Besonders schwer war die Zeit für sie, weil sie viel vom Aufwachsen ihrer Kinder verpasste. “Das hat mich psychisch fertiggemacht”, erzählt sie. Dass die Kinder sie in Österreich besuchen könnten, war für ihre Auftraggeber unvorstellbar. Das änderte sich erst mit ihrer letzten Auftraggeberin, die einen großen Beitrag dazu geleistet hat, dass Anna es geschafft hat die 24-Stundenpflege hinter sich zu lassen. Ihre älteste Tochter, Simona, hatte zu der Zeit, es muss etwa 2012 gewesen sein, bereits ihren Bachelorabschluss in der Tasche, als Anna ihre letzte Stelle in der 24-Stundenpflege antrat. “Es war eine sehr nette Frau, der mit 23 eine schwere Krankheit diagnostiziert wurde,” erzählt Anna.
Sie lebte bereits 20 Jahre mit der Erkrankung alleine in einem großen Haus, als ich zu ihr kam. Sie war die Erste, bei der es in Ordnung war, dass meine Tochter zu Besuch kam. Irgendwann habe ich sie dann angesprochen, ob meine Tochter zu uns ziehen könne, und sie hat ja gesagt.
Man spürt, dass die Bindung zwischen Anna und Simona sehr eng ist. Auch heute wohnen die beiden noch unter einem Dach. Mittlerweile in Graz und nicht mehr bei Klienten, sondern in ihren eigenen vier Wänden. Immer wieder ergänzt Simona Dinge, die ihr wichtig erscheinen, damit wir verstehen, wie schwierig die Situation für Anna damals war.
Zwar hatte Anna Glück bei ihrer letzten Stelle, aber selbstverständlich war das nicht. Sie erzählt von einer alleinlebenden Frau, die sie betreut hat, die nur tagsüber schlief und nachts aktiv sein wollte. “Sie konnte nicht alleine aufstehen, wollte aber immer noch auf die Toilette gehen oder sich die Beine vertreten. Ich musste dann nachts unzählige Male aufstehen, um mit ihr herumzulaufen. Als ich ihr dann gesagt habe, dass ich das nicht leisten kann, hat sie nachts nicht mehr geklingelt sondern ist alleine aufgestanden. Das war natürlich unglaublich gefährlich für sie, und unsere Zimmer waren so nah beieinander, dass ich sie trotzdem gehört habe. An Schlaf war in der Situation nicht zu denken. Das hat mich wirklich mitgenommen.”
Es ist ein so schwieriges Verhältnis zwischen Verantwortung und Professionalität, Job und persönlicher Beziehung, Autonomie des Patienten und den Grenzen der Pflegerin. Auf so nahem Raum ist es nahezu unmöglich sich abzugrenzen. Die Unmittelbarkeit des Bedürfnisses des Patienten sorgten damals bei Anna dafür, dass sie sich nicht mehr um sich selbst kümmern konnte.
Heute sagt sie, dass das Konzept der 24-Stundenpflege in dieser Art abgeschafft gehört. “Die Leute sind nicht ausgebildet für die Arbeit. Es kann so viel passieren, und es nicht gut für die Patienten und das Personal.” Die Lage für die Pflegerinnen hat sich für Corona nochmal verschärft. Für viele ist der Turnus durcheinander gewirbelt und geschlossene Grenzen und Quarantäneverordnungen machen ihnen Probleme.
In der Rückschau sagt Anna, dass sie damals viel zu schlecht für die Arbeit ausgebildet war. Das wollte sie ändern:
Anna ist mittlerweile ausgebildete Fachsozialbetreuerin und arbeitet für die Caritas. Geschafft hat sie das mit der Hilfe von Simona, die mittlerweile ihren Masterabschluss hat. “Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich die Ausbildung überhaupt schaffen kann, besonders wegen meines Deutsch”, sagt Anna.
Bestimmt ein Jahr lang habe ich überlegt, ob ich es mich traue.