Der Fall David hat in Salzburg für Betroffenheit gesorgt. Der 17 Monate alte Bub wurde im April 2018 im Salzburger Landeskrankenhaus unter Narkose operiert, obwohl er nicht nüchtern war. Er atmete Erbrochenes ein und starb. Derzeit läuft ein Strafprozess gegen zwei Ärzte wegen vorgeworfener Behandlungsfehler. Der ärztliche Direktor des Spitals nahm im APA-Gespräch dazu Stellung.
Am ersten Verhandlungstag am Mittwoch hatte der beschuldigte Kinderchirurg erklärt, dass in seiner 27 Jahre langen Tätigkeit in den Landeskliniken das Narkoseverfahren "Sedoanalgesie" (umgangssprachlich "Dämmerschlaf", Anm.) laufend auch bei nicht nüchternen Kindern durchgeführt worden und es nie zu einer Aspiration gekommen sei. Deshalb habe er dem Vorschlag des mitangeklagten Anästhesisten, das blutende Muttermal an der Wange Davids gleich zu operieren, auch zugestimmt. Einer der Vorwürfe in dem Strafverfahren ist, dass sich die beiden Ärzte für den kurzen Eingriff nicht an die Sechs-Stunden-Frist für die erforderliche Nüchternheit gehalten hatten.
Der ärztliche Direktor des Landeskrankenhauses, Jürgen Koehler, sagte gegenüber der APA, wenn keine Gefahr im Verzug bestehe, gebe es auch keinen Grund, von dieser allgemeinen Richtlinie einer Sechs-Stunden-Frist abzuweichen. Diese Regel finde sich in der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) und gelte auch für die Salzburger Landeskliniken (SALK).
Notfälle ausgenommen
Von dieser Richtlinie ausgenommen seien Notfälle. In einer allgemeingültigen Notfallkategorisierung werde die Dringlichkeit einer Operation definiert. Höchste Dringlichkeit bestehe dann, wenn der Patient in Lebensgefahr sei und sofort operiert werden müsse. Bei einer sehr hohen Dringlichkeit komme der Patient als nächster in den Operationssaal, denn bei längerem Warten könnte eine lebensgefährliche Situation eintreten. Die nächstfolgenden Stufen schreiben einen OP-Beginn innerhalb von sechs Stunden, am gleichen Tag und innerhalb von 24 Stunden vor.
"Grenzentscheidung"
Wie dringlich eine Operation ist, sei in letzter Konsequenz eine Einzelfallentscheidung, gab Koehler zu bedenken. Das sei auch im Fall David der Punkt. Es gehe es um die Frage, "sind die Beschwerden des Patienten so schlimm, dass eine Operation durchzuführen ist, auch wenn er nicht nüchtern ist, sonst besteht das Risiko, dass es ihm deutlich schlechter geht. Das ist immer eine Grenzentscheidung".
Im Fall David habe nach bisherigen Erkenntnissen der Kinderchirurg den Eingriff als Kleinigkeit eingeschätzt und der Anästhesist angenommen, das gehe schnell, er bringe den Bub durch die "Sedoanalgesie" in einen Dämmerzustand, wobei der Patient noch einen Schluckreflex habe, erklärte Koehler. In der Abwägung des Risikos zwischen einer Aspiration bei einer Narkose und eines möglichen weiteren Blutverlustes im Falle eines Zuwartens hätten sich die Ärzte für den Eingriff entschieden.
"Es sei eine schwierige Aufgabe, eine richtige Entscheidung zu treffen", meinte der ärztliche Direktor. "Jeder Fall stellt sich anders dar, es gibt keine pauschale Entscheidung." Falls der Patient vor dem Eingriff eine Menge gegessen hat, müsse das in die Entscheidung, die zu dokumentieren sei, miteinfließen - wie auch andere Faktoren. Er hätte sich vor der OP noch die Frage gestellt, "haben wir alles probiert, damit die Blutung gestillt wird?", und ein Blutbild angefordert, sagte Koehler. "Um zu sehen, wie hoch der Blutverlust ist und ob sich die Werte verschlechtert haben."
Gefahr einer Routine
"Ein Hausgebrauch ist keine dieser Entscheidungen", verwies Koehler, der seit Anfang April 2018 in dem Spital ärztlicher Direktor ist, auf die Angaben des Chirurgen im Prozess, das bei David angewandte Narkoseverfahren sei in der Klinik laufend bei nicht nüchternen Kindern durchgeführt worden. "Das heißt aber nicht, dass das im Krankenhaus legitimiert wurde." Es gebe die "Gefahr der Routine", so Koehler. "Das hat sich jetzt grundlegend geändert. Die tragische Geschichte geht nicht an uns vorbei."
Vor dringenden Operationen sei nun eine Blutabnahme vorgeschrieben, um das Blutbild zu bestimmen und die eigene Entscheidung zu prüfen. Die Ärzte müssten ihre Begründung genau belegen, warum sie Patienten, die nicht nüchtern sind, operieren. Zudem wurde im Falle einer Uneinigkeit zwischen Operateur und Anästhesist über die Dringlichkeit der OP die Richtlinie im März verschärft. Die Entscheidung, ob operiert wird oder nicht, übernehmen die Oberärzte der Fachgebiete, dann die Primare und bei weiterhin bestehender Uneinigkeit der ärztliche Direktor in alleiniger Verantwortung.
Im Fall David wird den beiden Ärzten grob fahrlässige Tötung vorgeworfen. Sie wurden nach Vorliegen belastender Sachverständigengutachten von der Klinik suspendiert. Bisher haben sie im Strafprozess keine Schuld eingestanden.