Österreich hat ein Problem. Und zwar im Umgang mit seinen - von manchen immer noch bewusst verschwiegenen - Töchtern. Denn diese werden immer häufiger zu Opfern unterschiedlichster Arten von Gewalt, die zu etwa 98 Prozent von Männern ausgeht. Die Zahlen unterstreichen diesen Befund. Laut Eurostat war oder ist jede fünfte Frau ab einem Alter von 15 Jahren in der EU mit körperlicher Gewalt konfrontiert. Österreich kommt hier eine besonders problematische Rolle zu, wie ein Blick auf die erfassten Mordfälle zeigt: 2017 war Österreich das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen als Männer durch Gewaltverbrechen zu Tode kamen. Von 48 Mordopfern waren 27 weiblich.
In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der Femizide fast durchgehend zu. Gab es im Jahr 2014 noch 19 weibliche Mordopfer, so wurden 2019 39 Femizide im Land erfasst, 2018 sogar 41. Die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) haben gemeinsam mit weiteren Plattformen wie der Frauen-Helpline die Kampagne "Schluss mit den Ausreden" zur Bewusstseinsbildung gestartet und ein Video dazu veröffentlicht - produziert von Hekate Film Collective. Es ist eine Kampagne, die nicht die Frauen, sondern die Männer, die Täter, in den Fokus rückt. "Gewalt an Frauen ist kein Frauen-Problem, sondern eines der Männer", betont AFÖ-Geschäftsführerin Maria Rösslhumer.
Das Anliegen ist klar, aber wie man zu einer sichereren Gesellschaft für Frauen kommt und was man dabei alles beachten muss, ist etwas komplexer. Es beginnt beim Sprachgebrauch - medial wie im Privaten. So geschieht ein Mord etwa nicht aus Eifersucht, sondern weil der männliche Täter nicht gewaltfrei mit seiner Eifersucht umgehen kann. Das ist ein entscheidender Unterschied. Einerseits könnte das suggerieren, dass Männer allgemein mit Eifersucht oder Ablehnung nicht umgehen können, andererseits wird bei ungenauem Sprachgebrauch der Sachverhalt verschleiert und auch der Täter unsichtbar gemacht. So gesehen ist auch die Frau nicht "Opfer von Gewalt", sondern der Täter übt ebendiese Gewalt aus. Auch die "Beziehungstat" sei problematisch, erklärt der Psychologe Romeo Bissuti, Obmann vonWhite Ribbon Österreich. Weil Gewalt in einer Partnerschaft nichts mit dieser zu tun hat, sondern mit Überforderung, Kompensation oder anderen Gründen für männliche Aggression.
Auch ihm geht es um die Sichtbarmachung der Täter, zugleich aber auch um Solidarisierung mit den Opfern und darum, gemeinsam aufzustehen und gegen diese toxische Männlichkeit anzugehen. "Um Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften zu beenden, ist es von großer Bedeutung Männer dafür zu gewinnen, Teil der Lösung des Problems der Männergewalt zu werden", konstatiert Bissuti. Im Video werde genau diese Botschaft gut vermittelt. Was die Motive gewalttätiger Männer und ihre zur Schau gestellte vermeintliche Stärke betrifft, haben diese paradoxerweise oft den Ursprung in Defiziten und Schwächen. Männer lernen immer noch, dass man Gefühle nicht zeigen darf und auch nicht darüber sprechen soll. "Wenn man sich mit seinen Gefühlen nicht auseinandersetzt und darüber spricht, wenn einem die Worte fehlen, dann können oftmals Taten an ihre Stelle treten", warnt Bissuti.
Auch, dass einem abwertenden Frauenbild häufig eine Überempfindlichkeit die eigene Mutter betreffend gegenübersteht, wirkt paradox. Bissutis Erklärung dafür ist aber simpel: "Ob ich die Ehre meiner Mutter verteidigen oder der Partnerin eine Rolle aufzwingen will, spielt nur eine untergeordnete Rolle. In beiden Fällen geht es eigentlich um das Ausüben von Macht und das Zeigen von Aggressionsbereitschaft." Bei der Arbeit mit jungen Männern thematisiert er dieses Feld häufig und lässt die Jugendlichen selbst definieren, was Stärke ist - und was eher Dominanz. In Relation gesetzt und anhand von Beispielen wird schnell sichtbar, dass mentale Stärke und Selbstkontrolle meist einen viel größeren Kraftakt darstellen, als körperliche Gewalt - vor allem gegen physisch Schwächere.
Auswirkungen der Pandemie
Wie sich die Pandemie und die begleitenden Maßnahmen auf Gewalt von Männern an Frauen ausgewirkt hat, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Die Gewaltausübung hat im Lockdown aber zugenommen. Zum effektiven Schutz und Sicherheit für gewaltbetroffene Frauen und Kinder bedürfe es laut AÖF wirksamer opferschutzorientierter Maßnahmen, effektiver Prävention und einer signifikanten Erhöhung der Mittel des Frauenministeriums.
Aber es könnte auch positive Auswirkungen im Schatten der Pandemie geben. Laut der Soziologin Laura Wiesböck gibt es Hinweise darauf, dass Freundschaften unter Männern an Tiefe gewinnen. Weil diese im Lockdown vermehrt Spazierengehen und sich miteinander austauschen, wo ansonsten unter Freunden Aktivitäten stattfinden, bei denen weniger kommuniziert wird. Wiesböck arbeitet aktuell an einem entsprechenden Forschungsprojekt.
Matthias Reif