Es sind unwirkliche Minuten, die noch lange im kollektiven Gedächtnis Österreichs nachwirken werden. Bewaffnet mit einer automatischen Kalaschnikow, einer Faustfeuerwaffe und einer Machete sowie einer Sprengstoffgürtel-Attrappe richtete ein 20-Jähriger am Montagabend ein Blutbad in der Wiener Innenstadt an. Er rannte durch die Gassen rund um den Schwedenplatz und schoss wahllos auf Passanten. Neun Minuten nach dem ersten Alarm wurde der Täter gestellt und vor der Ruprechtskirche von Polizisten der Sonderheit Wega erschossen. Die schreckliche Bilanz des Terroranschlages: vier weitere Todesopfer, 22 Verletzte.
Stundenlang wurde in der Nacht nach weiteren Tätern gesucht.

Ziemlich sicher ein Einzeltäter

Am Dienstagnachmittag erklärte Innenminister Karl Nehammer schließlich, dass es „derzeit keine Hinweise auf einen zweiten Täter“ gebe. Schock, tiefe Trauer, Fassungslosigkeit. Und viele Fragen: Wie konnte das passieren? Wer war der Täter? Wie hat er sich radikalisiert? War er im Visier der Polizei?

20 Jahre war der Täter alt, zuletzt wohnhaft in Simmering, neben der österreichischen besaß er auch die nordmazedonische Staatsbürgerschaft (albanische Volksgruppe). In Mödling geboren, stammte er aus einer „normalen Familie“, die muslimisch, aber nicht streng gläubig ist, wie sein früherer Anwalt Nikolaus Rast sagt.

Auf dem Weg nach Syrien festgenommen

Die Radikalisierung begann vor einigen Jahren. Die Ideologie des sogenannten Islamischen Staates (IS) faszinierte den Jugendlichen so sehr, dass er sich im Sommer 2018 auf den Weg nach Syrien machte, um für die Terrororganisation zu kämpfen. Weinend sei die Mutter in seiner Kanzlei gestanden, nachdem ihr Sohn untergetaucht war, erzählt Rast.

Noch in der Türkei wurde der Jugendliche festgenommen, im April 2019 musste er sich gemeinsam mit einem Freund in Wien vor Gericht verantworten – wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation und einer terroristischen Vereinigung. Der „Standard“ berichtete von dem Prozess: „Ich habe mir ein besseres Leben erwartet. Eine eigene Wohnung, eigenes Einkommen“, begründete der Angeklagte damals seine Affinität zum IS. Schon 2016 sei er „in die falsche Moschee“ geraten. „Ein Jugendlicher, der seinen Platz in der Gesellschaft gesucht hat“, erklärte sein Strafverteidiger Nikolaus Rast.

Er galt nicht mehr als gefährlich

Das Gericht verurteilte den damals 19-Jährigen zu 22 Monaten unbedingter Haft. Schon im Dezember 2019 erfolgte die bedingte Haftentlassung, weil er nicht mehr als gefährlich eingestuft wurde (siehe rechts). Danach wurde der Mann von einem Bewährungshelfer und dem Verein Derad betreut, der auf die Deradikalisierung radikalislamischer Straftäter spezialisiert ist. Dort soll sich der 20-Jährige brav und geläutert gegeben und zuletzt die Terroranschläge in Frankreich verurteilt haben. Der Verfassungsschutz dürfte ihn nicht als Gefährder gesehen haben. Es habe „zu wenig Hinweise auf aktives Tun“ in Richtung einer terroristischen Betätigung gegeben, heißt es. Ein Staatsbürgerschafts-Aberkennungsverfahren verlief im Sand.

Nach außen vermittelte er das Bild eines in die Gesellschaft integrierten Mannes. Dabei habe der 20-Jährige „in Wahrheit ganz bewusst das System zerstören“ wollen, wie Innenminister Nehammer auf Basis der Ermittlungen betont. Anwalt Rast zeigt sich fassungslos: „Ich habe mich getäuscht, das Gericht hat sich getäuscht. Ich hätte das nie für möglich gehalten, dass er zum Attentäter wird.“ Moussa Al-Hassan Diaw vom Verein Derad will sich zum konkreten Fall nicht äußern, sagt aber zur APA: „Eine 100-prozentige Sicherheit wird es auf keinen Fall geben“, sagt Diaw. Auch bei anderen Anschlägen habe es Täter gegeben, die von ihrem Umfeld nie so eingeschätzt worden wären.

"Viele Hinweise auf Radikalisierung"

Postings des Mannes in sozialen Netzwerken zeigen ihn mit Waffen. Der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, spricht von einer „Fülle von Hinweisen auf seine Radikalisierung“. In Wien und St. Pölten wurden 18 Hausdurchsuchungen durchgeführt, 14 Personen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis des erschossenen Attentäters festgenommen. Ob sie an dem Anschlag beteiligt waren oder über die Pläne informiert waren, ist unklar. Der IS reklamiert den Anschlag auf seiner Plattform für sich. Das Innenministerium überprüft das Bekennerschreiben.

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