Kinder und Jugendliche an Volksschulen, AHS-Unterstufen, Neuen Mittelschulen und Sonderschulen dürfen heute zurück in die Schule. Welche Bedeutung hat diese Maßnahme?
HEINRICH HIMMER: Für die Schülerinnen und Schüler ist vor allem die soziale Interaktion wichtig. Das ist der meistunterschätzte Bereich von Schule überhaupt und wird bei Bildungsreformen immer wieder stark vernachlässigt. Es geht weniger allein um den Lehrplan als auch um die Frage, wie Kinder und Jugendliche in den Schulen aufgenommen werden und wie ihre Lebensrealität dort abgebildet wird. Von daher halte ich es für sehr wichtig, dass sie das restliche Schuljahr gemeinsam erleben, auch wenn es nur wenige Wochen dauert.

Worin lagen die Herausforderungen, die Rahmenbedingungen für einen sicheren Schulbetrieb herzustellen?
Es gibt fast 400 Pflichtschulen in Wien, die sich noch dazu baulich teilweise stark unterscheiden. Nachdem das Bildungsministerium vieles schulautonom lösen lässt, musste jeder Standort selbst daran arbeiten. Das hat die Schulleitungen sehr gefordert. Unter anderem, weil gewisse Dinge wie Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel erst kurzfristig da waren. Mithilfe einer Taskforce haben wir in Wien versucht, die einzelnen Standorte bei ihren individuellen Fragen möglichst schnell zu unterstützen. Bis jetzt haben die Schulen wirklich gut gearbeitet, man wird aber erst in den nächsten Tagen sehen, was es noch braucht.

Was passiert, wenn in einer Schule der Verdacht einer Corona-Infektion besteht?
Es gibt hier ein klares Prozedere und eine enge Zusammenarbeit mit den Krisenstäben der Stadt Wien bzw. des Bundes. Die Gesundheitsbehörde und die Schulverwaltung entscheiden gemeinsam, was zu tun ist, also ob es zum Beispiel eine Quarantäne für gewisse Personen benötigt. Wichtig ist, dass schnell, gut und vor allem ehrlich kommuniziert wird. Wenn sich die Leute schlecht informiert fühlen, entsteht sonst schnell Angst. 

Vor allem Sport-Dachverbände kritisieren scharf, dass an Schulen mit entsprechendem Schwerpunkt zwar Sport unterrichtet werden darf, in allen anderen aber nicht. Ergibt das Sinn?
Aus meiner Sicht nicht, das habe ich dem Bildungsministerium auch mitgeteilt. Ich glaube, dass die Pädagoginnen und Pädagogen den Unterricht so gestalten hätten können, dass sich keiner einem höheren Risiko aussetzt. Man wird jetzt vor allem die Pausen nützen müssen, damit die Kinder dort nicht nur mit den Händen auf dem Tisch in der Klasse sitzen bleiben. Es darf nämlich nicht das Ergebnis der Krise sein, dass man durch das Virus ein Drohpotenzial aufbaut und dadurch zu pädagogischen Mitteln wie vor 100 Jahren gegriffen wird. Man muss Lehrern und Schülern Freiraum geben, sonst ist Schule nicht zumutbar.

Laut einer Befragung der Uni Wien fühlten sich 60 Prozent der Lehrer*innen durch den Fernunterricht stark belastet. Hat das Home-Schooling gut funktioniert?
Es war für Familien, Schüler und Lehrer belastend, weil es keine Zeit zur Vorbereitung gab. Angesichts dessen, was alles spontan entstanden ist, war es aber ein Riesenschritt im digitalen Lernen und Lehren. Was wir hier in neun Wochen erreicht haben, hätten wir sonst in fünf Jahren nicht erreicht. Anhand der gesammelten Erfahrungen sieht man jetzt, wo digitaler Unterricht funktioniert und wo nicht.

Mit Unverständnis und Enttäuschung reagierten die österreichweit befragten Lehrer*innen auf die Kommunikation des Bildungsministeriums. Zurecht?
In Krisenzeiten so perfekt zu kommunizieren, dass alle Betroffenen zufrieden sind, schafft auch das Bildungsministerium nicht. Nach der Krise muss es in einer Manöverkritik aber notwendig sein zu sagen, was nicht geht. Es hat viele Informationen gegeben, die zuerst öffentlich gehört wurden, bevor sie die eigenen Mitarbeiter kannten. Hier wäre es notwendig gewesen, Schulen und auch die Bildungsdirektionen stärker einzubinden.

Besonders heftig wurde zuletzt diskutiert, dass an Fenstertagen freiwillig unterrichtet werden soll. Hätten Sie sich hier eine andere Lösung gewünscht?
Ja! Es wäre okay und legitim gewesen zu sagen, dass auch an diesen Tagen Unterricht stattfindet. Ich finde es in einer Demokratie durchaus zumutbar, dass man klare Kante zeigt, wenn man von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst etwas will. So schiebt man es in die Freiwilligkeit ab mit dem Ziel, dass am Ende sowieso 100 Prozent der Lehrer mitmachen sollen.