Die politische Schubumkehr wurde um ein Uhr früh fixiert. Während Mittwochnacht in der ZiB 2 die neue Gesundheitsdirektorin das Unerklärliche zu erklären versuchte und mit freundlicher Verzweiflung um Verständnis für die „hochkomplexe Herausforderung“ der Impfung in den Pflegeheimen sprach, alles, nur um den 12. Jänner und das skandalös lange Zuwarten irgendwie zu rechtfertigten, da brannte im Bundeskanzleramt noch Licht: Kanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober saßen beieinander und versuchten fieberhaft, im Beisein von Experten den Impfplan neu aufzusetzen, um die Wogen der Kritik abzufangen und den fatalen Eindruck Zehntausender gebunkerter Impfdosen durch eine Brachial-Intervention zu beseitigen.
Die dann so aussah: „Wir ziehen die Impfungen vor und warten nicht auf den 12. Jänner“, sprach Kurz ein Machtwort, die Entscheidung war gefallen. Sofortiges Verimpfen der zurückbehaltenen Bestände. 25.000 Impfungen bis Sonntag dieser Woche, 50.000 nächste Woche. Gegen Mitte der Woche soll die zweite Großlieferung von Biontech in Wien eintreffen, die noch im Jänner abgearbeitet werden soll. Dazu kommt die Zulassung des Impfstoffs von Moderna, der es erlauben wird, bis Ende März über 500.000 Menschen zu impfen.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober informierte heute über "Österreichs Rolle bei der Impfstoff-Zulassung in der EU". Mit dabei Verteidigungsministerin KlaudiaTanner, der Sonderbeauftragte Clemens Auer, sowie AGES-Geschäftsführer Kickinger und Wirthumer-Hoche. Er verteidigte die verlangsamende Pilotphase und sieht "null Notwendigkeit" für Rücktritte.
Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagnernahm heute Stellung zum "Impfchaos", das die Regierung verursacht habe.
Erstes personelles Opfer
Der Strategiewechsel der Regierung wird zur verbindlichen Maxime. Keine Bestände, auch die, die nic ht zur Verwendung kommen, bleiben in den Einrichtungen zurück, sondern werden sofort auf die anderen Bundesländer verteilt. „Beim Impfen geht es um Schnelligkeit und um Menschenleben. Daher gibt es keinen Grund, dass Impfdosen über Wochen zwischengelagert werden“, so Kurz.
Die Verwerfungen rund um den verkorksten Impfstart schienen zunächst ein erstes personelles Opfer gefordert zu haben. Clemens Martin Auer, Sonderbeauftragter unter Rudolf Anschober, solle aufgrund der Kalamitäten auf Drängen der Regierungsspitze abgezogen werden, hieß es. Gesundheitsminister Anschober stellte jedoch wenig später klar: Es gebe keinen Anlass für einen personellen Wechsel.
Um auch über die Heime hinaus Dynamik zu signalisieren, werden parallel zu den Hochrisikogruppen in den Spitälern und Pflegeheimen auch alle über 85-Jährigen außerhalb der Altersheime in die erste Impfphase miteinbezogen. Das gab Kurz in einem Gespräch mit der Kleinen Zeitung bekannt. Noch im Jänner soll diese gefährdete Altersgruppe die Möglichkeit haben, sich in Impfzentren zu immunisieren.
Die Initiative soll über die Hausärzte und Bürgermeister in den Regionen organisiert werden. Diese sollen sich zusammenschließen, um rasch eine lokale Infrastruktur aufzubauen, vermutlich in den Bezirksstädten. Betroffen sind an die 300.000 Personen.
Tirol hat sich entschlossen, dieses Angebot auf Wochenenden zu verlegen, um es berufstätigen Angehörigen zu ermöglichen, Eltern oder Großeltern zu den Impfzentren zu bringen. Nach der Gruppe 85 plus wolle man sich laut Kurz in der Alterspyramide nach unten arbeiten.
Vorgezogene Impfung
Auch die Steiermark zieht Impfungen vor. Noch in dieser Woche sollen knapp 3000 Impfungen durchgeführt werden. Grundlage war eine spontan vorgenommene Bedarfserhebung in allen steirischen Pflegeheimen. 24 Heime und sieben Covid-Stationen in steirischen Krankenhäusern wirken an der vorgezogenen Impfaktion mit.
Wie berichtet, waren in der Steiermark im Rahmen des bundesweiten symbolischen Impfstarts nach den Weihnachtsfeiertagen nur an die vierzig Impfungen vorgenommen worden. Anschließend wurde eine Art informelle Impfpause über den Jahreswechsel hinaus ausgerufen.
Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer stellt in einem ORF-Interview klar: „Wichtig ist, dass wir jetzt gut an den Start gehen, und wichtig ist, dass man im Bund jetzt nicht die Nerven verlieren soll, denn wir kommen nicht weiter, wenn der eine das und der andere etwas anderes sagt. Eine solche Impfdosis braucht eine starke Kühlung, braucht eine gute Vorbereitung, das kann ich ja nicht wie ein Freibier verteilen.“ Als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz appelliert er für ein besseres „Miteinander“ zwischen Bund und Ländern und kritisiert die Gewalt in Worten.
Anschober: Pilotphase wurde abgewartet
Gesundheitsminister Anschober rechtfertigte die Verzögerung beim Impfstart im Ö1-Morgenjournal damit, dass zunächst die Pilotphase abgewartet wurde.
Es sei die größte Impfkampagne jemals in Österreich, diese brauche eine präzise Vorbereitung und eine Pilotphase, meinte Anschober. Es sei dabei um die Logistik und Vorbereitung in Alters- und Pflegeheimen sowie die Verträglichkeit der Impfung gegangen. Hier habe es gute Rückmeldungen und deshalb können nun Impfungen vorgezogen werden, sagte Anschober.
Ab Montag gehe die Impfung dann "wirklich in die Breite". Es gebe schon mehr als 30.000 Vakzine-Reservierungen. "Jeden Tag geht es mit 10.000 Dosen in Alters- und Pflegeheime", kündigte der Gesundheitsminister an. Schließlich hab er "größtes Interesse schnellstmöglich zu handeln" und niemand ein Interesse, "auch nur einen Tag zu verlieren".