"Okay, Boomer!“ 2019 hat P. das erstmals gehört. Er verstand es nicht, fühlte sich aber ertappt. Denn „Boomer, der Streuner“ feierte schon 1981 Premiere im ORF. Und TV-Kritiken waren die ersten Zeitungsartikel von P. Doch die Frau, die ihm nun schmunzelnd „Okay, Boomer!“ antwortete, kannte die alte US-Fernsehserie so wenig wie P. die neue Internet-Phrase für den Generationskonflikt.

P. ist ein Babyboomer – einer aus der starken Generation der 1955 bis 1965 Geborenen. Glück gehabt. Vorerst wird er nicht weggesperrt. Diese Forderung wagt weder Lukas Sustala noch Andreas Tögel. Der eine ist heuer mit dem Buch „Zu spät zur Party – Warum eine ganze Generation den Anschluss verpasst“ aufgefallen. Der andere hat 2018 „Schluss mit lustig – Wie die Babyboomer die Zukunft unserer Jugend ruinieren“ veröffentlicht. Für die ganz reale Spaßbremse sorgt aber jetzt Tübingens Bürgermeister Boris Palmer (Die Grünen), der über 65-Jährige in Quarantäne halten will: „Ich finde, das wäre ein neuer Generationenvertrag, bei dem die Jüngeren arbeiten gehen und das Infektionsrisiko auf sich nehmen, während die Älteren und Kranken auf soziale Kontakte verzichten“, sagt er der „taz“.

Früher im Ruhestand als geplant

Die offiziellen Definitionen der altersmäßigen Covid-19-Risikogruppen starten bei 60+. Es wird also knapp für P. – wenn Palmers Gedanken Gemeingut werden. So knapp wie für 40 Prozent aller Leser der Kleinen Zeitung. So knapp wie für ein Viertel der österreichischen Bevölkerung und ein Drittel der Wählerschaft für den Nationalrat. Einen solch hohen Anteil haben über 60-Jährige an unserer Gesellschaft. Viele sind selbst schon Großeltern, von vielen leben auch die eigenen Eltern noch.

Die Boomer vergrößern den Anteil dieses Alterssegments. Und viele werden früher im Ruhestand sein, als sie wollten. Denn die Coronakrise droht in eine Pensionierungswelle zu münden. Wegen des wirtschaftlichen Antriebs, teurere Mitarbeiter abzubauen, und infolge des politischen Kalküls, die Arbeitslosenquote zu senken. Das in der „Zeit“ zitierte Papier der Berater des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) gilt in vielerlei Hinsicht: „In den Tagen der Eindämmung ist die Bevölkerung zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengewachsen. Durch die stufenweise Öffnung dürfen nun nicht neue Konfliktlinien und Brüche entstehen.“ Laschet ist 59.

"Ein Verteilungskampf der Interessensgruppen"

Der Standort bestimmt auch hier den Blickwinkel. Doch der Zeitgeist überholt die Politikergeneration von Gusenbauer und Faymann, Spindelegger und Mitterlehner. Im türkisen Koalitionsteil gehört nur noch Faßmann zu ihrer Generation. Und der Bildungsminister wirkt aus der Zeit gefallen, auch wenn Kogler und Anschober das Boomer-Fähnchen hochhalten. Der grüne Old Boys Club genießt bloß den Erntedank der nachdrängenden Greenhorn-Partie. Welch Wind dort weht, zeigt ihr Parteifreund Palmer. Die Blauen hingegen hatten mit Strache nach Haider bereits die Boomer übersprungen.

Eine Generation dankt ab? P. sucht die positiven persönlichen Perspektiven daran. Die „Frankfurter Allgemeine“ erinnert aber an den Soziologen Ulrich Beck, der schon 1986 die Risikogesellschaft wenig euphorisch auf die Formel reduzierte: „Not ist hierarchisch, Smog ist demokratisch.“ Das klingt wie die Antithese zur angeblich neuen Solidarität. Wenn sich die Nebel lichten, droht das Gegenteil: ein Verteilungskampf der Interessensgruppen. Über diesen Bruchlinien tobt der Clash of Generations.

