Es ist eine stille Trauer, die diesen Mittwoch beherrscht. Unweit der Seilbahn-Talstation, bei der Gedenkstätte, die an die Opfer der Katastrophe von Kaprun erinnern soll, versammelten sich um 9 Uhr die Angehörigen zu einem ökumenischen Gottesdienst. Ohne offizielle Redner, ohne Politiker und ohne Medien, und coronabedingt im Freien.
Die Seilbahnkatastrophe von Kaprun jährt sich zum 20. Mal. Am 11. November 2000 sind beim Brand in der Standseilbahn 155 Menschen ums Leben gekommen. Das Inferno gilt als die größte Katastrophe der österreichischen Nachkriegsgeschichte.
Der Hergang der Tragödie
"Wir konnten einfach nur auf den Tunnel starren", so titelte die Kleine Zeitung damals, am 12. November 2000, dem Tag nach der Katastrophe von Kaprun. Ein Polizist erzählt darin von den bangen Stunden, in denen die rund 950 Helfer und Retter am Unglücksort unterhalb des "Todeskamins" tatenlos zusehen mussten, wie die Tragödie geschah. Für die meisten in der Bahn Eingeschlossenen war keine Rettung mehr möglich.
Der 11. November 2000 war ein Samstag. Die Standseilbahn "Kaprun 2" fuhr im Salzburger Pinzgau bergwärts – und die Katastrophe nahm bereits nach 20 Metern ihren Lauf. Im talseitigen Führerstand entwickelte sich von einem Heizlüfter ausgehend ein Brandgeschehen. Eine Hydraulikleitung zerriss wegen der Hitze, das ausrinnende Öl entfachte den Brand explosionsartig, und durch die Kaminwirkung im Tunnel breiteten sich die Flammen blitzschnell auf die komplette Seilbahngarnitur aus.
Aus Sicherheitsgründen konnten die Türen nur vom Wagenbegleiter geöffnet werden, die Passagierabteile waren zudem weder mit Handfeuerlöschern noch Nothämmern ausgerüstet. Von den Personen, die sich befreien konnten, liefen die meisten – vermutlich in Panik – vom Brandherd im hinteren Teil des Zuges durch den Tunnel nach oben in die tödliche Rauchgaswolke. Nur zwei Österreicher und zehn Deutsche konnten sich in der Frühphase des Brandes durch eine Scheibe retten, für alle anderen gab es keine Rettung mehr.
Sohn erzählt von dem Unglück, das ihm seine Eltern nahm
Zwei der Todesopfer waren Karin und Horst Konrad, beide 29 Jahre alt und aus St. Veit in Kärnten. Sie ließen ihren Sohn, Maximilian Konrad - damals drei Jahre alt - zurück. Er erzählt, zwanzig Jahre nach der Katastrophe, von seinem Schmerz, aber auch von seiner Dankbarkeit. "Mein größter Dank gilt meiner Oma und meinem Opa, die mir trotz allem eine echt schöne Kindheit ermöglicht haben", so Konrad. Was damals passierte, habe er erst später begriffen. In der Pubertät sei die Trauer über ihn hereingebrochen.
Manchmal verspüre der 23-Jährige neben seiner Trauer auch so etwas wie Wut oder ein gewisses Hadern. "Ich habe viel über den Unglückshergang gelesen, Bücher und Zeitungsartikel besorgt. Und ich empfinde es als Ungerechtigkeit, dass niemand für diese Katastrophe zur Verantwortung gezogen wurde. Das hat mir sehr zugesetzt", sagt er.
Keine Schuldigen gefunden
Im Strafverfahren konnte die Justiz keine Schuldigen finden, alle 16 Beschuldigten wurden freigesprochen. Laut Urteil ist der Brand wegen eines Gebrechens im Heizlüfter ausgebrochen, durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen sei es in der Folge zur Katastrophe gekommen.
Viele Hinterbliebene können bis heute nicht abschließen, zweifeln offen die Gerichtsurteile an und kämpften lange um neue Verfahren: "Es kann nicht sein, dass 155 Menschen sterben und niemand schuld ist."
