Mit "Augenmaß" sollte nun die Wiederaufnahme des physischen Kontakts zwischen den Generationen erfolgen, sagte die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl zur APA. Kindern komme in der Corona-Pandemie wahrscheinlich "keine spezielle Rolle" als Virusverteiler zu. Aufpassen sollte man im Kontakt auf Risikogruppen und die regionale Fallzahlentwicklung, so der Public-Health-Experte Martin Sprenger.
Insgesamt deutet viel darauf hin, dass die Gefahr eines schweren Covid-19-Verlaufes bei Kindern gering ist, wie auch die Europäische Behörde für Seuchenbekämpfung (ECDC) in ihrer aktuellen Risikobewertung für Europa anführt. Trotzdem zeigte sich am Mittwoch etwa der französische Gesundheitsminister Olivier Veran beunruhigt über das Auftreten bestimmter entzündlicher Erkrankungen bei Kindern, die in Zusammenhang mit Covid-19 stehen könnten.
Kinder sind "potenziell auch Überträger"
Insgesamt gelte aber, dass Kinder "offenbar ganz oft einen asymptomatischen Krankheitsverlauf, mit fast nie schweren Erkrankungen haben. Sie können das Virus aber ausscheiden und sind daher potenziell auch Überträger", so die Virologin Puchhammer-Stöckl von der Medizinischen Universität Wien.
Die vor allem am Beginn der Pandemie vielfach geäußerte Vermutung, dass Kinder möglicherweise eine zentrale Rolle bei der Verbreitung spielen könnten, habe sich vor allem darauf gegründet, dass dies bei vielen anderen Erkrankungen der Atemwege oft so ist. So etwa bei der Influenza, wie Puchhammer-Stöckl erklärte. Ob die für die Wahrscheinlichkeit der Weitergabe entscheidende SARS-CoV-2-Viruslast bei Kindern im Schnitt höher ist, lasse sich noch nicht gesichert sagen. Es sei aber, auch im Hinblick auf die Schul- und Kindergartenöffnungen nicht davon auszugehen, "dass Kinder weit überproportional zur Verbreitung beitragen", so die Wissenschafterin. Um dies zu klären, brauche es noch weitere wissenschaftliche Studien.
Vulnerable Gruppen weiter bestmöglich schützen
Die große Frage, wie in Zeiten der Rücknahme des Lockdowns vor allem Kontakte zwischen Kindern, Jugendlichen und der Großelterngeneration ablaufen sollte, lasse sich keinesfalls pauschal beantworten. Man sollte weiter darauf achten, vulnerable Gruppen, wie eben Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen, durch Abstandhalten weiter bestmöglich zu schützen. De facto werde das Distanzhalten aber über längere Zeit hinweg schwierig. Kinder und Erwachsene mit Atemwegserkrankungssymptomen sollten sich ihren Großeltern bzw. Eltern weiter nicht nähern. Hier seien nun "Augenmaß und Eigenverantwortung" gefragt, betonte Puchhammer-Stöckl. Die Menschen hätten ja vielfach über die vergangenen Wochen gelernt, "wo die Risikofaktoren liegen".
Angesichts der seit einiger Zeit deutlich sinkenden Fallzahlen insgesamt und der Beobachtung, dass Kinder unter den in Österreich positiv getesteten Fällen nur "ungefähr ein Prozent ausmachen", seien sie kaum einem erhöhten Covid-19-Risiko ausgesetzt, sagte Sprenger im Gespräch mit der APA. Zwar werde diese Altersgruppe deutlich seltener tatsächlich getestet als andere Bevölkerungsgruppen, trotzdem handle es sich "nicht wirklich um die Gruppe, die man in punkto Gefährlichkeit am Schirm hat". Bei der Rolle von Kindern als Überträger gebe es aktuell zumindest eine Tendenz in Studien dahin gehend, dass diese Altersgruppe keine größere Rolle spiele, so der Leiter des Universitätslehrganges für öffentliche Gesundheit an der Medizin-Uni Graz.
Wenn jetzt wieder vermehrt Kinder etwa mit ihren Großeltern in Kontakt kommen, könne man sich bei der Risikoeinschätzung auch daran orientieren, wie hoch die ungefähre Wahrscheinlichkeit ist, sich in einer Region momentan anzustecken. Zumindest in Gegenden mit seit zwei Wochen extrem wenigen oder gar keinen nachgewiesenen Neuinfektionen sei die Chance auf Ansteckung im Schnitt auch entsprechend gering, so Sprenger, der hier auf die von ihm mitentwickelte neue "Corona-Ampel" des Complexity Science Hub Vienna verweist.
Bei der Entscheidung über generationsübergreifende Kontakte gehe es auch darum, den gesunden "Menschenverstand" zu konsultieren. Klar sei, dass die Gruppe der am meisten Gefährdeten vor allem Menschen bilden, die etwa in Pflegeheimen auf relativ engem Raum zusammenleben, in engem Körperkontakt gepflegt werden müssen und nicht nach draußen können.
Masken in pädagogischen Einrichtungen nicht sinnvoll
Sehr skeptisch zeigte sich Sprenger in der Frage des Einsatzes von Masken im Zuge der anstehenden Öffnung von pädagogischen Einrichtungen: Vor allem kleinere Kinder könnten damit kaum richtig umgehen. Wenn sich dann Kinder vermehrt im Gesicht berühren "konterkariert man den Sinn der Maske", sagte Sprenger.
Der Direktor der Universitätsklinik für Pädiatrie I der Medizinischen Universität Innsbruck, Thomas Müller, rät angesichts der Rückkehr in die Kindergruppen und Klassenzimmer zum genauen Beobachten von etwaigen Krankheitssymptomen bei Kindern. Man sollte auf rinnende Nasen, Husten, Fieber, Verkühlungssymptome oder Abgeschlagenheit achten und die Kinder im Zweifelsfall zuhause lassen, so der Mediziner, der in einer Aussendung vom Mittwoch darauf verweist, dass nun die Covid-19-Hauptinfektionszeit vorbei sei. "Daher wäre es aus meiner Sicht angezeigt, im Falle von diesen Symptomen großzügig Abstrichtests auf SARS-CoV-2 vorzunehmen, sobald ein Kind nur die geringsten Anzeichen eines Infektes zeigt", heißt es.