"Babyboomer sind die falsche Zielscheibe"

Die Babyboomer sind dafür zwar die falsche Zielscheibe, doch ihrer werden die Nachrückenden noch habhaft. Die Nachkriegs- bzw. Wiederaufbaugeneration hat ihre Schäfchen längst im Trockenen. Jede dritte Schweizer Rente wird heute ins Ausland bezahlt – nach Italien, Frankreich, aber auch Thailand, wie die „Neue Zürcher“ betont. Sie analysiert dazu: „Beim Schüren von Ressentiments gegen Rentner handelt es sich um eine klassische Neid-Kampagne. Neid-Kampagnen sind ein bewährtes Mittel der Linken. Wenn damit nun aber auch bürgerliche Politiker beginnen, bedeutet das für das Standing des Rentners nichts Gutes.“ Die NZZ ist so deklariert liberal, wie es die Buchautoren Tögel (Ortner online) und Sustala (Agenda Austria) in ganz anderer Weise sind. Doch das Schweizer Weltblatt erklärt: „Generationsgerechtigkeit nur unter ökonomischen Gesichtspunkten zu diskutieren, greift zu kurz.“

Vielleicht fällt es deshalb der Sozialdemokratie so schwer, den aktuellen Themenaufwind von Solidarität und Egalität besser zu nutzen. Der Kern des Konflikts liegt nicht im Klassenkampf, sondern in gesellschaftlicher Wertschätzung und individuellem Selbstwertgefühl. Es geht um interne und externe, vertikale und horizontale Integration. Denn die Auseinandersetzungen der Nachkommenden führen die Boomer wie jede Generation auch unter sich. Die Normverteilung von Workaholics und Work-Life-Seiltänzern hat sich allerdings so sehr verändert wie das Massenverhältnis von Erben zu Nachlasslosen. In Kombination mit der geringeren Zahl der folgenden Alterskohorten trägt diese Entwicklung kaum zur Beruhigung der heute stärksten Geburtsjahrgangszehnergruppe der 50- bis 59-Jährigen bei. Sie sind 1,4 Millionen stark und werden laut Hauptprognose der Statistik Austria 2030 nur um 100.000 weniger in der Kategorie 60–69 sein – und weiterhin den größten Anteil stellen.

"Zu teuer als Angestellte, zu teuer als Pensionierte?"

P. gehört zum letzten Jahrgang, der einst noch eine Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium absolvieren musste, und fürchtet heute: Das geht sich nicht mehr aus. Er glaubt seit jeher, dass das nominelle und das faktische Pensionsalter mit der Alterserwartung mitwachsen müssen, damit sich die Erwerbstätigen die Ruheständler leisten können. Aber wenn genau diese ältesten Beschäftigten immer mehr als Belastung des Arbeitsmarkts gelten? Zu teuer als Angestellte, zu teuer als Pensionierte?

Altersdiskriminierung wird ausgerechnet dann ein massenhaft desintegrierendes Phänomen, wenn die stärkste Gruppe unserer Gesellschaft kürzertritt. Das trifft nicht nur alte weiße Männer, wie eine Schmähung aus den USA unreflektiert hier übernommen wird, wo es kaum andere alte Männer gibt. Das neue soziale Engagement hinter „Fridays for Future“ heißt auch „Nicht okay, Boomer!“ Ageism, ein vom Gerontologen Robert Neil Butler 1969 geprägter Begriff für Vorurteile gegen Generationen, kommt auf leisen Sohlen.

"Wunsch nach Solidarität kommt zu spät"

Das Faszinosum Kurz, das Bild vom jugendlichen Kanzler ist nachhaltiger als der Greisenzwist von Trump, Biden und Sanders. Sie sind sogar schon für ein langfristiges Feindbild zu alt. Dazu taugt jedoch „Eine Generation von Soziopathen: Wie die Babyboomer Amerika verraten haben“. Mit diesem Buchtitel hat sie Bruce Gibney schon 2017 ins Eck gestellt.

Ihr Wunsch nach Solidarität kommt zu spät. Angesichts von 900.000 Menschen in Kurzarbeit und 560.000 Arbeitslosen wirken die spezifischen Sorgen der Boomer wie Luxusprobleme. Eher hilft ihnen das Bewusstsein für Parteienpräferenz nach Altersgruppen. Wären bei der Nationalratswahl 2019 nur die Generationen 60+ stimmberechtigt gewesen, hätten die ÖVP 43 und die SPÖ 31 Prozent erreicht.

Also doch alles „okay, Boomer?“ Nicht ganz. Die Fernsehserie mit dem Streuner hatte nur 24 Folgen. Aus der Generation von P. werden viele über 100 Jahre alt werden. Sie werden ihr Wie aktiv mitgestalten – müssen. Diese Generation dankt nicht ab.