Verwaiste Klopapier- und Nudel-Regale in Supermärkten hielten in den letzten Tagen als beliebtes Motiv für die Coronakrise her. Die Handelsketten erklärten daraufhin, dass ihre Mitarbeiter lediglich nicht mit dem Nachschlichten gewisser Produkte nachkommen würden. Die Lager seien voll, hieß es unisono. In den Obst- und Gemüseabteilungen waren leere Kisten seltener zu beobachten. Das kann sich aber ändern – und zwar aus gravierenden Gründen. Die Stadt sei in punkto Landwirtschaft zwar gut aufgestellt, sagt Bürgermeister Michael Ludwig, vielen Bauern fehlen für die nächsten Monate aber tausende Arbeitskräfte, die hauptsächlich aus dem Ausland kommen.
Wer jetzt meint, die Wiener Landwirtschaft sei österreichweit nicht relevant, der irrt. Laut Statistik werden in der Bundeshauptstadt mehr Gurken geerntet als in ganz Rest-Österreich zusammen. Auch der größte Anteil der heimischen Petersilien-, Tomaten-, Pfefferoni- und Melanzani-Ernte stammt aus Wien. Insgesamt stehen in der Stadt 200 Hektar Glashausfläche zur Verfügung, das entspricht etwa 300 Fußballfeldern. Durch den Corona-bedingten Einreisestopp und dem damit verbundenen Ausbleiben der Arbeiter*innen aus Osteuropa steht die langfristige Versorgungssicherheit auf dem Spiel.
Um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken haben die Landwirtschaftskammern aus Wien und Niederösterreich am Mittwoch eine gemeinsame Online-Plattform ins Leben gerufen, auf der sich sowohl Betriebe, die Hilfe benötigen, als auch tatkräftige Unterstützer melden können. Mittlerweile wurde sie auf weitere Bundesländer ausgeweitet. “Schon am ersten Tag haben wir innerhalb kürzester Zeit 300 Anfragen registriert – sowohl von Bedürftigen als auch von Willigen", sagt Robert Fitzthum, Direktor der Wiener Landwirtschaftskammer. 1.000 helfende Hände werden derzeit von den mehr als 700 Betrieben in Wien gesucht.
Neben der Suche nach freiwilligen Helfern sei man auch darum bemüht, Arbeitskräfte aus branchenverwandten Betrieben zu gewinnen, etwa aus dem Gartenbau. “Es gibt Unternehmen, die derzeit keine Möglichkeit haben, etwas zu verkaufen oder zu kultivieren und zum Beispiel ihre Blumen wegschmeißen müssen. Hier versuchen wir, Arbeitskräfte umzuleiten, sodass diese bei Nachbarbetrieben, die Gemüse anbauen, weiterarbeiten können,” so Fitzthum. In weiterer Folge stehe die Landwirtschaftskammer auch mit dem Bundesheer in Kontakt: “Das wird momentan aber an vielen Orten gebraucht. Daher versuchen wir zunächst das landwirtschaftliche Potenzial zu erheben.” So sollen sich also vor allem Schüler von landwirtschaftlichen Fachschulen angesprochen fühlen, deren Unterricht derzeit pausiert und die schon in den nächsten Wochen mithelfen können.
“Grundsätzlich kann sich aber jeder melden, der dazu in der Lage ist. Es handelt sich oft um körperlich nicht sehr schwere Arbeit. In einem Glashaus arbeitet man auch in einem geschützten Bereich”, sagt Fitzthum. Darüber hinaus benötige die Gemüse-Erzeugergenossenschaft LGV, für die 150 Bauern produzieren, in der Sortierung, Verpackung und Distribution Unterstützung. “Damit die Ernte weiterhin den Weg in den Supermarkt findet,” so Fitzthum, der aber ausdrücklich darauf hinweist, bei seinem Einkaufsverhalten derzeit nicht nur an die Supermärkte zu denken: “Auf stadtlandwirtschaft.wien findet man eine Liste an Betrieben, die ihre Lebensmittel per Direktvermarktung ab Hof anbieten. Gleichzeitig spüren viele Betriebe, dass auf den Wiener Märkten derzeit sehr wenig los ist, obwohl sie geöffnet sind. Man kann auch dort Abstand halten und ist noch dazu an der frischen Luft.”
Andreas Terler