Am Tag danach ist Wien verändert, und zwar nicht nur rund um den Tatort des Terroranschlags in der Innenstadt. Auch in den äußeren Bezirken ist es für einen Dienstagvormittag ungewöhnlich still. Dafür ist die Polizei auch außerhalb des Zentrums enorm präsent. 1000 Exekutivbeamte sind an diesem Tag in Wien im Einsatz. Sie begegnen einem auch direkt am Bahnsteig in der U-Bahn, ausgerüstet mit kugelsicheren Westen, Helmen und mit dem Sturmgewehr im Anschlag.

Die wenigen Menschen in der U3, die am Vormittag Richtung erster Bezirk fährt, versuchen, sich davon äußerlich nicht beeindrucken zu lassen. Sie vertiefen sich in eine Zeitung, ihr Smartphone oder ihre eigenen Gedanken. Allen scheint auf unterschiedliche Weise bewusst zu werden, was sich in ihrer Stadt vor wenigen Stunden zugetragen hat. Keiner sagt ein Wort. Stille auch in der U-Bahn.

Die ganze Leere der Stadt wird rund um den Stephansplatz besonders spürbar. An einem normalen Werktag tummeln sich hier Menschen, die ins Büro gehen, einkaufen oder einen Kaffee in der Innenstadt trinken wollen. Die sonst stark frequentierte Kärntner Straße ist heute praktisch menschenleer. Der Großteil der Geschäfte in der Innenstadt bleibt an diesem Tag geschlossen, auch mehrere der Wiener Einkaufszentren. Nur Bäckereien scheinen vereinzelt auf Kundschaft zu warten. Zumeist vergeblich.

Kommt man den Schauplätzen der Terrornacht näher, nimmt das Polizeiaufgebot noch einmal zu. Die Beamten patrouillieren durch die Straßen, auch Wagen der Militärpolizei sind unterwegs. Der Bereich um die Seitenstettengasse, wo das Attentat am Montag seinen Ausgang nahm, ist mit einem rot-weiß-roten Band abgesperrt.

Am Schwedenplatz selbst kehrt hingegen vereinzelt so etwas wie Normalität ein. Die Straßenbahn, die in der Nacht aus Sicherheitsgründen bei keiner Haltestelle im ersten Bezirk gehalten hatte, spuckt wieder vereinzelt Fahrgäste aus. Davor haben Personen auf Parkbänken Platz genommen. Die Würstelbuden um sie herum sind auch aufgrund des Lockdowns geschlossen. Trotz der Leere gibt es Zeugen des Vorabends: Leere Biergläser und ein Cafétisch voller kleiner Sektflaschen erzählen von einem augenscheinlich ausgelassenen Vorabend, der ein abruptes Ende nahm.

Von einem ruhigen Montag ist auch Kerim Caglar ausgegangen. Er besitzt am Schwedenplatz einen kleinen Kebabladen. Bis 19 Uhr war er in seinem Lokal, danach hätte sein Bruder die zweite Schicht bis Mitternacht übernehmen sollen. „Mein Sohn hat mich kurz nach 19 Uhr abgeholt und wir sind nach Hause gefahren. Eine halbe Stunde später ruft mich mein Bruder an. Er hat etwas gehört, irgendjemand hat geschossen. Dann hat er Angst bekommen und sich im Lokal versteckt“, sagt Caglar. Nach etwas mehr als einer halben Stunde sei sein Bruder dann nach Hause gelaufen und habe sich in Sicherheit gebracht.

Angst verspüre er am Tag nach dem Terroranschlag keine. „Aber ich stehe unter Schock“, sagt Caglar. Gelegentliche Raufereien würden am Schwedenplatz schon vorkommen. „Aber nicht solche Szenen. Ich lebe seit 30 Jahren in Österreich. In Wien habe ich so etwas nicht für möglich gehalten.“ Wann er aufgrund des Lockdowns sein Lokal wieder aufsperren darf, sei zudem völlig offen. „Die Situation ist sehr schwierig. Jetzt machen wir zu, aber wie es weitergeht, weiß ich auch nicht.“

Gegen Mittag spazieren mehr Menschen durch die Stadt. Viele von ihnen sind Journalisten. Mehrere internationale Fernsehteams rücken ihre Reporter rund um die Tatorte für Liveeinstiege ins Bild und erkundigen sich bei den postierten Polizisten nach Neuigkeiten. Auch Passanten, viele von ihnen noch immer schockiert, kommen mit den Exekutivbeamten ins Gespräch. Diese geben nach Möglichkeit freundlich Antwort, weggeschickt wird niemand. Wer nicht vor Ort nach Erklärungen sucht, hat sein Telefon am Ohr und versucht, mit Verwandten, Freunden oder Kollegen die letzten Stunden aufzuarbeiten.

Um Punkt zwölf Uhr Mittag halten alle für eine Trauerminute inne. Auch die Straßenbahnen stehen dann wieder für ein paar Augenblicke still. Zum Gedenken an die Opfer läuten die Kirchenglocken. Sie durchbrechen die Stille der Stadt.