Die Hinterbliebene stützten sich auf deutsche Gutachter, denen zufolge nicht ein Fehler im Heizlüfter das Unglück verursacht haben soll, sondern der unsachgemäße Einbau des Gerätes, das für eine Standseilbahn gar nicht geeignet sei. Mehrere Opferanwälte stellten im Vorfeld riesige Summen in Aussicht, letztlich waren aber häufig sie die Profiteure und nahmen den Hinterbliebenen zum Teil mehr als die Hälfte des Schmerzengeldes als Honorar ab.
Verfahren nicht mehr eingeleitet
2007 wurde eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurückgewiesen, 2008 schlossen sich Angehörige und Opfer der Strafanzeige eines Sachverständigen gegen die im Prozess eingesetzten Sachverständigen an. Dieses Verfahren wurde – wie viele andere – nicht (mehr) eingeleitet.
Zehn Jahre nach dem Unglück haben sich die Gletscherbahn-Verantwortlichen offiziell entschuldigt: "Mit anhaltender Trauer und Erschütterung bitten wir von den Gletscherbahnen Kaprun um Verzeihung." Die Katastrophe "geschah in unserem Betrieb, also unter unserer Verantwortung. Zu dieser Verantwortung bekennen wir uns", hieß es in einer Stellungnahme zum 10. Jahrestag.
Salzburgs Landeshauptmann: "Die Narben sind auch zwei Jahrzehnte danach noch immer vorhanden"
Auch der damalige Bürgermeister und heutige Vorstand der Gletscherbahnen, Norbert Karlsböck, erklärte jüngst in einer Aussendung: "Das, was geschehen ist, tut uns unendlich leid."
Für Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer ist der Tunnelbrand die größte Katastrophe seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Österreich gewesen, die den Einsatzkräften eine "fast übermenschliche" Leistung abgerungen habe. "Die juristischen und technischen Folgen sind zwar aufgearbeitet, doch die Narben sind auch zwei Jahrzehnte danach noch immer vorhanden. Doch ebenso wirkt der Zusammenhalt der Bevölkerung in der schweren Zeit nach dem Unglück noch nach", so Haslauer.
Für den damaligen Landeshauptmann Franz Schausberger war es "sicher die größte emotionale Herausforderung in meiner Zeit als Landeshauptmann".
Olympiasiegerin entkam Katastrophe um Haaresbreite
Eine, die unglaubliches Glück hatte und der Katastrophe um Haaresbreite entging, ist Julia Dujmovits. Die erfolgreiche österreichische Snowboarderin erzählte dem Kleine Zeitung-Redakteur Max Ischia in Sotschi 2014 - als sie Olympia-Gold im Parallelslalom gewann - dass sie damals als 13-Jährige mit dem burgenländischen Snowboard-Kader auf Trainingskurs in Kaprun war. Gemeinsam mit ihren Teamkollegen stand sie am 11. November 2000 in der Menschenschlange vor der Standseilbahn, die Minuten später für 155 Menschen zur Todesfalle werden sollte.
Während sie und ihr Bruder Georg den schicksalhaften Entschluss fassten, die Gruppe zu verlassen, um stattdessen mit der Gondel hochzufahren, kamen all ihre Freunde ums Leben. Sie war traumatisiert, schwor sich, niemals mehr ein Snowboard anzurühren und kämpfte sich dann doch zurück. Sie fasste den Entschluss, "für meine Freunde irgendwann Olympia-Gold zu holen". Was sie dann in Sotschi auch tat.
DVI-Team seit dem Unglück im Einsatz
Seit dem Katastrophenunglück gibt es in Österreich das DVI-Team, das auch zu Einsätzen im Ausland ausrückt. DVI (Disaster Victim Identification) steht für Katastrophen-Opfer-Identifizierung. Das DVI-Team, damals über 235 Spezialisten, darunter 20 Zahnärzte und zehn Gerichtsmediziner, sorgte dafür, dass keiner der 155 Verunglückten namenlos geblieben ist.
Den Opfern zu Ehren wurde 2004 eine Gedenkstätte eröffnet. In der Gedenkstätte ist jedem Toten eine eigene Nische gewidmet. Viele wurden liebevoll dekoriert, mit Fotos, Sprüchen und persönlichen Erinnerungsstücken versehen.