PRO
Im Zuge der Coronakrise bekommt die Diskussion über die Verteilung vorhandener Arbeit neue Dringlichkeit. In der Arbeitszeitlandschaft besteht eine Schieflage. Wir brauchen den Rechtsanspruch auf eine 4-Tage-Woche.
"Schlechtes Timing", "schadet dem Standort", "kostet Arbeitsplätze": Argumente, die wir in der Diskussion über Arbeitszeitverkürzung hören. Es sind die gleichen wie vor 45 Jahren, als die 40-Stunden-Woche eingeführt wurde. Im Lichte der Covid-19-Krise gewinnt die Debatte über die Verteilung der vorhandenen Arbeit an Dringlichkeit. Was liegt näher, als die Arbeit auf mehr Menschen zu verteilen?
In unserer Arbeitszeitlandschaft besteht eine Schieflage: Viele, vor allem Frauen, arbeiten in Teilzeit, andere leisten massiv Überstunden. Wir haben mit 41,2 Wochenstunden die drittlängsten Arbeitszeiten in der EU. Lange Arbeitszeiten machen nachweislich krank, Konzentration und Produktivität sinken, die Unfallhäufigkeit steigt – laut einer finnischen Studie bei einem 12-Stunden-Tag um 38 Prozent. Belastende Arbeitszeiten sind oft verantwortlich dafür, dass Menschen lange vor dem Pensionsalter nicht mehr arbeiten können. Ist das die Arbeitswelt, die wir wollen? Ganz klar: Nein.
Es gibt Firmen, die das erkannt haben und die alle Killerargumente gegen kürzere Arbeitszeiten Lügen strafen: 30-Stunden-Wochen, 4-Tage-Wochen, flexible Schichtmodelle, 6. Urlaubswoche nach dem 1. Jahr – das alles ist in Betrieben schon Realität, mit Vorteilen für alle: weniger Krankenstände, gestiegene Produktivität, bessere Motivation, gute Umsätze. Bessere Karrierechancen für Frauen und eine gerechtere Verteilung der bezahlten und der unbezahlten Arbeit. Das ist die Arbeitswelt, die ich will.
Das Arbeitszeitgesetz ist ein Schutzgesetz. Die Neuregelung von 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche 2018 schränkt diese Funktion massiv ein. Wir bleiben bei unserer Forderung, das so zu reparieren, dass überlange Arbeitszeiten die Ausnahme bleiben und ohne zeitnahen Ausgleich verboten sind. Und an einer ernsthaften Diskussion über kürzere Arbeitszeiten führt kein Weg vorbei – Stichwort Arbeitslosigkeit. Die AK sieht neben einer spürbaren Arbeitszeitverkürzung weitere Hebel: Die 6. Urlaubswoche muss leichter erreichbar sein, die derzeitige Regelung ist flexibilitätsfeindlich und ungerecht. Es muss ein Rechtsanspruch auf eine 4-Tage-Woche bei verkürzter Arbeitszeit geschaffen werden. Für jede geleistete Überstunde sollte das Unternehmen einen Überstunden-Euro abführen, der in Arbeitsmarktpolitik und Gesundheitsschutz fließt. Und es braucht effektive Kontrollen, das geht nur mit mehr Personal in den Arbeitsinspektoraten.
Es gibt viele Modelle. Reden wir darüber. Die Gesprächsverweigerung von Politik und Unternehmensvertretungen wird die Probleme nicht in Luft auflösen. Es ist an der Zeit – für kürzere Arbeitszeiten.
CONTRA
Internationale Vergleiche zeigen: Nach Einführung der 35-Stunden-Woche ist die Arbeitslosigkeit gestiegen – und nicht gesunken. Eine 35-Stunden-Woche schwächt den gesamten Wirtschaftsstandort Österreich.
Der Ruf nach Arbeitszeitverkürzung ist nicht neu. Auch in der Vergangenheit kam die Idee auf, durch eine 35-Stunden-Woche ließe sich das Problem der hohen Arbeitslosigkeit lösen. Nur leider ist dies zu einfach und zu kurzfristig gedacht. Wenn überhaupt neue Jobs entstehen, dann selten genau dort, wo man sie braucht. Das zeigt auch der internationale Vergleich mit Frankreich: Dort ist nach Einführung der 35-Stunden-Woche die Arbeitslosigkeit nicht gesunken, sondern sogar gestiegen. So hatte Frankreich im Jahr 2000 eine Arbeitslosenrate von 8,6 Prozent, 15 Jahre später lag sie bei über zehn Prozent. Einzige Effekte der Arbeitszeitverkürzung waren, dass die Arbeit verdichtet wurde, was zu mehr Stress und Arbeitsbelastung bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führte, und dass die Anzahl der Überstunden stieg. Letzteres bedeutete für die heimischen Betriebe erhebliche Mehrkosten. Außerdem gilt es, kurzfristige und längerfristige Maßnahmen zu unterscheiden. Kurzfristig ist die Corona-Kurzarbeit das Instrument der Stunde, um Arbeitsplätze zu sichern.
Dass mittlerweile mehr als die Hälfte jener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die während des Lockdowns in Kurzarbeit waren, wieder vollbeschäftigt sind, beweist die Wirksamkeit des Instruments. Mittel- und längerfristig müssen wir bedenken, dass das Problem des Fachkräftemangels derzeit zwar von Corona überschattet, aber keineswegs gelöst ist. Eine Arbeitszeitverkürzung würde den spätestens nach Überwindung der Coronakrise wieder akuten Fachkräftemangel zusätzlich verschärfen.
In Summe erzielt eine 35-Stunden-Woche somit nicht die gewünschten Effekte und schwächt den Wirtschaftsstandort. Weniger Arbeitszeit bedeutet auch weniger Kaufkraft und weniger Wertschöpfung. Gerade das können wir uns derzeit, wo wir eine Belebung des Kaufverhaltens so dringend brauchen, nicht leisten. Statt Arbeitszeit zu verkürzen, gilt es daher, wieder Vertrauen zu schaffen und die Betriebe zu entlasten. Nur wenn es gelingt, den Konsum und die Investitionen nachhaltig anzukurbeln, wird die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen und im internationalen Wettbewerb punkten. Das wiederum schafft neue Arbeitsplätze und Stabilität für Österreich. Ein wichtiger Impuls dazu ist die kürzlich beschlossene Investitionsprämie. Es wird aber noch weitere Schritte zur Entlastung und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit brauchen, etwa bei den Lohnnebenkosten. Kommt die Wirtschaft wieder in Schwung, bringt das auch viele Jobs zurück. Immerhin werden Arbeitsplätze nicht durch eine gesetzlich verordnete Arbeitszeit geschaffen, sondern von florierenden Unternehmen.