Der Verbraucherschutzverein (VSV) geht von ersten Prozessterminen in Sachen Ischgl im Jänner oder Februar des kommenden Jahres aus. Der Verein arbeite derzeit an der Klagebeantwortung, sagte VSV-Obmann Peter Kolba am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Wien. Der VSV hatte bereits im Herbst vier Amtshaftungs-Musterklagen gegen die Republik Österreich eingebracht und bisher "zwei, drei" weitere, sagte Kolba. Über 6.000 Geschädigte hatten sich beim VSV gemeldet.
Davon stammen rund 4.000 aus Deutschland, von denen die Hälfte über eine Rechtsschutzversicherung verfüge. In 30 Fällen gebe es bereits eine Deckungszusage der Versicherung - hier werde entweder eine Klage vorbereitet oder wurde eben schon eingebracht bzw. ein Aufforderungsschreiben an die zuständige Finanzprokuratur - als Rechtsanwalt der Republik - gerichtet. Österreichische Rechtsschutzversicherungen hätten sich bisher auf eine Pandemieklausel berufen und eine Finanzierung abgelehnt. Eine erst kürzlich vom Wiener Handelsgericht getroffene Entscheidung, wonach eine Berufung auf die Pandemieklausel rechtswidrig sei, eröffne dem VSV und seinen heimischen Geschädigten wahrscheinlich neue Möglichkeiten, gab sich Kolba optimistisch.
Klagen aus den Niederlanden
Auch in den Niederlanden rechnet sich der VSV Chancen aus. Eine niederländische Sammelklage gegen die Republik sei nicht möglich. Daher prüfe der Verein nun die Möglichkeit von Klagen gegen juristische Personen des Privatrechts - also etwa gegen den Tourismusverband Paznauntal (TVB) oder auch Hotels. Ein Viertel der Betroffenen gab laut Kolba an, dass sie sich vor ihrem Urlaub informiert hätten, ob es Probleme mit Corona gäbe und das verneint wurde. "Die Menschen wurden vom TVB oder von Hotels belogen", meinte er. Rund 800 Niederländer meldeten sich als Geschädigte.
Für all jene Österreicher, die keine Rechtsschutzversicherung haben, wolle man ab Frühjahr 2021 eine Sammelklage nach österreichischem Recht organisieren. Dafür müsse man aber erst einen Prozessfinanzierer finden - man befinde sich aber schon mit "großen Finanzierern" in Verhandlungen, betonte der Verbraucherschützer.
Für die nunmehrige Klagebeantwortung an die Finanzprokuratur stütze man sich neben internationalen Studien auch auf ein soeben erschienenes Buch des Bloggers Sebastian Reinfeldt mit dem Titel "Alles richtig gemacht? Ischgl und die Folgen". Die Finanzprokuratur bestritt im Oktober in einer ersten Klagebeantwortung die Vorwürfe des Vereins. Zudem wurde angegeben, dass etwa ein Allein-bzw. Mitverschulden aufgrund von "Sorglosigkeit" der Kläger geprüft werden müsse.
Dass der VSV auch aufgrund der nun anstehenden Winterskisaison klagen wird, glaubte Kolba indes nicht. "Es ist ein Unterschied, ob am Beginn der Pandemie Touristen im Unklaren gelassen werden und sie deshalb anreisen", sagte er. Das Argument, dass Gäste selbst Schuld seien, würde damit an Glaubhaftigkeit gewinnen. Wer jetzt bei diesen Infektionszahlen Buchungen vornehme, "kann dann schwerlich sagen, ich bin in Irrtum geführt worden".
In dem Tiroler Wintersportort Ischgl war es zu einem größeren Ausbruch des Coronavirus SARS-CoV-2 gekommen. Die ersten Fällen wurden Anfang März bekannt, die Ansteckungen sollen vor allem in Apres-Ski-Lokalen passiert sein. Den Behörden war vorgeworfen worden, zu spät und nicht umfassend genug reagiert zu haben. Der VSV hatte eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck eingebracht. Mehr als 6.000 Tirol-Urlauber aus 45 Staaten hätten sich beim VSV als Geschädigte gemeldet. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck leitete wegen des Verdachts der Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten ein Ermittlungsverfahren ein, dieses war im Laufen. Ein bereits präsentierter Expertenbericht sah kein Versagen, aber Fehleinschätzungen der Behörden. Druck aus der Tourismuswirtschaft auf Entscheidungsträger wurde nicht festgestellt.