Im Gegensatz zu anderen Ländern sind in Österreich viele Daten etwa zum Alter oder Vorerkrankungen der Covid-19-Erkrankten in Krankenhäusern, auf Intensivstationen oder auch der Verstobenen nicht öffentlich zugänglich. Wissenschafter fordern nun in einem Offenen Brief an Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) Zugang zu diesen "erforderlichen Daten", sonst drohe ein "Blindflug".
Die wissenschaftliche Community verfolge zwar "gespannt die aktuellsten Entwicklungen. Viele WissenschaftlerInnen würden jedoch gerne mehr tun und aktiv zu einem besseren Verständnis des pandemischen Geschehens beitragen", heißt es in dem u.a. von Jesus Crespo-Cuaresma (WU Wien), Thomas Czypionka (IHS), Wolfgang Lutz (IIASA, ÖAW), Erich Striessnig (Vienna Institute of Demography) sowie dem Gesundheitswissenschafter Florian Stigler und Martin Sprenger (MedUni Graz) verfassten Schreiben.
Basis für Erkenntnisse fehle
Um "im öffentlichen Interesse" die Beantwortung "bisher ungeklärter wissenschaftlicher Fragestellungen" voranzutreiben, sollten daher Daten zur Verfügung gestellt "und entsprechende Studien in Auftrag" gegeben werden. Von den Analysen des bisherigen Verlaufs des Coronavirus-Ausbruchs und der "evidenzbasierten Bewertung des zu erwartenden zukünftigen Risikos sollten nicht nur die politischen EntscheidungsträgerInnen, sondern vor allem die österreichische Bevölkerung profitieren".
"In den letzten Monaten wurden über 2.000 Beiträge zu diesem Thema in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht: Keine einzige davon basiert auf österreichischen Daten!", betonen die Wissenschafter. Die Pandemie weise jedoch große Unterschiede in ihrem länderspezifischen Verlauf auf. Das dürfte "auf Unterschiede in der Altersstruktur, aber auch soziale und kulturelle Gegensätze zurückzuführen sein". Erkenntnisse aus asiatischen Ländern oder Italien könnten somit "nur bedingt auf Österreich übertragen werden und sind für die Planung einer erfolgreichen Strategie hierzulande unzureichend. Wir sind deshalb noch immer größtenteils im Blindflug unterwegs".
Wolle man bei der Eindämmung erfolgreich sein, dürfte man sich "nicht viele Fehler erlauben. Die evidenzbasierte Analyse des pandemischen Geschehens unter Ausnützung der Schwarmintelligenz tausender wissenschaftlich tätiger Menschen in den Universitäten und Forschungsinstituten dieses Landes ist dazu unerlässlich. Während wir bei der Sammlung und Priorisierung von Forschungsfragen bereits weit fortgeschritten sind, fehlt uns zur Beantwortung wesentlicher Fragen das Datenmaterial".
Besseres Verständnis möglich
In der Forderung gehe es darum, "ein besseres Verständnis des Geschehens zu gewinnen", sagte der Mitverfasser des Briefs, Martin Sprenger, zur APA. Die Informationen würden etwa auch dabei helfen, "eine nüchterne Debatte darüber zu führen, ob sich das Erkrankungs- und Sterbegeschehen, das wir bei Covid-19 erleben, dramatisch von dem Geschehen unterscheidet, das wir so und so täglich erleben", so der Public-Health-Experte, der auch Mitglied der Covid-19-Taskforce ist: "Warum man diese Zahlen nicht bekommt, ist mir ein Rätsel."
Zuerst könnte anhand der Fakten über Alter, Grunderkrankungen, Wohnort, etc. der Erkrankten die bisherige Situation beschreiben werden. In der Folge könnte man analytisch zeigen, "welche Altersgruppen und welche Konstellation das höchste Risiko hat, im Krankenhaus und auf der Intensivstation zu landen oder zu versterben". Man könnte aber etwa auch der Frage nachgehen, ob Covid-19 für verschiedene Altersgruppen gefährlicher als die Influenza ist. Hier werde es international gewisse Unterschiede geben. Würden in Österreich aber diese Daten nicht erhoben oder zur Verfügung gestellt, "ist es die Frage, mit wem wir uns dann vergleichen?", so Sprenger.