind also Teil der schwarzen ÖVP, nicht der türkisen?
Ich bin ein freier Bürger. Ich kritisiere an den traditionellen Schwarzen gewisse Dinge und auch an den Türkisen. Ich halte nichts von Stereotypen und will da meine eigene Position behalten. Ich bin ungeeignet für Message Control.
Stichwort Message Control: Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Bundesregierung?
Die größten Probleme, die ich sehe, sind, dass zu wenig vorausgeplant wird, zu wenig klargestellt wird, warum gewisse Maßnahmen notwendig sind und dass zu wenige Fakten produziert werden, um als Bürger beurteilen zu können, wie die Maßnahmen funktionieren. In den letzten Wochen hat es auch grobe Kommunikationsmängel zwischen Bund und Land gegeben. Diverse Zahlen, die zum Beispiel von der Ages gekommen sind, haben mit den Zahlen, die von der Politik gekommen sind, nicht zusammengepasst. Da gibt es Probleme, die dringend beseitigt gehören.
Hat Bundeskanzler Sebastian Kurz das alles noch im Griff?
Der Bundeskanzler ist ein Getriebener in diesen Fragen geworden, der Zurufe von allen Seiten bekommt. Es ist sicher nicht leicht, sich durch diesen Dschungel durchzuarbeiten. Wichtig wäre, dass er zu seinem Verhalten, das er früher an den Tag gelegt hat, zurückkehrt. Er war bekannt dafür, dass er jemand ist, der zuhören kann und nicht doktrinär irgendetwas in die Welt setzt. Er war offen für frische Ideen von außen. Das ist momentan in der Öffentlichkeit nicht mehr spürbar.
Fragt Kurz Sie um Rat?
Früher hat er mich öfter einmal gefragt, in letzter Zeit habe ich eigentlich keinen Kontakt zu ihm gehabt.
Waren Sie kürzlich eigentlich auch einmal Golfspielen in Südafrika?
Nein, ich spiele überhaupt nicht Golf. Weder in Südafrika noch sonst wo auf der Welt.